Anja Lechner | Musik | Nostalghia - Song for Tarkovsky

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Nostalghia – Song for Tarkovsky
VÖ: 01. September 2006
Anja Lechner

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Produktinformation

“Nostalghia – Song For Tarkovsky” ist das bislang persönlichste Album des französischen Pianisten François Couturier und eine Hommage an seinen Lieblingsfilmemacher, den 1986 verstorbenen Andrej Tarkowski. Couturier nennt Tarkowskis Filme “lange Gedichte, hypnotisch in ihrer Langsamkeit und durchdrungen von Spiritualität”. Als hypnotisch kann man guten Gewissens auch die treibende Kammermusik von “Nostalghia” bezeichnen, die wie ein kraftvoll klingendes Kompendium zum Werk des Regisseurs wirkt. Dennoch ist dies keine Filmmusik, sondern eine intensiv lyrische Musik, die Emotionen sondiert, die mit Tarkowskis Filmen in Verbindung stehen und einiges mit deren geheimnisvoller Aura gemein haben. Aufgenommen hat Couturier sie mit Akkordeonist Jean-Louis Matinier, Cellistin Anja Lechner und Sopransaxophonist Jean-Marc Larché.

“Nostalghia – Song for Tarkovsky” ist seit vielen Jahren das erste Album, das Couturier als Leader aufgenommen hat. Abgesehen von ein paar Aufnahmen, die er im Duo machte (u.a. das Album “Poros”, das er vor neuen Jahren mit dem Violinisten Dominique Pifarély für ECM einspielte), steckte Couturier seine Energie in die musikalischen Projekte anderer Künstler. In den letzten zehn Jahren arbeitete er besonders eng mit dem tunesischen Oud-Meisterspieler Anouar Brahem zusammen. Sie nahmen 2001 gemeinsam “Le Pas Du Chat Noir” auf und 2005 “Le Voyage De Sahar” – beide Alben sind bei ECM erschienen. Couturier und Akkordeonist Jean-Louis Matinier (der auf “Nostalghia” ebenfalls zu hören ist) spielen in Brahems neuem musikalischen Konzept eine wichtige Rolle.

Während der letzten Brahem-Sessions unterhielten sich Couturier und Produzent Manfred Eicher über mögliche Projekte. Da der Pianist ein Musiker mit breitgestreuten künstlerischen Interessen ist, entschied man sich schließlich dafür, eine Einspielung zu machen, die den Rahmen des Jazz sprengen sollte. Und es sollte eine Hommage an einen Regisseur werden, dessen Filme ähnlich transzendent sind.

“Nostalghia” ist nicht das erste ECM-Album, das Andrej Tarkowski gewidmet wurde. Arvo Pärt hatte dem russischen Regisseur schon 1987 “Arbos” gewidmet und Jan Garbareks 1986 aufgenommenes Album “All Those Born With Wings” enthielt auch eine Würdigung Tarkowskis. “Nostalghia” ist indes das erste Album, das sich mit Tarkowskis Inspirationen und der “spirituellen” Aura der Werke dieses großen russischen Filmemachers auseinandersetzt.

In seinem kurzen Begleittext zum Album schreibt Couturier, daß der 1986 verstorbene Tarkowski sein Lieblingsregisseur ist. “Der Film ‘Andrej Rubljow’ war für mich eine Offenbarung. Nachdem ich ihn gesehen hatte, habe ich mir sämtliche Tarkowski-Filme angeschaut… immer wieder und wieder. Es sind lange Gedichte, hypnotisch in ihrer Langsamkeit und durchdrungen von Spiritualität (…) Ich habe in keinster Weise versucht, ‘szenische’ Musik zu machen.” Tatsächlich ist dies keine Soundtrack-Musik, und Couturier versucht deshalb auch, alles Illustrative zu umgehen. “Stattdessen habe ich mich bemüht, in jedem Stück eine spezifische Emotion einzufangen, die mit dem filmischen Universum dieses Regisseurs in Verbindung steht – nicht nur mit seinen Filmen selbst, sondern auch mit einigen seiner bevorzugten Schauspieler oder Komponisten. Oder sogar mit seiner sehr originellen Art, mit Farbschattierungen zu spielen. Diese Einspielung ist unsere Art, diesem großen Künstler Tribut zu zollen.”

“Song For Tarkovsky” ist ein Projekt, das sich harmonisch in ECMs Klangwelt einfügt. Das Label hat schon öfter Brücken zu anderen Künsten geschlagen und Musik oft “filmisch” betrachtet; man denke nur an die Alben, die Jean-Luc Godard und Theo Angelopoulos gewidmet sind. Tarkowski verglich das Filmemachen einst mit dem Anfertigen von “Zeitskulpturen”, und dies ist ein Begriff, der sich problemlos auch auf die Produktionsphilosophie des ECM-Labels übertragen ließe.

Ein paar Worte noch zum Titel des Albums: für Andrej Tarkowski sagte “Nostalghia” weit mehr aus als das Wort “Nostalgie” in der deutschen Sprache und auch mehr als die sehr eingeschränkte Bedeutung des russischen Wortes: “Sehnsucht nach der Heimat”. In seinem Film “Nostalghia” (1983) benutzte er den Begriff, wie er damals sagte, um “ein globales Verlangen nach der Ganzheit der Existenz” auszudrücken. In einem 1995 gegebenen Interview erinnerte sich der Regisseur Theo Angelopoulos: “Ich war in Rom einmal im selben Apartmentgebäude untergekommen wie Andrej Tarkowski. Er filmte zu der Zeit gerade ‘Nostalghia’. Und wir unterhielten uns über das Konzept und das Gefühl der ‘Nostalgie’. Er erzählte mir, daß es ein russisches Wort sei, aber ich entgegnete ihm natürlich, daß es seinen Ursprung im Griechischen habe: ‘nostos’ heißt ‘nach Hause kommen’. So diskutierten wir darüber, bis er schließlich meinte: ‘Entschuldige, aber Nostalgie ist so tief in der russischen Seele und dem russischen Geist verwurzelt, daß ich das Gefühl habe, daß wir das Wort entwickelt haben!’ Nicht anders verhält es sich aber bei den Griechen!”

Mit Ausnahme der Gruppenimprovisationen “Solaris” und “Solaris II” sowie der Duettimprovisation “Ivan” wurde die Musik von “Song for Tarkovsky” von Couturier komponiert, wobei er allerdings darauf achtete, diese sehr offen zu gestalten. In “Le sacrifice” und “L'éternel retour” verarbeitete er Inspirationen von Johann Sebastian Bachs “Matthäus-Passion” und Giovanni Battista Pergolesis “Stabat Mater” (Tarkowski war ein großer Bewunderer der beiden Komponisten und verwendete die Arie “Erbarme dich” aus der Matthäus-Passion" am Anfang seines Filmes “Opfer”), während er im Titelstück “Nostalghia” und in “Andrei” Zitate aus dem dritten Satz von Alfred Schnittkes 1978er “Sonate für Violoncello und Piano” verarbeitete.

Einzelne Stücke des Albums hat Couturier anderen Persönlichkeiten aus dem Tarkowski-Umfeld gewidmet: dem Komponisten Edouard Artemyev, der mit dem Regisseur eng bei der Schaffung der Soundtracks für “Solaris” und “Stalker” zusammenarbeitete; dem großartigen Kameramann Sven Nykvist (der “Opfer” filmte und ansonsten mit Ingmar Bergman assoziiert wird); dem Drehbuchautoren Tonino Guerra (der an “Nostalghia” und der Mehrzahl der Angelopoulos-Filme mitarbeitete); sowie den Schauspielern Erland Josephson (der in “Nostalghia” und “Opfer” sowie in Dutzenden anderen von der Kritik hoch gelobten Filmen mitwirkte, darunter Ingmar Bergmans “Szenen einer Ehe”, Angelopoulos' “Der Blick des Odysseus” und sogar Manfred Eichers eigenem Film “Holozän”) und Anatoli Solonitsyne (der von Tarkowski entdeckt wurde und die Hauptrolle in “Andrej Rubljow” spielte).

Das auf diesem Album zu hörende Ensemble besteht aus drei französischen Musiker – François Couturier, Jean-Louis Matinier und Jean-Marc Larché -, die schon bei verschiedensten Projekten zusammengearbeitet haben, und der deutschen Cellistin Anja Lechner. Als Mitglied des Rosamunde Quartetts, das für ECM schon Kompositionen von Tigran Mansurian, Walentin Wassiljewitsch Silwestrow, Dmitri Schostakowitsch, Anton Webern, Joseph Haydn und Thomas Larcher aufgenommen hat, ist Lechner bestens mit der Improvisation vertraut. Bewiesen hat sie dies unter anderem beim Zusammenspiel mit Dino Saluzzi oder Misha Alperin. 2004 nahm sie mit Vassilis Tsabropoulos Musik von Georg Iwanowitsch Gurdjieff auf (“Chants, Hymns and Dances”) – und dieses Projekt wiederum hat einen gewissen Bezug zu “Nostalghia”, da Tarkowski zu seinem Film “Andrej Rubljow” unter anderem durch Gurdjieff inspiriert worden war.

François Couturier wurde 1950 in Fleury-les-Aubrais, in der Nähe von Orléans, geboren und erhielt im Alter von sechs Jahren erste Klavierstunden. Nach Abschluß seines Studiums der klassischen Musik und Musikwissenschaften, wandte er sich – beeinflußt durch die Musik von Modernisten wie Paul Bley, Chick Corea und Joachim Kühn – in den frühen 70er Jahren der Improvisation zu. Ende der 70er arbeitete er regelmäßig mit dem Schlagzeuger Jacques Thollot zusammen, einem der wichtigsten Impulsgeber der französischen Improvisationsszene. In Thollots Gruppe lernte er auch den Bassisten Jean-Paul Celea kennen, mit dem er sich befreundete. Couturier und Celea traten zunächst als Duo auf, bezogen später aber auch andere Musiker in ihre Projekte ein, etwa Daniel Humair, François Jeanneau und Dominique Pifarély. 1980 erhielt Couturier mit dem Prix Django Reinhardt eine der begehrtesten Auszeichnungen unter französischen Jazzmusikern. Wenig später holte ihn der Gitarrist John McLaughlin in seine Band, mit der Couturier die Alben “Belo Horizonte” (1981) und “Music Spoken Here” (1983) aufnahm.

In seiner Gruppe Passagio, die zwei Alben für Label Bleu einspielte, arbeitete Couturier in den späten 80ern erneut mit Celea zusammen. Couturiers erste Mitwirkung an einem Album für ECM geschah 1994, als Anouar Brahem mit ihm (und übrigens auch Saxophonist Jean-Marc Larché) “Khomsa” aufnahm. Die erste Zusammenarbeit zwischen Brahem und dem Pianisten lag zu diesem Zeitpunkt aber schon fast zehn Jahre zurück, sie hatte 1985 bei einem Festival stattgefunden. Die Verbindung wurde 2001 wiederbelebt, und seitdem ist Couturier regelmäßig mit dem Trio des Oud-Spielers, dem auch der Akkordeonist Jean-Louis Matinier angehört, auf Tournee. Darüber hinaus ist er aber auch in verschiedenen anderen musikalischen Kontexten tätig, unter anderem bei einem Projekt mit dem Countertenor Dominique Visse, in dessen Rahmen er Musik von Guillaume de Machaut bis Luciano Berio spielt.
Veröffentlichung
1.9.2006
Format
CD
Label
ECM Records
Bestellnummer
00602498773796

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