Im September 2018 wurde Yannick Nézet-Séguin zum dritten Musikdirektor der Metropolitan Opera in New York ernannt. Im selben Jahr gab er nach 10 Jahren die Leitung des Philharmonischen Orchesters Rotterdam ab, dessen Ehrendirigent er seitdem ist. Seit 2012 Musikdirektor des Philadelphia Orchestra, hat er seine Verpflichtung bei diesem Orchester jetzt bis 2030 verlängert und zugleich seinen Aufgabenbereich zum nunmehr Musikalischen und Künstlerischen Direktor erweitert. Nézet-Séguin bleibt zudem Künstlerischer Direktor und Chefdirigent des Orchestre Métropolitain (Montreal), wo er seit dem Jahr 2000 tätig ist und mit dem er 2019 einen Vertrag auf Lebenszeit abschloss – ein Schritt, der das tiefe wechselseitige Vertrauen zwischen Spielern, Management und Dirigent bezeugt.
Yannick Nézet-Séguin studierte Klavier, Dirigieren, Komposition und Kammermusik am Conservatoire de musique du Québec in seiner Heimatstadt Montreal sowie Chorleitung am Westminster Choir College in Princeton, New Jersey, bevor er seine Studien bei renommierten Dirigenten fortsetzte, insbesondere bei Carlo Maria Giulini. Als er 2004 erstmals in Europa auftrat, hatte er bereits sein eigenes professionelles Orchester und Vokalensemble, La Chapelle de Montréal, gegründet und dirigierte alle großen kanadischen Ensembles. 2008 wurde er zum Ersten Gastdirigenten des London Philharmonic Orchestra ernannt und hatte dieses Amt bis 2014 inne.
Nézet-Séguin ist gleichermaßen im Konzertsaal wie im Opernhaus zu Hause. Sein Debüt bei den Salzburger Festspielen gab er 2008, an der Mailänder Scala trat er 2011 das erste Mal auf, darüber hinaus hat er am Royal Opera House, Covent Garden, an der Wiener Staatsoper und der Nederlandse Opera dirigiert und im Baden-Badener Festspielhaus maßgeblich an einer höchst erfolgreichen Reihe von Mozart-Opern mit dem Chamber Orchestra of Europe mitgearbeitet. Ehemals Chorleiter, Assistenzdirigent und musikalischer Berater an der Opéra de Montréal, leitete er dort Produktionen von zum Beispiel L’incoronazione di Poppea, Così fan tutte, L’elisir d‘amore oder Pelléas et Mélisande.
Nach seinem Debüt an der Metropolitan Opera im Jahr 2009 mit einer gefeierten Produktion von Carmen kehrte er in jeder Spielzeit zurück und leitete dort Aufführungen von Don Carlo, Faust, La traviata, Rusalka, Otello, Der fliegende Holländer, Parsifal und Elektra. In seiner ersten Saison als Musikdirektor der Met leitete er dort La traviata, Pelléas et Mélisande und Dialogues des Carmélites. Zudem dirigierte er erstmals das Orchester der Met außerhalb des Opernhauses bei zwei Konzerten in der Carnegie Hall. Besonders denkwürdig waren seither unter anderem eine Aufführung des Verdi-Requiems anlässlich des 20. Jahrestags der Anschläge vom 11. September 2001 und einen Monat später die historisch zu nennende Opernsaison-Eröffnung, bei der er die erste Aufführung einer Oper eines afroamerikanischen Komponisten an der Met dirigierte: Terence Blanchards Fire Shut Up in My Bones.
Höhepunkte zu Beginn von Nézet-Séguins Saison 2023/24 sind ein Konzert mit dem Orchestre Métropolitain in Montréal – auf dem Programm stehen die Uraufführung eines Werks von Cris Derksen sowie Sibelius’ Symphonie Nr. 2 und Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 mit Bruce Liu als Solist (16. September); die mit Spannung erwartete Met-Erstaufführung von Jake Heggies Dead Man Walking (26. September); und wiederum Rachmaninow mit dem Philadelphia Orchestra in der Carnegie Hall (17. Oktober) und auf Europatournee (Oktober/November).
Yannick Nézet-Séguin unterzeichnete im Mai 2018 einen Exklusivvertrag mit Deutsche Grammophon und setzte damit eine langfristige Partnerschaft fort, die 2012 mit dem Start eines großen neuen Zyklus der reifen Mozart-Opern begann, aufgenommen in Baden-Baden mit Rolando Villazón in führenden Rollen. Bisher erschienen sechs dieser Aufnahmen: Don Giovanni, Così fan tutte, Die Entführung aus dem Serail und Le nozze di Figaro (beide für einen Grammy nominiert), La clemenza di Tito und Die Zauberflöte.
Die ersten Orchesteraufnahmen des Dirigenten für Deutsche Grammophon erschienen 2013. Er dirigierte zunächst das Philadelphia Orchestra in dessen erstem Studio-Album für ein großes Label seit einer DG-Aufnahme 1997. Es enthielt Strawinskys Le Sacre du printemps sowie Bach- und Strawinsky-Arrangements von Stokowski. Das zweite Album, diesmal mit dem Philharmonischen Orchester Rotterdam, bot Tschaikowskys Symphonie Nr. 6 »Pathétique« und Romanzen aus opp. 6 und 73, bei denen der Dirigent Lisa Batiashvili auf dem Klavier begleitet. Seine Aufnahme der Schumann-Symphonien mit dem Chamber Orchestra of Europe erschien 2014, Variationen von Rachmaninow mit dem Pianisten Daniil Trifonov und dem Philadelphia Orchestra kamen 2015 heraus. Nézet-Séguin arbeitete erneut mit dem COE bei der Aufnahme sämtlicher Symphonien von Mendelssohn – das drei CDs umfassende Album erschien 2017. Im selben Jahr wurde das Album Duets mit Rolando Villazón, Ildar Abdrazakov und dem Orchestre Métropolitain veröffentlicht.
Visions of Prokofiev, veröffentlicht im Februar 2018, bietet Lisa Batiashvilis Aufführungen von Prokofjews Violinkonzerten sowie Arrangements von drei Stücken aus dessen Bühnenwerken, Nézet-Séguin steht wiederum am Pult des COE. Nach gefeierten Live-Aufführungen von Leonard Bernsteins Mass nahm Nézet-Séguin mit dem Philadelphia Orchestra das Werk auf, es erschien im März 2018 und gehörte damit erstmals zum DG-Katalog. Drei Monate später kam The Rotterdam Philharmonic Orchestra Collection heraus, eine sechs CDs umfassende Kassette mit bis dahin unveröffentlichten Live-Aufnahmen, handverlesen von Nézet-Séguin.
2020 veröffentlichten der Dirigent und das Philadelphia Orchestra eine Aufnahme von Mahlers Symphonie Nr. 8, einem monumentalen Werk, das in der Verizon Hall in Philadelphia anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der US-amerikanischen Erstaufführung zu Gehör gebracht und von Deutsche Grammophon mitgeschnitten wurde. Nachdem er während des Lockdowns an sein Klavier zurückgekehrt war, nahm Nézet-Séguin Klavierstücke unter anderem von Bach, Haydn, Mozart, Schostakowitsch und Berio für sein im Juni 2021 erschienenes Album Introspection auf, auf dem der Dirigent erstmals bei DG als Solist zu erleben ist. Im September des Jahres folgte die digitale Veröffentlichung der Aufnahmen, die er mit dem Philadelphia Orchestra von den Symphonien Nr. 1 und 3 der bahnbrechenden afroamerikanischen Komponistin Florence Price gemacht hatte; das Album erschien im Januar 2022 auf CD und wurde mit einem Grammy als beste Orchestereinspielung und einem Diapason d’or ausgezeichnet.
Im Juli 2022 veröffentlichte DG Nézet-Séguins Interpretationen sämtlicher Beethoven-Symphonien mit dem COE, die erste Einspielung des Zyklus auf der Grundlage der Neuen Beethoven-Gesamtausgabe. Im selben Monat kam A Concert For Ukraine heraus, die Aufnahme einer Veranstaltung der Metropolitan Opera, um Solidarität mit dem ukrainischen Volk zu bekunden. Unter Leitung von Nézet-Séguin brachten Starsolisten sowie Chor und Orchester der Met Musik zu Gehör, die Trost und Hoffnung spenden sollte. Ebenfalls in diesem Jahr wirkten er und das Philadelphia Orchestra in Chaussons Poème auf Lisa Batiashvilis Album Secret Love Letters mit.
Ein Schwerpunkt für Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra war in den letzten Jahren die Musik von Rachmaninow, einem Komponisten mit einer einzigartig engen Beziehung zu diesem Orchester. Mit Daniil Trifonov haben sie die vier Klavierkonzerte eingespielt: Das erste von zwei Alben, das die Konzerte Nr. 2 und 4 enthält, erschien im Oktober 2018 und gewann den Konzertpreis bei den BBC Music Magazine Awards; das zweite mit den Konzerten Nr. 1 und 3 sowie Trifonovs Transkriptionen von Vocalise und Die silbernen Schlittenglocken kam im Oktober 2019 heraus und wurde für einen Grammy nominiert. Der Dirigent und sein Orchester nahmen dann die drei Symphonien und weitere Orchesterwerke des Komponisten auf. Ihre Aufführung der Symphonie Nr. 1 und der Symphonischen Tänze erschien im Januar 2021, ein Doppelalbum mit den Symphonien Nr. 2 und 3 und Die Toteninsel wurde im Juni 2023 im Rahmen der Feiern zu Rachmaninows 150. Geburtstag veröffentlicht.
Yannick Nézet-Séguin erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise: »Künstler des Jahres« von Musical America (2016) und »Dirigent des Jahres« beim Echo Klassik-Preis 2014; Royal Philharmonic Society Award; National Arts Centre Award; Virginia Parker Prize; Prix Denise-Pelletier; und Oskar Morawetz Award. Hinzu kommen acht Ehrendoktorwürden: von der Université de Québec à Montréal (2011), dem Curtis Institute of Music in Philadelphia (2014), dem Westminster Choir College of Rider University (2015), der McGill University in Montreal (2017), der Université de Montréal (2017), der Penn University (2018), der Université Laval (2021) und der Drexel University in Philadelphia (2023). Er ist Companion of the Order of Canada (2012), Compagnon des arts et des lettres du Québec (2015), Officier de l’Ordre national du Québec (2015), Officier de l‘Ordre de Montréal (2017) und Honorary Fellow des Royal Conservatory of Music in Toronto (2020) und Officier dans l’ordre des Arts et des Lettres der französischen Regierung (2021).
7/2023