Als neuer Intendant musste Alexander Perreira
seine Vision einer Erweiterung des Opernspielplans der
Salzburger Festspiele gegen erhebliche Widerstände durchsetzen – sogar eine Rücktrittsdrohung im Vorfeld ließ er nicht aus. Seinen stürmischen Antritt würzte er denn mit einer ganzen Reihe publikumsträchtiger Dauerbrenner wie “Zauberflöte”, “Carmen”, “Ariadne auf Naxos” und “Giulio Cesare in Egitto”. Aller Augenmerk galt jedoch Perreiras eigentlichem Coup, der Aufführung von
Puccinis “La bohème”, die, man glaubt es kaum, erstmals in der 91-jährigen Geschichte der Festspiele auf dem Programm stand und insgesamt erst die dritte Puccini-Produktion in Salzburg ist.
Salzburger Publikumsmagnet Als wollte er den viel zitierten “Puccini-Bann” von Salzburg ein für alle Mal brechen, setzte Perreira auf eine dezidiert moderne und effektvolle Inszenierung durch den jungen italienischen Regisseur
Damiano Michieletto und ein alles überstrahlendes Traumpaar: Für die Rolle der Mimì gewann er die gefeierte russische Primadonna
Anna Netrebko, deren Stern 10 Jahre zuvor in einer denkwürdigen Salzburger “Don Giovanni”-Aufführung aufgegangen war, und den aufstreben Star im lyrischen Tenorfach
Piotr Beczala in einer seiner Paraderollen als Rodolfo. Beide standen in derselben Besetzung bereits in der umjubelten Aufführung vom Februar 2010 auf der Bühne der New Yorker Met, wo eine wunderbare Harmonie ihrer Stimmen zu erleben war. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die von großem Medienrummel und einer
ZDF-Übertragung begleitete Salzburger Aufführung.
Moderne Inszenierung Nicht nach jedermanns Geschmack war die moderne Lesart von Regisseur Michieletto. Er verlegte die Handlung von Puccinis Pariser Künstlerdrama in die Gegenwart. Ihren Ausgang nimmt seine Inszenierung in einer Männer-WG mit herumliegenden Matratzen.
Mimì und der Autorenfilmer
Rodolfo, dem wegen ausstehender Mietzahlungen die Zwangsräumung droht, lernen sich in der Weihnachtsnacht kennen, weil sie Feuer für eine Zigarette benötigt. Paolo Fantins Bühnenbild setzte auf grellbunte Farben und surreale visuelle Effekte. So agierten die zwergenhaften Protagonisten im ersten Bild vor einem gigantischen verregneten Fenster, während ihnen im zweiten Bild Miniaturhäuser als Sitzmöbel in einer Bar dienten.
Operngesang in Vollendung Über jeden Zweifel erhaben war der Auftritt
Anna Netrebkos im punkigen Outfit mit Hals-Tattoo und schwarz lackierten Fingernägeln. Für ihre subtile Darbietung der todkranken Mimì bescheinigte ihr die
Süddeutsche Zeitung eine “Künstlerkraft, die überzeugt” und
Merkur Online schwärmte von “einer Leichtigkeit der Tonbildung in jeder Lage und auf jedem Lautstärkepegel, die entwaffnet.” Angesichts der nicht minder glänzenden Leistung von Piotr Beczala fragte die
Süddeutsche: “Wer soll den Rodolfo zurzeit besser singen?”. Zur Seite stand den beiden Stars ein hervorragendes Ensemble mit
Nino Machaidze als Musetta,
Carlo Colombara in der Rolle des Colline,
Alessio Arduini als Schaunard und
Massimo Cavallettis Marcello. Über die
Wiener Philharmoniker unter Dirigent
Daniele Gatti schrieb die
Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Was für ein Genuss, Puccinis subtile Instrumentation einmal von solch einem Spitzenorchester durchleuchtet zu hören.“