Der alte Mann und Lucille. Auch mit über 80 Jahren betont B.B. King immer wieder, wie viel er seiner Gitarre verdankt, der er in den 50er Jahren diesen Frauennamen verlieh. “Ich bin verrückt nach Lucille”, monologisierte King 1967 in seinem Song “Lucille”. “Lucille hat mich von der Plantage geholt, du könntest sagen, sie hat mich berühmt gemacht.” Sie gab ihm all das. Aber King riskierte einmal sein Leben für seine Gitarre, als er sie aus einem brennenden Club rettete. Der war in Flammen aufgegangen, nachdem zwei Betrunkene einen Streit angefangen und dabei einen Ölofen umgeworfen hatten. Später fand B.B. heraus, dass es in dem Streit um eine Frau namens Lucille gegangen war, und daher kam der Name. Der Song “Lucille” ist über 10 Minuten lang, alles andere als radiotauglich. B.B. King stieß in Richtung Konzeptalbum vor und erzählte dort dann seine Geschichte und die seiner Hauptfrau, seines Alter Egos, des zur Gitarre mutierten Wesens Lucille. Das Album “Lucille” produzierte übrigens Bob Thiele, Integralfigur des Avantgarde-Jazzlabels Impulse.
Zur Welt kam Riley B. King in der tiefsten Provinz in der Nähe von Itta Bena, Mississippi. Noch im Kindesalter verwaiste er zur Zeit der Großen Depression in den USA. Ohne die Musik hätte er das Leben als chancenloser Landarbeiter verbracht. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Traktorfahrer auf den Baumwollplantagen weißer Farmer und sparte sich in den vierziger Jahren das Geld für seine erste Gitarre zusammen. Ohne seine Mischung aus Talent, Persönlichkeit, Intuition und Adaptionsfähigkeit hätte sich B.B. King dann aber auch nicht von den zahllosen krächzenden Bluessängern unterschieden, die nach Feierabend in den Juke Joints spielten. Hört man einmal genau auf seine Stimme, so offenbart diese immer wieder neue Facetten: Sie bricht sich, sie kann lamentieren aber sie hat dann plötzlich etwas ganz Geschmeidiges, etwas cool Näselndes, Arrogantes und Schlankes, eine Stimme wie ein maßgeschneiderter Nadelstreifenanzug mit Staubflecken – vor allem auf seinen Aufnahmen der 50er und 60er Jahre. Als B.B. King 1968 auf dem Newport Folk Festival spielte, schlackerte das weiße Hippiepublikum mit den Ohren. Irgendwo dankte es B.B. King wahrscheinlich Bob Dylan, der dort schon drei Jahre zuvor mit elektrischer Gitarre aufgetreten war und das Genre namens Folkrock geschaffen hatte. Im Rückenwind davon begann B.B. Kings Karriere Fahrt aufzunehmen.
Ein Jahr später nahmen ihn die Rolling Stones mit auf ihre US-Tournee. Damit begann die vielleicht einzige kommerzielle Erfolgsgeschichte im Blues. Dem Genre, das Ausgebeutete für Ausgebeutete entwickelten und das dann von Pop ausgebeutet wurde, damals also von R&B, Rock´n´Roll und Soul. Zu Beginn seiner Karriere ging auch B.B.s Blues in eben diesen Aufgüssen unter. Bevor er 1962 bei ABC-Records unterschrieb, hatte er jahrzehntelang für verschiedene in Los Angeles beheimatete so genannte Race Records-Label aufgenommen. Die insgesamt 70 Singles und 25 Alben, die er für die Gebrüder Bihari auf deren Imprints RPM, Crown und Kent einspielte, wurden ausschließlich in den schwarzen Stadtvierteln der amerikanischen Großstädte verkauft. Als der Rock dann aber einige Jahre später, in den mittleren 60er Jahren, seine Schulden beim R&B abzuzahlen begann, als John Mayall oder die Stones ihre Ehrfurcht vor den Bluesgiganten Blind Lemon Jefferson, T-Bone Walker, John Lee Hooker und Muddy Waters bekundeten, war Riley B. King noch ein recht unbeschriebenes Blatt.
Ungeachtet der Tatsache, dass er viel mehr Singles und LPs als seine Mentoren veröffentlicht hatte, war er noch zu jung für das Image der wiederentdeckten Blueslegende. Der in der Talsohle der Großen Depression geborene Überlebenskünstler war smart genug, intuitiv genug, durchsetzungsfähig genug, um sich nicht im Rentnerparadies der klassischen Blueser auszuruhen. Er investierte sein plötzliches Renommé in die Suche nach einer neuen Form des Blues und stellte eine Weiche in seiner Laufbahn. Schon zuvor hatte sein Publikum aus jungen Afroamerikanern bestanden, die sich vom puren und rauen, etwas ungeschliffenen und für manche altbackenen Southern Blues nicht so angesprochen fühlten. So brachte King den Blues auf seinem Kurs aus dem Ghetto hinaus in die Welt. Vielleicht verlor er damit den Respekt der Puristen, genau so wie Louis Armstrong im Jazz. 1966 kam endlich der lang ersehnte Hit für King: “Don´t Answer The Door”. James Brown und Motown dominierten die Charts, und es war eine kleine Sensation, dass Kings Song über die Paranoia eines älteren Mannes über den Lebenswandel seiner jungen Frau auf Platz 2 der R&B-Charts stieg. Als King zum Ende der 60er im Fillmore East und im Filllmore West Theater auftrat, offenbarte sich aber die Tragweite seines eigenen Repertoires: “Sweet Sixteen”, “Why I Sing The Blues”, “Payin The Cost To Be The Boss”, “Whole Lotta Love”.
King landete seinen ersten wirklich großen Durchbruch allerdings mit “The Thrill Is Gone” von Roy Hawkins, einem damals unbekannten Sänger von der Westküste. Wieder war das ein ausgesprochenes “Adult”-Thema. Dennoch gelangte der Song sogar in die Top 20 der Popcharts und ist in der Version Kings ein Klassiker. 1970 veröffentlicht, hörten zahlreiche Hörer eine zweite Ebene in “The Thrill Is Gone”: Kurz vor Marvin Gayes “What´s Going On” sagte King indirekt, dass Richards Nixons rassistischem Amerika die Luft ausgegangen war. In den 70ern stellte King erneut eine stilistische Weiche: Anstatt sich auf der erfolgreichen Formel seines etablierten Sounds auszuruhen, orientierte er sich am Funk von Sly & the Family Stone und George Clinton, später coverte er den Stevie Wonder-Song “To Know You Is To Love You”. Ein Jahrzehnt später erschien er der MTV-Generation an der Seite von U2 mit dem Song “When Love Comes To Town”.
King hat einen schon nach zwei Tönen identifizierbaren Gitarrenstil geschaffen, in den er Elemente von Blind Lemon Jefferson und T-Bone Walker einfließen ließ und der sich durch komplexe vokalartige Phrasierung abhob, die er mit gezogenen Seiten und Vibrato mit der linken Hand herstellte. Die Ökonomie in seinen Phrasen wurde sprichwörtlich, King spielte keinen Ton zu viel. Sein Einfluss auf Generationen von Rockgitarristen, von Eric Clapton und George Harrison über Mike Bloomfield und Jeff Beck bis hin zu Angus Young und Stevie Ray Vaughan ist offensichtlich. Und auch mit über 80, auch nach Dutzenden von Preisen, nach Einzug in die Rock´n´Roll-Hall of Fame und in die Blues Hall of Fame, auch mit 13 Kindern von verschiedenen Frauen hat King vor allem Augen und Ohren für Lucille. "Abgesehen von richtigem Sex mit einer richtigen Frau gibt es nichts, was mir solch eine innere Ruhe gibt wie “Lucille”, hat er gesagt. Welches menschliche Wesen kann da über ein halbes Jahrhundert lang mithalten?
Zum Thema
80 years high and rising – B.B. King “80”