Der britische Schriftsteller und Journalist
Geoff Dyer feierte
Keith Jarrett letzte Woche im
Observer nicht nur als den “größten Pianisten der Welt”, sondern auch als den “größten lebenden Musiker” überhaupt. Anlass war der 70. Geburtstag des Künstlers am 8. Mai 2015. Dass Dyer Jarrett nicht nur auf das Klavier und den Jazz reduzierte hat einen guten Grund:
Zum einen präsentierte sich dieser im Laufe seiner beinahe 50 Jahre umspannenden Karriere nicht nur am Piano und anderen Tasteninstrumenten wie Orgel und Cembalo, sondern griff gelegentlich auch zu Sopransaxophon, Flöte, E-Gitarre, E-Bass, Percussion, etc.; zum anderen beschränkte er sich nicht auf den Jazz (in seinen diversesten Varianten), sondern nahm auch etliche klassische Alben auf. Dies ist nicht zuletzt auch an den beiden zum Geburtstag erschienenen Neuveröffentlichungen abzulesen, dem Improvisationsalbum “Creation” und dem Klassikalbum “Samuel Barber / Béla Bartók”.
Jarretts Vielseitigkeit spiegelt sich darüber hinaus in den
fünfzehn ECM-Alben wieder, von denen der Großteil erstmals
neu gemastert im
MfiT-Format bei iTunes erhältlich ist. Zehn dieser Alben sind dem einzigartigen Jazzimprovisator gewidmet, fünf weitere dem originellen Interpreten klassischer Werke. Die Alben kann man bei iTunes einzeln erwerben oder, besonders preiswert, zusammengefasst in einer “
Jazz Collection” und einer “
Classical Collection”. Im iTunes Music Store gibt es zudem eine eigens Keith Jarrett gewidmete “Curated Artist Page”, auf der sämtliche Aufnahmen von Keith Jarrett strukturiert angeboten werden.
Keith Jarrett: Facing You (ECM 1017)
Als Keith Jarrett im November 1971 in einem Studio in Oslo sein erstes Soloalbum für ECM einspielte, konnte noch niemand ahnen, dass er damit eine stille Revolution im Jazz einleiten würde. Kurz zuvor hatte der damals 26jährige Pianist noch als elektrisch verstärkter Tastenvirtuose Miles Davis bei der Einspielung der Alben “Get Up With It”, “Directions”, “Miles Davis At Fillmore” und “Live – Evil” begleitet. Mit “Facing You” schlug Jarrett ein völlig neues Kapitel in seiner Karriere auf: das der Piano-Soloimprovisation. “Die acht eigenen Kompositionen vereinen den freien Puls der Avantgarde mit der Romantik der unmittelbaren Schaffenskraft”, beobachtete Jazzkritiker Ralf Dombrowski.
“Jarretts Hang zur Harmonie trotz hartem, klaren Anschlag und seine choralhafte Innerlichkeit verschaffen schon ‘Facing You’ die Aura der Gefühlstiefe, die später mit ‘The Köln Concert’ weltberühmt wurde. Ein Meilenstein.”
J.S. Bach: The French Suits (ECM New Series 1513/14)
“Ohne Bach”, bemerkte der Jazz-Saxofonist Joshua Redman einmal, “kannst du Jazz gar nicht spielen.” Man könnte den Satz auch umkehren. Ohne Jazz, und das hieße dann: ohne Improvisationskunst und die Lust an ausgedehnten Bassläufen, kannst du Bach gar nicht spielen. Doch wie auch immer man den Zusammenhang fasst: Es gibt ihn, und manche beleuchten ihn direkt, indem sie Bachs natürlichen Swing aufweisen (Jacques Loussier). Andere hingegen lassen die Berührungen diskret aufscheinen und schaffen erst einmal Distanz.
Zu Letzteren zählt Keith Jarrett, und in keiner seiner großen Bach-Einspielungen hat er die Verbindung zu seiner Jazz-Herkunft klarer gelöst als in seinem ECM-Doppelalbum “J.S. Bach: The French Suits”. In dieser Veröffentlichung aus dem Jahre 1993 hört man ihn auf einem zweimanualigen Cembalo von Tatsuo Takahashi Bachs Französische Suiten spielen. Das Besondere an dieser Aufnahme: die “blühende Ornamentik” (Stereoplay 2 ÷ 94) und Jarretts unbändige Lust, jede harmonische Schönheit bis ins kleinste Detail auszuloten.
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