Mit biblischen 83 Jahren darf B.B. King unumwunden Legendenstatus attestiert werden – obwohl der bescheidene 14-fache Grammy-Gewinner solche Platitüden sicherlich vehement von sich weisen würde. Wer ist schon gerne ein lebendes Denkmal? Selbst dann nicht, wenn fast gleichzeitig zum Erscheinen des neuen Albums “One Kind Favor” ein B.B.-King-Museum in Indianola eröffnet wird. Völlig in Ordnung hingegen findet der Veteran, dass sein virtuoser Stil maßgeblich den British Blues Boom der sechziger Jahre beeinflusst hat. Mit Eric Clapton pflegt einer der letzten noch lebenden Blues-Pioniere immerhin schon seit vier Jahrzehnten eine rührende Vater-Sohn-Beziehung, die den Sprössling allerdings populärer werden ließ, als es der Ziehvater jemals sein wird.
Ein außergewöhnliches Album erwartet zum Lebensabend wirklich keiner. Eher pflichtgemäße Vertragserfüllung auf gehobenem Standard. Doch scheint sich B.B. King den späten Johnny Cash mit den von Rick Rubin produzierten “American Recordings” zum Vorbild genommen zu haben. Mit T-Bone Burnett im Produzentensessel, der unter anderem den Soundtrack “Brother Where Art Thou” und “Raising Sand” von Allison Krauss und Robert Plant betreute, sowie prominenten Gästen wie Dr. John am Piano und Jim Keltner am Schlagzeug liefert Altmeister King ein schlicht brillantes Werk, das in seinem klaren Purismus auch schon Anfang der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hätte entstehen können.
Sage keiner, B.B. King würde nicht geschickt mit dem eigenen Mythos spielen. Schlicht wie das schwarz-weisse Cover, das auf Vor- und Rückseite den Meister mit umgehängter Gitarre wahlweise am Mississippi-Ufer oder an den Bahngleisen stehend von hinten zeigt, gestalten sich auch 12 spartanisch arrangierte Songs – aufgezeichnet im The Village Recorder von Los Angeles. Ein Dutzend mehr oder minder bekannte Blues-Klassiker afroamerikanischer Legenden, die, und das ist seltsam genug, fast ausschließlich von einem weißen Publikum in den vergangenen fünf Dekaden goutiert wurden. B.B. King erweist ihnen die Ehre, weil auch er von ihnen profitierte. |Furios der Auftakt mit Blind Lemon Jeffersons und Furry Lewis' “See That My Grave is Kept Clean”, das eine Transformation vom Country-Blues zum New Orleans-Blues erfährt. Im Mittelpunkt: Neil Larsens Hammond-B3, Dr. Johns subtil eingesetztes Piano und Kings stimmliches Lamento. Ganz anders hingegen “I Get So Weary”. Eine klassische Visitenkarte B.B. Kings im typischen City-Blues-Stil. Geballte Kraft auch im fortgeschrittenen Alter. Konterkariert wird diese ursprüngliche Lebendigkeit vom Slow Blues “Get These Blues Off Me”, der gewollt oder ungewollt Kings internationalen Hit “The Thrill Is Gone” reminisziert – auch wenn kitschige Streicher hier gänzlich fehlen.
Flotten Jump Blues liefert King mit “How Many More Years”, eine Komposition über eine recht drastische Zweierbeziehung von Chester Burnett, besser bekannt unter seinem Pseudonym Howlin' Wolf. Eine weitere Ballade folgt mit “Waiting For Your Call”. Wiederum ein klassischer 12-Takter um Turbulenzen im zwischenmenschlichen Bereich, komponiert von T-Bone Walker. In etwa gleiche Kerbe haut auch “My Love Is Down” von Lonnie Johnson, einem von B.B. Kings Idolen. Eindringlich die Entwicklung der Zivilisation erörtert “The World Gone Wrong” von Mississippi Sheik. Eine Welt am Abgrund. Auch nach all den Jahren hat der Text nichts von seiner ursprünglichen Eindringlichkeit und schonungslosen Wahrheit eingebüßt.
Mit “Blues Before Sunrise” wagt sich B.B. King gar an einen Klassiker von Übervater John Lee Hooker, der auch schon in Versionen von Muddy Waters, Ray Charles und Eric Clapton erschien. Kein leichtes Unterfangen gegen ein solche Konkurrenz anzustinken. Doch gelingt King bravourös eine ureigene Interpretation, abermals with a little help of Dr. John. Gemächliches Mid-Tempo im “Midnight Blues” mit satten Bläsersätzen und Kings unnachahmlich subtilen Licks auf seinem geliebten Gibson-Modell Lucille. Ganz den Gang runtergeschaltet hat er in “Backwater Blues”. Zeitlupenhaft zelebriert King seinen einzigartigen Stil. Erneut Howlin' Wolf Referenz erweist B.B. King mit “Sitting On Top Of The World”, das dem weißen Rockpublikum weltweit seit den sechziger Jahren vor allem in der Version des britischen Blues-Rock-Trios Cream in Erinnerung sein dürfte. Den Reigen beschließt Lonnie Johnsons Lullaby “Tomorrow Night” mit Dr. Johns kraftvollem Piano und einem besonders inspirierten Solo von King.