Trompete und Gitarre? Bei dieser außergewöhnlichen Instrumentalkombination muss man – da sie so selten ist – unwillkürlich an das Album “There’ll Never Be Another You” denken, das Chet Baker 1985 mit dem Gitarristen Philip Catherine aufnahm (zusammen mit dem französischen Bassisten Jean-Louis Rassinfosse bildeten die beiden zwischen 1983 und 1985 auch ein faszinierendes Trio). Aber im Gegensatz zu Catherine spielt Towner ausschließlich akustische Gitarren und Trompeter Paolo Fresu steht der Schule von Miles Davis deutlicher näher als der von Baker. Auch musikalisch liefert das amerikanisch-italienische Duo natürlich ein völlig anderes Programm: es besteht – abgesehen von einer Interpretation des Miles-Davis-/Bill-Evans-Klassikers “Blue In Green” (den Towner 1986 schon einmal für “Slide Show”, sein ECM-Duoalbum mit dem Vibraphonisten Gary Burton, eingespielt hatte) – aus alten und neuen Kompositionen Ralph Towners sowie gemeinsamen Improvisationen.
Die beiden Protagonisten hatten sich vor fünfzehn Jahren bei einem Festival auf Sardinien kennengelernt. Towner hatte damals einen Kompositionsauftrag für ein italienisches Ensemble erhalten und der Trompeter desselben war niemand anders als Paolo Fresu. “Ich hatte bis dahin noch nie von ihm gehört”, einnert sich Towner, “aber schon bei der ersten Phrase, die er spielte, dachte ich nur: Wow, dieser Typ versteht wirklich etwas von Melodien! Auf dem Fleck nahm ich mir vor, irgendwann in der Zukunft einmal mit ihm zusammenzuarbeiten.”
Dieser Zeitpunkt war jetzt endlich gekommen. Und “Punta giara”, eines der Stücke, die Towner damals für das Ensemble geschrieben hatte, wurde nun für “Chiaroscuro” einer Revision unterzogen. So wie auch “Wistful Thinking”, das Towner erstmals 1991 für das mit Peter Erskine gemachte ECM-Album “Open Letter” eingespielt hatte, und “Zephyr” vom 1987er Oregon-Album “Ecotopia”. Andere Stücke wurden eigens für diese Begegnung geschrieben oder sind das Werk gemeinsamer Improvisation. Für “Sacred Place” und “Double Up” wechselte Towner, der hier sonst klassische und zwölfsaitige Gitarre spielt, zu seiner neuen, tiefer gestimmten Baritongitarre. Dass Towner und Fresu trotz dieser unüblichen Instrumentierung so wunderbar miteinander harmonieren, hat vielleicht auch damit zu tun, dass der amerikanische Multiinstrumentalist, der nun schon seit über zehn Jahren in der Nähe von Rom lebt, als Jugendlicher selbst Trompete spielte und auch auf seinen Solo- und Oregon-Alben immer mal wieder zu Waldhorn, Kornett oder Flügelhorn greift.
Mit “Chiaroscuro” ist Ralph Towner und Paolo Fresu ein ungewöhnliches Meisterwerk des kammermusikalischen Jazz gelungen. So wie beim Film noir kommnt auch hier ein Kontraste schaffendender Abstufungseffekt (Chiaroscuro-Effekt) zum Zuge und es entsteht eine Art Musique noir.