Spiderman mal anders: Zum 25. Studioalbum-Jubiläum schlüpft Mister Alice Cooper in den Kopf eines Serienkillers, Spezies, die ja bekanntlich eine ziemliche Anziehungskraft auf Rockstars ausübt. Heraus kommt dabei die schräge, fiktionale Geschichte von Spider, der nach Spinnenart seine Beute erlegt. In Seide gewickelt hinterlässt er seine Opfer verstümmelt, um mit einer Sammlung von insgesamt acht unterschiedlichen Beinen schließlich seine eigene Spinnenidentität zu kreieren. Wenn sich der Mörder nicht in das letzte Opfer verlieben würde…
Was sich liest wie ein Hollywood-Drehbuch, klingt als Platte ebenso schizophren wie Spiders Geisteszustand. Gut gelaunt widmet sich Alice musikalisch seiner Konzept-Story, deren roter Faden eine großartige Gitarrenarbeit ist, um den sich der verrückte Rock-Rest spinnt. In “Vengeance Is Mine” übernimmt diesen Part gewohnt virtuos Slash, aber auch Coopers Live Gitarrist Keri Kelli – vormals Stagekollege von Slash – und die beiden Co-Songwriter wie Produzenten Danny Saber und Greg Hampton machen sich auf “Along Came A Spider” an den Saiten verdient. Den typisch trockenen Drum-Sound lieferte der Kiss-Kater Eric Singer.
Originale aus den 60ern sind heute kaum noch da. Alice Cooper schafft es darüber hinaus im Jahre 2008 – ohne auf einer Welle von Nostalgie und Mitleid schwimmen zu müssen – modern, authentisch und ziemlich cool rüberzukommen. “(In Touch With) Your Feminine” ist so ein Song, den ihm so leicht keiner nachmacht, ein bisschen in der Tradition des großartigen “The Saga Of Jesse Jane” vom Vorgänger “Dirty Diamonds” (2005). Catchy Copacabana-Rhythmen eröffnen, weiter rollt das Stück mit stampfend schnörkellosem Rock`n Roll und trumpft schließlich mit einer ordentlichen Portion Mick Jagger-Rotzigkeit in Stimme wie Text, “it’s your world, but it’s my street…”, Lyrics, die man auch Melissa Etheridge zugetraut hätte. Natürlich ist “Along Came A Spider” kein zweites Hit-Mekka nach Art des `89er Kultalbums “Trash”, gibt sich aber auch nicht so retro wie “Dirty Diamonds” oder fortschrittlich wie einst “Brutal Planet” (2000). Damit sitzt “Along Came A Spider” ganz klar zwischen den Stühlen und chartete im Sommer 2008 trotzdem oder gerade deshalb so hoch wie kein Cooper-Album seit 1991 (mit “Hey Stoopid”).
Besonders irritiert, wenn unser vorwiegend freundlicher Serienkiller in der Mitte des Albums mit “Killed By Love” plötzlich von modernem, minimalistischem Rock und einem Hauch Rob Zombie Härte plötzlich den Ziggy Stardust in sich entdeckt und in diesem Kaliber “I’m Hungry” nachlegt. Dass Danny Saber bereits für den Thin White Duke arbeitete, mag Zufall sein, trotzdem steht die Bowie-Platte mit Sicherheit auch bei Cooper im Schrank, ebenso wie die “Sergeant Pepper” der Beatles, die neben Bowie ihre Aura auf der Ballade “Salvation” hinterließen. Manchmal bringen Streicherparts so was mit sich.
Ein gradliniger, harter Rocker, der wieder im Hier und Jetzt ankommt, ist “The One That Got Away”, grinsend beginnend mit “du siehst aus, als würdest du in den Kofferraum meines Wagens passen”. Textfetischisten kamen bei Alice schon immer auf ihre Kosten. Ein richtiger Leckerbissen für Spinnen- wie Fledermaus-Liebhaber ist “Wake The Dead” wo gleich zwei Legenden ein herrlich schräges und lässig aus der Hüfte gefetztes Stück Ohrwurm abliefern: Cooper trifft den Generations-Bruder Ozzy Osbourne, der zudem die Mundharmonika einspielte.
Der Re-Release erweitert schließlich die Original-Version um drei Bonus-Tracks, die eindeutig aus derselben Aufnahmesession stammen, darunter eine Acoustic Unplugged-Version des ohnehin recht akustisch geratenem “Salvation”.
Kuschelmonster oder verrückt gruseliger Rocker? Fast immer ist man sich bei Alice Cooper sicher: harmlos. Doch was sich der Priesterspross Vincent Furnier in der Haut seines Alter Ego zusammen spinnt, ist oft derart abgedreht, dass man vielleicht doch lieber nicht die Nacht in einem alten Schloss mit ihm verbringen möchte. Dieses unterschwellige Gefühl, das auch seine vorherigen Konzeptalben “From The Inside” (1978) und “Welcome To My Nightmare” (1975) hinterlassen – nicht wahr, Steven? – wohnt auch “Along Came A Spider” inne, wenn man sich darauf einlassen möchte.