Matthias Goerne ist einer der großen Interpreten von Schuberts Liedern. Doch nun gibt er mit seinem neuesten Album für Deutsche Grammophon eine bemerkenswerte Premiere. Er verlässt gewohntes Terrain und bringt die Lieder des Komponisten in Bearbeitungen für Gesang und Orchester zu Gehör. Sein langjähriger Konzertpartner Alexander Schmalcz hat sie geschaffen. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen begleitet den Bariton. Schubert Revisited erscheint am 6. Januar 2023 auf CD und digital, auch im immersiven Klangformat Dolby Atmos.
Goerne hat ein tiefes Verständnis für die Schubert’sche Kunst aus formaler Logik, expressiver Nuancierung und musikalischer Erfindungsgabe, und das zeigt sich auf Schubert Revisited. Schon oft hat er die Lieder vor Publikum gesungen, in ihrer Originalfassung für Gesang und Klavier und mit Alexander Schmalcz, den er seit fast 25 Jahren kennt. Das breite Spektrum an instrumentalen Farben und Texturen, die Schmalcz jetzt in die Auswahl einbringt, verdichtet die emotionale Wirkung der Interpretation. »Sie bekommen eine klangliche Dimension, die das Klavier so nicht darstellen kann«, erklärt der Sänger. »Das heißt nicht, dass sie besser ist, sondern anders.«
Die feine Auslese von 19 Liedern umfasst so bekannte Stücke wie An Silvia, Der Tod und das Mädchen und Erlkönig, aber auch die drei erhabenen, nie zuvor für Orchester arrangierten Gesänge des Harfners mit den Texten aus Wilhelm Meister von Goethe. »Es gibt kaum etwas Bedeutungsvolleres unter den Goethe-Vertonungen«, sagt Goerne. »Das ist für mich ein echter Zugewinn.«
Eingespielt wurden zudem eindrucksvolle Orchestrierungen von Alinde und Des Fischers Liebesglück sowie Stimme der Liebe, dessen Emotionalität durch Schmalcz’ Arrangement noch betont wird, schließlich Das Heimweh und Wandrers Nachtlied, Letztgenanntes mit klagendem Englischhorn, Abendstern und Schuberts herausragende Vertonung von Grenzen der Menschheit, die sich hier als dramatische Scena für Bariton und Orchester entfaltet.
Anstelle eines Dirigenten leitet Goerne gemeinsam mit Konzertmeister Florian Donderer Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. In intensiven Proben erschlossen sich Solist und Orchester jedes Detail der Darbietung, sodass sich ihnen während der Aufnahme in Bezug auf Tempo und Phrasierung umso mehr Freiheit bot. Goerne empfand die Zusammenarbeit als große Bereicherung, denn in diesem Orchester verbinden sich Erfahrung und Musikalität mit der Bereitschaft, Experimente zu wagen und einem neuen Gedanken nachzugehen. »Das ist für mich die ideale Form, Musik zu machen«, sagt der Sänger, »wenn Leute im Moment miteinander verschmelzen.«
Und er ergänzt: »Schuberts Lieder schaffen eine perfekte Balance zwischen Intellektualität und größter Natürlichkeit. Komplizierteste Melodien und Formen klingen bei ihm ganz natürlich.« Viele frühere Versuche, Schuberts Lieder zu orchestrieren, nahmen dem Ausdruck etwas von seiner Intimität, weil die orchestrale Dichte die Stimme einschloss, so Goerne. Schmalcz’ klare Arrangements hingegen waren eine Offenbarung. »Seine Kreativität bei der Umsetzung für Orchester ist enorm: Sein Stilempfinden und sein feinfühliger Ansatz, mit dem er die richtigen Instrumente zum richtigen Moment einsetzt, sind wirklich erstaunlich.«
Die Wahl der Klangfarbe, so Schmalcz, war in der Bearbeitung die größte Herausforderung, nämlich »wie man die Idee und den Charakter eines Liedes in eine Orchesterfarbe überträgt.« Beispielhaft für Schmalcz’ feine Orchestrierungskunst sind die pastorale Oboe in Schäfers Klagelied, die dunklen Klänge von Pauke und Kontrabass im Erlkönig und die gedämpfte Bratsche in Des Fischers Liebesglück, die die Atmosphäre des im Text beschriebenen nebelverhangenen Sees heraufbeschwört.
Was wir auf diesem Album zu hören bekommen, ist aber »reiner Schubert«, betont Schmalcz. »Ich schreibe da nichts dazu. Mitunter fülle ich Stimmen auf, indem ich z. B. eine Oktave hinzufüge. Oder ich setze liegende Akkorde im Orchester ein, um die Klangflächen zu simulieren, die sich aus dem Pedalgebrauch am Klavier ergeben. Mein Ziel ist aber: So original wie möglich!«
Mit einer Auswahl des Albumrepertoires sind Goerne und Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Leitung von Manfred Honeck am 10. November in der Glocke in Bremen zu erleben und am 12. November im Théâtre des Champs-Élysées in Paris.