Yannick Nézet-Séguin | News | Eine wegweisende Komponistin: Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra veröffentlichen 'Florence Price · Symphonies Nos. 1 & 3'

Eine wegweisende Komponistin: Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra veröffentlichen ‘Florence Price · Symphonies Nos. 1 & 3’

Florence Price Symphonies 1 & 3 Yannick Nézet-Séguin
© G. Nelidoff / University of Arkansas
24.09.2021
Florence Price erlangte vor fast 90 Jahren Berühmtheit. Es war ihr gelungen, die gesellschaftlichen Hürden zu überwinden, die es Afroamerikanern und Frauen fast unmöglich machten, in der Klassik Fuß zu fassen. Ein Großteil ihrer Werke jedoch geriet später in Vergessenheit, erst in jüngerer Zeit wurde ihre Musik wiederentdeckt und geehrt, auch vom Philadelphia Orchestra und seinem musikalischen Leiter, Yannick Nézet-Séguin. Florence Price · Symphonies Nos. 1 & 3 ist ihre neueste Einspielung für Deutsche Grammophon. Sie erscheint heute, am 24. September 2021 als eAlbum und eröffnet eine Aufnahmereihe zur Würdigung der ersten afroamerikanischen Frau, deren Werk von namhaften amerikanischen Orchestern aufgeführt wurde.
»Wir freuen uns sehr, dass wir die Musik von Florence Price für Deutsche Grammophon einspielen«, sagt Yannick Nézet-Séguin. »Viele bedeutende Werke auf der ganzen Welt sind in Vergessenheit geraten und das nicht, weil sie es letztlich nicht in sich hatten, sondern aus ganz banalen Gründen. Dem Philadelphia Orchestra und mir ist daran gelegen, diese Werke anzusehen, Musik von Komponisten, an die wir glauben, wie Florence Price. Denn so entsteht ein facettenreicheres Bild dessen, was wir als Gesellschaft heute sind.«
Florence Price wurde 1885 in Little Rock in Arkansas geboren, erhielt zunächst Musikunterricht von ihrer Mutter und studierte später Komposition am New England Conservatory in Boston sowie privat beim Direktor des Instituts, George Whitefield Chadwick. Nach ihrer Hochzeit zog sie mit ihrer Familie nach Chicago, um den Rassenkonflikten im Süden zu entgehen. Bald darauf ließ sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden und zog ihre Kinder allein auf, für deren Lebensunterhalt sie durch ihre Arbeit als Pianistin, Organistin, Lehrerin und Komponistin sorgte.
Ihre Symphonie Nr. 1 in E-Dur (1931–32) gewann den Rodman Wanamaker Contest in Komposition und wurde 1933 von Frederick Stock und dem Chicago Symphony Orchestra uraufgeführt. Stocks Zuspruch ermunterte Price zum Schreiben weiterer großformatiger Stücke. Ihre Symphonie Nr. 3, entstanden während der Großen Depression als Auftragswerk des Federal Music Project, wurde 1940 uraufgeführt.
»In ihrer Ersten Symphonie«, erklärt Nézet-Séguin, »kombiniert sie Volksmelodien mit Choralsatz und Anklängen an Jazz-Harmonik; das Ergebnis klingt durch und durch amerikanisch. Price ging von einer bestimmten Form der europäischen Kunstmusik aus und übersetzte sie in ihr eigenes Idiom. In der Dritten Symphonie hört sich jede Melodie an, als sollte man sie singen. Das gesamte Material wirkt vokal, die Satztechnik chorisch. Mir gefällt besonders, dass ihre Instrumentierung überall im Orchester Soli vorsieht – man hat das Gefühl, sie mochte alle Instrumente gleich gern.«
Obgleich Price bis zu ihrem Tod 1953 komponierte und unterrichtete, wurde ihre Musik von Ultramodernisten fast habituell als konservativ abgetan. Zugleich blieb ihr aufgrund von Rassismus und Sexismus ein Weg versperrt in Räume, in denen sie hätte reüssieren können. Zwar war sie vermerkt als eine der ersten afroamerikanischen Komponistinnen, die überall in den USA landesweite Anerkennung fanden, doch die Aufführungen, Veröffentlichungen und Aufnahmen ihrer Musik blieben selten.
Mittlerweile ist das anders. Prices Erste und Dritte Symphonie wurden 2008 in einer beeindruckenden wissenschaftlichen Ausgabe veröffentlicht. Im Jahr darauf entdeckten die neuen Besitzer des einstigen Sommerhauses der Komponistin in St. Anne in Illinois einen Stapel verloren geglaubter handschriftlicher Partituren. Durch die Auseinandersetzung mit Prices Musik, auf dem Podium wie im Studio, wollen Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra dazu beitragen, dass ihr in der Musik der Platz eingeräumt wird, der ihr gebührt.
Der Dirigent fasst diesen Wunsch in Worte, wenn er über die Dritte Symphonie sagt: »Wenn wir sie spielen und andere Orchester auch, so meine Hoffnung zumindest, wird sie eines Tages – vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft – ein ebenso vertrautes Repertoirestück und Teil unseres Orchesterlebens wie etwa die Symphonien von Tschaikowsky und Rachmaninow.«

Weitere Musik von Yannick Nézet-Séguin