SL: Nach drei höchst erfolgreichen Trio-Alben (“Changing Places”, “The Ground” und “Being There”), die zu den populärsten ECM-Einspielungen der letzten zehn Jahre zählen, bietest du nun eine auffallend andere Musik und stellst auf “Restored, Returned” eine neu konfigurierte Band vor. Es ist naturgemäß etwas schwierig, einer Trilogie (!) noch einen vierten Teil folgen zu lassen, aber hattest du den Eindruck, dass sich das Trio-Format erschöpft hatte?
TG: Im Trio zu spielen ist nach wie vor eine meiner wesentlichen Leidenschaften. Und ich schätze noch immer sehr viel mehr die Qualität von Dingen, die organisch wachsen und sich organisch entwickeln, als die Unruhe, die durch ständiges Einführen von Kontrasten und Wechsel in der Besetzung und der Herangehensweise entstehen. Aber es war der richtige Zeitpunkt gekommen, um eines meiner Nebenprojekte (musikalische Beziehungen, die sich im Laufe der Zeit parallel zu der Trioarbeit gebildet hatten) durch die Veröffentlichung eines Albums unter meinem Namen endlich mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Außerdem bin ich der Ansicht, dass das neue Ensemble ebenso sehr eine natürliche Verlängerung von dem bietet, was ich im Trio gemacht habe, wie es eine “andere” Art von Musik spielt. Musikalische Intimität – ein starker Fokus darauf, kleine Details und feinere Nuancen atmen und wachsen zu lassen – war und ist das Wesentliche. Es gibt immer noch den melodischen Schwerpunkt und das Verlangen nach einfacher Schönheit. Und schließlich basieren verschiedene der neuen Kompositionen auf einer Sorte von musikalischen Miniaturen, die während der Trio-Konzerte als improvisierte Zwischenspiele entstanden; eine Form von abstrakten Schlafliedern, die tonale Mehrdeutigkeit mit simplen Melodiefolgen kombinieren. Insofern gibt es, obwohl die Musik anders ist und neue Farben dazu gemischt wurden, noch immer ein starkes Bindeglied zwischen dem neuen Ensemble und der Trio-Periode.
SL: Einige der neuen Stücke entstanden im Rahmen einer Auftragsarbeit für das Vossajazz-Festival. Bei der Live-Performance war neben der Sängerin Kristin Asbjørnsen auch die Spoken-Word-Künstlerin Cecile Jørstad zu hören. Nach welchem Gesichtspunkt hast du letztendlich die Besetzung für das Album zusammengestellt?
TG: Der Spoken-Word-Part war in Norwegisch gewesen und dadurch für ein internationales Publikum nicht sehr zugänglich. Und so sehr ich es mag, wenn ein Album eine einheitliche, allgemeine Ausrichtung hat, die all denen, die es von Anfang bis Ende durchhören, etwas einzigartiges bietet, so sehr wollte ich aber auch, dass diese Veröffentlichung aus Stücken oder Songs besteht, die man als einzelne Tracks oder kleine “Mantras” hören kann. Ich wollte das Album ebenso sehr als Kollektion von kostbaren Melodien angehen, wie als einheitliches “Werk”. Die Konzertversion mit den Spoken-Word-Beiträgen und den musikalischen Überleitungen, die alles miteinander verbinden, schien mir in dieser Hinsicht geeigneter für die Bühne als für das Album.
SL: Du hast oft gesagt, dass Sänger(innen) mit zu deinen wichtigsten Einflüssen zählen und sich dies darauf auswirkte, wie du selbst eine Melodielinie formst. Auf “Restored, Returned” scheint “das Singen” von wesentlicher Bedeutung für die Musik zu sein. Neben Kristins Beitrag haben wir da noch den feinen Post-Garbarek-Saxophonisten Tore Brunborg, der durch seine Saxophone singt. Inwieweit verändert die Nähe solcher Musiker deine Rolle innerhalb des Ensembles, und was kannst du uns über die Verantwortlichkeiten und Freiheiten der hier versammelten Improvisierer erzählen?
TG: Mit starken lyrischen Stimmen zu interagieren ist für mich eine riesige Inspiration. Dadurch, dass ich Tore und Kristin ins Ensemble aufgenommen habe, ändert sich meine eigene Rolle natürlich ein bisschen; das Piano spielt bei der Themenvorstellung nicht mehr eine ganz so dominante Rolle und es gibt auch weniger “Piano-Soli” im traditionellen Sinn. Tore und Kristin haben beide eine fundamentale Dualität im Spielen und Denken: Sie sind sehr starke Individuen mit charakteristischen Sounds und höchst origineller Phrasierung, aber zugleich auch sehr engagierte Ensemblespieler. Beide wechseln nahtlos zwischen ihren Rollen als Begleiter und Solist und machen das gesamte Ensemble in meinen Augen zu einem Traumforum für kreative Interaktion. Deshalb ist die Änderung bei meiner Rolle nicht allzu drastisch – es ist eher so, dass der allgemeinen musikalischen Konversation noch zwei weitere Dialoge hinzugefügt wurden.
SL: Die Musik entwickelt sich nicht nur durch das Ensemblespiel, sondern auch durch Sequenzen von Duo- und Trio-Interaktionen – war dies so von Anfang an geplant? Oder änderte sich die Vorgehensweise im Verlauf der Aufnahmen?
TG: Ja, bei dem Album geht es mehr darum, die verschiedenen Duos, Trios und Quartette innerhalb der Gesamtheit der fünf Leute auszuloten, und weniger darum, die volle Kraft der fünf Stimmen zusammen auszuschöpfen. Das war tatsächlich zunächst gar nicht so geplant, ergab sich aber auf sehr natürliche Weise. Ein Grund dafür ist sicher, dass ich über die Jahre hinweg sehr oft im Duo gespielt habe, unter anderem eben in Duos mit Kristin und Tore. Und bei den Trio-Konzerten gab es auch häufig Piano/Schlagzeug-Duo-Sequenzen von mir und Jarle. Die Transparenz und musikalische Flexibilität des Duo-Formats reizt mich sehr; und in den abstrakten Schlafliedern dieses Albums, etwa bei der Anfangsnummer mit Tore und der Schlussnummer mit Kristin, erreichten wir in den Duos einen fragilen, aber beruhigenden Sound, der die Kompositionen wirklich so glänzen ließ, wie es mir vorgeschwebt hatte. Im Verlauf der Aufnahmesessions änderte sich die Herangehensweise an das Material ganz leicht. Aber mehr in Bezug auf die Reihenfolge der Stücke als hinsichtlich der Arrangements. Hierbei spielte Manfred Eicher, der das Material mit unvorbelasteten Ohren hörte und kleine Änderungen sowie eine Umgruppierung der Stücke vorschlug, eine sehr bedeutende Rolle.
SL: Was erregte dein Interesse an den Versen von W. H. Auden, die Kristin Asbjørnsen hier singt?
TG: Ich kannte nur ein paar von Audens berühmtesten Gedichten in norwegischen Übersetzungen, bis ich an einem spielfreien Tag auf einer Großbritannien-Tournee in Oxford durch Buchläden streifte, um mich in den Lyrikabteilungen nach Inspiration umzusehen. Dabei stieß ich auf “Another Time” und es erschloss sich mir sogleich in einer Kombination von Klarheit und Rätselhaftigkeit. Ich suche nach sofortiger Genugtuung, wenn ich Gedichte für die Begleitung von Musik auswähle – Metaphern und Phrasen müssen eine sinnliche Anziehungskraft haben, sowohl rein klanglich als auch über die Assoziationen, die sie heraufbeschwören. Aber Gedichte müssen auch das Versprechen in sich tragen, dass ich durch mehrmaliges Lesen und Reflexion noch mehr belohnt werde. Die Gedichte, die wir verwenden, haben diese Qualität: Man kommt mit ihnen schon zurecht, wenn man nur die Hälfte der Worte versteht, und beim ersten Hören nur hier und da eine Zeile aufschnappt, aber man kann sich mit ihnen auch hinsetzen und Tage darauf verwenden, die Schichten ihrer tieferen Bedeutung zu erforschen.
SL: Für das Album sind die Gedichte aus “Another Time” (1940) häufig mit entschieden bluesiger Musik ausgestattet worden. Diese Gedichte gehörten zu den ersten, die Auden nach seinem Umzug nach Amerika veröffentlichte. Beeinflusste dieses historische Detail aus dem Leben des hoch geachteten englischen Poeten deine Vertonungen?
TG: Interessante Frage – aber ich war mir dieser biographischen Tatsache gar nicht bewusst. Jedwede Verbindung muss hier also unbewusst entstanden sein. Außerdem neige ich dazu, den meisten meiner Arbeiten sowieso eine – abgewandelte und abstrakte, aber dennoch grundlegende – bluesige Qualität oder einen Gospel-Touch zu geben.
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