Händels Suiten für Tasteninstrument sind den meisten Konzertpianisten fremd. Seong-Jin Cho möchte mit seinem jüngsten Album für Deutsche Grammophon neues Licht auf diese gefühlvollen Werke der Barockmusik werfen. The Handel Project, das am 3. Februar 2023 erscheint, enthält drei Favoriten des 28-jährigen südkoreanischen Pianisten aus Händels erster Sammlung der Suites de pièces pour le clavecin. Und auch Brahms’ virtuose Variationen und Fuge über ein Thema von Händel hat Cho eingespielt, für ihn »die besten Variationen, die je geschrieben wurden.«
Nachdem sich der Pianist jahrelang mit Musik aus späteren Epochen beschäftigt hatte, gelangten Händels Tastenwerke in seinen Fokus, nicht zuletzt durch ihren Reichtum an musikalischen Einfällen und melodischer Erfindung. Cho hörte sich Cembaloeinspielungen an – Aufnahmen also mit jenem Instrument, für das die Stücke ursprünglich geschrieben wurden – und schliff seine Fingerfertigkeit, um Händels kontrapunktischen Linien nuanciert Farben und Gewicht zu geben. In seinem Spiel verzichtete er möglichst auf das rechte Pedal, modifizierte jedoch einige der dynamischen Markierungen, um das Potenzial des modernen Flügels auszuschöpfen.
»Natürlich ist Bach der populärste Barockkomponist«, sagt Cho. »Ich habe jedoch vor ein paar Jahren festgestellt, dass es auch von Händel viele großartige Klaviersuiten gibt, die nicht sehr oft auf dem modernen Flügel gespielt werden. Ich weiß nicht mehr, wann ich Händels Musik zum ersten Mal gehört habe, aber ich interessiere mich schon seit meiner Jugend für die Werke von Barockkomponisten – Händel, Rameau, Couperin. Ich wollte wirklich eintauchen in diese Musik und war daher sehr glücklich, dass ich mich an diese Einspielung setzen konnte. Für mich kommt Händels Musik von Herzen, die Menschen können ihr leicht folgen.«
Seong-Jin Cho wählte drei Stücke aus der ersten der beiden Suitensammlungen von Händel aus. Sie wurde 1720 in London veröffentlicht, als Reaktion auf eine zeitgenössische Raubkopie seiner Tastenlektionen. Er eröffnet sein Album mit dem Adagio aus der Suite Nr. 2 in F-Dur, HWV 427, einer Arie ohne Worte, die eine Satzabfolge von schnell-langsam-schnell einleitet. Die Suite Nr. 8 in f-Moll, HWV 433, beginnt mit einem melancholischen Präludium und geht über in eine mitreißende Fuge, eine elegante Allemande und einen lebhaften Schluss aus Courante und Gigue. Cho krönt seine Auswahl mit der Suite Nr. 5 in E-Dur, HWV 430, die für ihren Schlusssatz Air mit Variationen berühmt ist, besser bekannt als »Grobschmied-Variationen«.
Auch der Einfluss Händels auf spätere Komponisten interessierte Cho. Er entschied sich deshalb, Brahms’ schöpferische Antwort auf dessen Musik einzuspielen. Variationen und Fuge über ein Thema von Händel wurde im September 1861 innerhalb weniger Wochen zu Papier gebracht – eine bemerkenswerte Leistung angesichts der Vielfalt und Fantasie des Stücks. Brahms legte seinen 25 Variationen die Air aus Händels Suite Nr. 3 in B-Dur, HWV 434, zugrunde, ein einfaches Thema, über das Händel selbst vier kurze Variationen schrieb. Technik und musikalische Komplexität der Komposition stellen hohe Anforderungen an den Interpreten.
»Ich halte die Fuge von Brahms für ein geniales Stück«, sagt Cho. »Obwohl es darin so viele neue Ideen gibt, geht Händel nicht verloren. Die Fuge ist wie ein gewaltiger Berg, man weiß, dass er schwer zu erklimmen ist. Und wenn man den Gipfel erreicht, ist man wie erleichtert. Das ist für mich ein geradezu überwältigender Moment.«
Das Album schließt mit zwei einzelnen Sätzen aus Händels zweitem, 1733 veröffentlichten Band der Suites de pièces pour le clavecin: einer Sarabande in B-Dur, HWV 440/3, und einem von Wilhelm Kempff arrangierten Menuett in g-Moll. »Ich habe Kempffs Bearbeitung vor ein paar Jahren online gefunden«, erinnert sich Cho. »Ich fand sie sehr schön und dachte damals, dass ich sie eines Tages gern spielen würde.«
Seong-Jin Cho wird mit dem Repertoire seines Albums auf eine achttägige Tournee gehen. Sie beginnt am 5. Februar 2023 in Hannover und führt weiter nach Düsseldorf, Hamburg, Dortmund, London, Mailand, Berlin und Wien.