Jay Farrar wird es vermutlich hassen, aber man kommt nicht umhin, das Schaffen seiner Band Son Volt immer auch im Spiegel von Wilco zu lesen. Denn mit deren Chef Jeff Tweedy hatte Farrar ja Anfang der 90er mit Uncle Tupelo mal eben den sogenannten Alternative-Country ins Leben geholt und in vier Alben bis zur Perfektion durchdekliniert. Nachdem er sich mit Tweedy zerstritten hatte, gab’s dann für Farrar Son Volt, während Tweedy eben Wilco gründete. Wer hätte damals gedacht, dass Wilco fast zwanzig Jahre später in Amerika beinahe riesig sind, während Son Volt immer noch der hoch geschätzte Geheimtipp bleiben. Dabei waren sich doch viele einig, das Farrar die spannendere Stimme hatte und eher als Bandleader taugte.
Das mittlerweile sechste Album liefert eine gute Antwort, warum die Dinge sind wie sie sind – auch und vor allem – wenn man dabei wieder gen Wilco linst. Die haben soeben “Wilco: The Album” veröffentlicht, das regelrecht unbeschwert klingt, wenn man es mit “American Central Dust” vergleicht. Während Tweedy und Co. sich nämlich auch vor eingängigen Melodien nicht scheuen und es ihren Hörern damit sehr leicht machen, sie zu lieben, bleibt ein Farrar-Album ein sperriges Biest – und wirkt eben deshalb tiefer und länger nach. Das ahnt man schon beim Opener “Dynamite”, in dem Farrar über einen schleppenden Drumbeat und staubig mäandernde Gitarren singt: “The journey’s never done and the way is long / this love is like celebrating the 4th of July with dynamite”. Farrars Stimme, dieses whiskeyraue Organ, das sich schon durch sämtliche emotionalen Untiefen gesungen hat, bleibt dabei das größte Faszinosum, was sich auch im weiteren Verlauf des Albums nicht ändert.|Wie in “Cocaine And Ashes”, eine bittersüße Ballade über das Leben, die Sucht und die Einsamkeit. Hier singt einer, der im Koksrausch die Asche seines Vaters geschnupft hat, dem gesagt wurde, er habe nur noch sechs Monate zu leben, und der doch nur geschlagen und schulterzuckend konstatieren kann: “Addiction is something I should know something about”. Dabei dominiert eine Klaviermelodie den eher minimalistisch-instrumentierten Song. Farrar sagte in einem Interview dazu: “Diesmal strebte ich eine gewisse Einfachheit an, sogar beim Aufbau der Songs. Das habe ich wahrscheinlich dadurch gelernt, dass ich mir Tom Waits anhörte. Bei ihm kann Einfachheit eine Tugend sein.” Das gleiche Konzept, hört man “Sultana” an – einem Lied, das eindeutig in der Folk-Tradition eines Woody Guthries liegt, und lyrisch, ja fast literarisch, das Unglück der “Sultana” wiedergibt, einem Schiff, das 1865 in den eisigen Fluten auf dem Mississippi River versank und für ihn so zur “Titanic of the Mississippi” wurde.
Diese lyrische Brillanz war allerdings schon immer Farrars Stärke, vor allem wenn sie einher geht mit seiner genauen Beobachtungsgabe. In “Down To The Wire” schafft er es zum Beispiel, mit nur einer Handvoll Wörter ein Bild zu zeichnen, das die gesamte Stimmung des Albums trifft: “Plastic grocery bags fly from the trees / Proud symbols of cavalier progress”. So sieht’s also aus in dem staubigen Amerika, das Farrar zu der Zeit vor Augen hatte, als er die Texte für dieses Album schrieb. Das war im Sommer letzten Jahres, als die Wirtschaftskrise Amerika zu Boden gebracht hatte, und das Scheitern des Amerikanischen Traums an Details wie diesen abzulesen war. Damit ist “American Central Dust” vielleicht genau die musikalische Momentaufnahme, die man in hundert Jahren hören müsste, um zu verstehen, wie man sich damals in Amerika gefühlt haben muss. Tja, und das Wilco-Album? Bleibt ein schönes – aber mehr auch nicht.