»Mannschaften, in denen sich einer für den Star hält, verlieren meist« Sie wirken wie zwei ungleiche Brüder, als sie morgens auf dem Berliner Hotel-Sofa Platz nehmen. Joey Calderazzo hat einen Kaffee vor sich stehen, während Branford Marsalis sich einen schwarzen Tee besorgt hat. Vor ein paar Stunden standen sie noch in Alaska auf der Bühne, mit dem “Branford Marsalis Quartet” – jetzt erzählen Sie von ihrem Duo-Album, das im Juni erscheinen soll. Ihren ersten Auftritt zu zweit hatten die beiden Nachbarn bei einem Turnier auf dem heimischen Golfplatz – das Newport Festival 2009 war dann die offizielle Premiere.
Foto: Universal Music
Die enge Zusammenarbeit im Duo ist für beide ein neues Kapitel: Sie kennen sich schon seit 1980, noch bevor
Marsalis als ‘Young Lion’ in Art Blakey´s Jazz Messengers bekannt wurde. Sieben Jahre später betrat Calderazzo selbst die internationale Bühne – im Quintett des Saxophonisten Michael Brecker. Als 1999 Kenny Kirkland starb (bis dahin der Pianist im Branford Marsalis Quartett) holte der Saxophonist den fünf Jahre jüngeren Calderazzo in seine Band.
JazzEcho: Herr Marsalis, Herr Calderazzo, Sie spielen seit einem Dutzend Jahren im Quartett zusammen. Jetzt haben sie ein Album als Duo aufgenommen. Wollten Sie einen neuen, kammermusikalischen Sound ausprobieren?
Joey Calderazzo: Wir beide lieben einfach schöne Musik. Im Duo können wir sie von einer anderen Perspektive aus entdecken. Zum Beispiel das Stück “Hope”, das habe ich eigentlich für Michael Brecker geschrieben: Branford interpretiert das ganz anders. Und das bringt mich wieder auf ganz neue Ideen. Oder Chopin: vor ein paar Jahren fing ich an, intensiv seine Nocturnes zu hören. Heute merke ich, wie einige meiner Songs ganz klar davon beeinflusst wurden. Als Klavierschüler hab ich solche Sachen gespielt – zwar ohne Fehler, aber ein guter Klassik-Spieler war ich nicht.
JazzEcho: Dafür wurden Sie früh als Jazzpianist auffällig. Schon mit Vierzehn sollen Sie bei einer Jamsession mit Branford Marsalis eingestiegen sein.
Joe Calderazzo: Ja, ich besuchte meinen Bruder, der am Berklee College of Music studierte. Ich lief durch die Flure und in einem der Übungsräume spielte Branford mit ein paar Kollegen…
Branford Marsalis: Er kam rein, setzte sich ans Klavier und spielte ‘Moment´s Notice’ – schneller als ich das konnte. Ich fragte meine Freunde “Wer ist denn das?” Dieser Junge hatte eine Menge Spaß, mit uns zu spielen. Aber eben nicht, weil er schneller war, als alle anderen. Und das ist selten, denn die meisten spielen Jazz, als ob das ein Wettbewerb wäre. Dabei gibt es nicht mal einen Preis für den besten Spieler. Was gewinnst Du denn, wenn Du nachher sagen kannst: ‘Ich hab heute richtig gut gespielt und alle anderen waren richtig schlecht’ ? Nichts. Aber schau Dir die Bundesliga an: die Mannschaften, in denen sich einer für den Star hält – und die anderen für viel schlechter – verlieren in der Regel.
Es gibt kaum einen Jazzmusiker – Sonny Rollins ist da vielleicht die Ausnahme – der nur wegen seiner wirklich unglaublichen Soli bekannt geworden ist. Es sind die Bands, die das möglich gemacht haben.
JazzEcho: Herr Calderazzo, als Gastprofessor in North Carolina hatten Sie eine Band mit jungen Studenten. Da waren dann aber Sie der Star, oder?
Joey Calderazzo: Diese Jungs kamen aus Kirchenbands. Das heißt, sie kannten sich im Jazz nicht aus, kannten keine Stücke, keine berühmten Soli. Aber ihr Feeling und die Time, mit der sie spielten, waren einfach geerdet. Und das ist für mich das Wichtigste. Es geht doch um die emotionale Seite eines Stücks. Akkorde und all das sind doch nur der Rahmen…
Branford Marsalis: …es ist wie eine Unterhaltung. Du fragst etwas, Joey gibt eine Antwort und daraufhin überlegst Du dir die nächste Frage. Aber viele Bands hören sich an, als hätten sie schon alle Antworten parat, wenn sie auf die Bühne gehen. Wenn man das übersetzt, fragt der Drummer vielleicht ‘Wie geht es Dir heute?’ und sein Kollege antwortet ‘Nur die Harten komm´n in´n Garten’ – der Dritte sagt ‘Oh, ich mag mein neues Auto!’ – so klingt das wirklich oft. Jeder hat etwas geübt und sich gesagt ‘Das klingt toll, ich werde es allen zeigen!’ Das ist musikalisches Wiederkäuen. Wir versuchen das zu vermeiden.
JazzEcho: Jetzt spielen Sie im Duo – ist die Unterhaltung nicht viel anregender, wenn mehr Leute daran beteiligt sind?
Branford Marsalis: Nein. Im Gegenteil. Man hört immer wieder Jazzduos, die versuchen, zu zweit ein Quartett zu simulieren. Der Pianist spielt Walking Bass-Linien und so weiter. Wenn ich einen Bass will, dann engagiere ich einen Bassisten! Umgekehrt: was Joey und ich hier als Duo machen, könnten wir nicht im Quartett spielen.
JazzEcho: Das Programm – diese ‘Songs of Mirth and Melancholy’ – reicht vom Stride-Piano in »One Way« über Wayne Shorters »Face on the Barroom Floor« bis zu dem Brahms-Lied »Die Trauernde«. Wollen sie damit beweisen, dass sie als Jazzmusiker auch ‘klassisch’ spielen können?
Branford Marsalis: Warum sollte ich das noch beweisen? Ich trete immer wieder mit Sinfonie-Orchestern auf. Das ‘klassische’ habe ich gelernt. Ich glaube, als Musiker musst Du immer weiter lernen; dein Vokabular, das Spektrum deiner Klangfarben erweitern und dich aus möglichst verschiedenen Quellen beeinflussen lassen. So musste ich – als Joey sein »La Valse Kendall« (eine impressionistische Walzer-Ballade) mitbrachte – zum Beispiel nicht lange fragen: ‘Oh, wie soll ich das denn spielen’? Es war klar, dass das kein Jazz-Solo verträgt.
Das Schöne an unserem Duo ist: Es geht nicht darum, die Musik an ein vorgefertigtes Vokabular anzupassen. Das ist nicht, was ich unter ‘Jazz’ verstehe, oder unter ‘Musik’ überhaupt. Das wäre nur ein Haufen Noten auf einer Seite, die Du hinter dich bringst. Aber es gibt einen Unterschied zwischen einem Solo, das etwas für den Song bedeutet und einer ‘Improvisation’ über die richtigen Akkorde. In diesem Duo geht es nicht darum, die richtigen Töne zu spielen, es geht darum, Musik zu machen.