35 Jahre später ein Nachfolge-Album zu veröffentlichen – das kann und wird Altmeister Alice Cooper so schnell wohl keiner nachmachen.
„Welcome 2 My Nightmare“ setzt die schlaflosen Nächte und Horror-Träume des mittlerweile erwachsenen Protagonisten Steven fort, den Cooper anlässlich seines ersten und mehrfach platinierten Solo-Albums „Welcome To My Nightmare“ 1975 gemeinsam mit Starproduzent Bob Ezrin (Kiss, Pink Floyd) erschuf. Die Story? Steven schläft noch immer schlecht. Aber das ist natürlich nicht alles.
Das schöne am Rocklegenden-Dasein ist, dass die spielerische Leichtigkeit der Anfangstage, geadelt durch den Erfolg, wieder an die Oberfläche treten darf. Daher klingt das 26. (!) Studioalbum auch gar nicht nach Schock-Rock, sondern einer gemischten Riesentüte Spaß, den sich eine ganze Riege gestandener Musiker teilen. Neben den Hauptakteuren Bob und Alice, ist auch die alte Alice Cooper-Band mit von der Partie, also Michael Bruce, Dennis Dunaway und Neal Smith, was der Platte schon vor ihrer Veröffentlichung den Kult-Ritterschlag erteilt. Vielleicht feierte man so auch einfach den diesjährigen Einzug der Alice Cooper Band in die Rock`N Roll Hall Of Fame.
Zwar mischten nicht so viele Akteure mit, wie beim 75er Albtraum Teil 1, aber Desmond Child und Dick Wagner seien hier noch für das Co-Songwriting erwähnt, ebenso wie Rob Zombie, der Backing Vocals lieferte, und Duettpartnerin Ke$ha, die als Quotenfrau den Altersschnitt gehörig drückt. „What Baby Wants“ heißt das gemeinsame Stück. Ke$ha soll Alice bewundernd „Dad“ genannt haben, da hat er noch mal Glück gehabt.
Musikalisch versucht „Welcome 2 My Nightmare“ den Spagat, in den 70ern wieder anzuknüpfen, um dann gut drei Jahrzehnte Musikentwicklung abzuhandeln und schließlich mit Alice heute zu enden. Faszinierend genug: Genau das schafft die Platte auch. Klingt zwar zunächst etwas gewöhnungsbedürftig und wie ein wüster Ritt durch die Genres, ergibt am Ende aber Sinn.
Der Midtempo Opener „I Am Made Of You“ geht geradewegs zurück in die Anfangstage von Alices’ Solokarriere, selbst sein Gesang klingt heller, jünger. „Caffeine“ besticht zusätzlich durch die unterhaltend, intelligent-ironischen Texte Coopers, eine Hymne auf die Starbucks-Generation. Die oft Kinderlied-artigen Piano-Parts sind Reminiszenzen an den Erstling, immer wieder blinzeln auch die Original-Themen aus „Steven“, „The Awakening“ oder „Nightmare“ hervor. Wer 70s sagt, muss auch die Rolling Stones im Gepäck haben, „Runaway Train“ und „I’ll Bite Your Face Off“ erinnern nicht nur flüchtig an Jagger & Co. Ein besonders herausragendes Glanzstück ist sicher „Last Man On Earth“: zu überraschenden Vaudeville- und Tom Waits-Kapellen-Sound gibt Alice, knarzig vorgetragen, einen seiner typisch scheinbar einfachen, aber ergreifenden Texte zum Besten. Ein richtiger 90s-Schenkelklopfer ist „Disco Bloodbath Boogie Fever“, der mehr als nur ein bisschen nach der Bloodhound Gang klingt und nach Tränen lachenden, herumalbernden Alice und Bob. Damit nicht genug: mit „Ghouls Gone Wild“ heißt es dann Cooper goes Ramones. Auf die Ballade „Something To Remember Me By“ ist Alice nach eigenen Angaben sehr stolz. Erstaunlich, dass der Prince of Horror Schock-Rock gerne mit einer Schnulze à la John Lennon aus den Tagen, als er Yoko tief in die Augen schaute, in das allgemeine Gedächtnis eingehen möchte. Was fehlt noch? Vielleicht ein Traveling Wilburys-Moment… Den gibt es mit „I Gotta Get Outta Here“ ohne Zweifel, bevor „The Underture“ die Brücke zum Musical-Charakter der aktuellen Theater-Rock-Show-Produktionen Coopers schlägt.
„Welcome 2 My Nightmare“ ist ein liebevoll geknüpfter, bunter Rockmusik-Quillt, der in dieser Form gar nicht früher hätte entstehen können. Eine Platte, die vor musikalischem Sachverstand wie Können strotzt und mit jugendlicher Freude begangen wurde. Aber auch ein Album, bei dem leise mitschwingt, dass Alice Cooper einen sehr weiten Weg auf dem Rock `N Roll-Highway gegangen ist und beginnt sich Denkmäler zu setzen Something to remember him by.