“The Who – Sell Out” (Deluxe Edition)
Sales, Sales und noch mal Sales. Verkaufen, verkaufen, ausverkaufen. Was als grimmiges Motto unserer Zeit herhalten könnte, das nahmen The Who 1967 auf die Schippe, auf ihrem Album „The Who – Sell Out“. Am 16. März 2009 ist es als Deluxe-Edition erschienen.
1967: ein historisches, überdimensionales Jahr der Popmusik: In San Francisco feiern die Hippies den „Summer of Love“. The Grateful Dead, Jimi Hendrix und die Doors debütieren. Die Beatles veröffentlichen ihr „Sgt. Peppers“-Album. Procol Harum führen in den Pop-Charts mit „A Whiter Shade of Pale“. An der Spitze der US-R&B-Charts steht Aretha Franklin mit „Respect“. Kurt Cobain und Noel Gallagher kommen zur Welt. Klar, dass die Mod-Ikonen The Who 1967 ein besonderes Album veröffentlichen mussten.
„The Who – Sell Out“ gilt Fans und Experten als ihre beste und unterhaltsamste LP. Der Allmusic-Guide vergibt ihr fünf von fünf Sternen: „Psychedelischer Pop hat noch nie so gejubelt, war noch nie so lustig.“ Unisono: der amerikanische „Rolling Stone“ in seiner Rezension vom 10. Februar 1968: „Dieses Album ist fantastisch mit seinem exquisiten Humor und seiner vollendeten Musikalität“, schrieb damals die US-Beat-Bibel: So was von britisch sei das! Genau wie die Beatles hätten The Who ihre Rock´n´Roll-Hausaufgaben derart gut gemacht, dass sie nun mühelos zu neuen kreativen Ufern aufbrechen könnten, so der Autor. „The Who – Sell Out“ stand 2003 auf Platz 113 der „500 Greatest Albums of all Time“-Liste des Rolling Stone.
Bereits das Cover der LP verbreitet britischen Humor. Die in bester Pop-Art nachgemachten Anzeigen für Deodorant, Akne-Creme oder Dosen-Bohnen erstellten David King, der spätere Chef der Sunday Times und Roger Law, der Erfinder der TV-Puppenshow „Spitting Image“. Das Album an sich ist eine „gefakete“ Radiosendung. Zwischen den Songs erklingen Jingles und Ansagen, und The Who benutzten die echten Radiojingles von Odorono, Medac oder „Heinz“ als Vorlage ihrer Clips – ein nassforscher Hörgenuss, in den Chefetagen war man „not amused“. Das ganze zog Abmahnungen und Klagen nach sich wegen der unvorteilhaften Produktplatzierung.
Übrigens singt nicht nur Roger Daltrey auf „Sell Out“, sondern auch John Entwistle, Pete Townshend und Townshends Chauffeur John „Speedy“ Keen, bekannt bei Who-Fans als der Autor des psychedelischen Power-Popsongs „Armenia In The Sky“ vom Album. Heraus ragt die Single „I Can See For Miles“, damals ein Top−10-Hit in Großbritannien. Angeblich inspirierte „I Can See For Miles“ Paul McCartney zu „Helter Skelter“. „I Can See For Miles“ wurde die größte Hitsingle (Pop #9) der Who in den USA. 1967 zerlegten sie schön ihre Instrumente auf dem Monterey-Pop-Festival, zwei Jahre später in Woodstock.
Auf „The Who – Sell Out“ deutet das majestätische Mini-Opus „Rael“ bereits auf Pete Townshends spätere Rockoper „Tommy“ (1969) hin. In dieselbe Kerbe schlägt „Glittering Girl“, ein Song, der nicht auf der Original-LP ist, wohl aber auf der neuen Deluxe-Edition der Scheibe. Desgleichen: zehn weitere bisher unveröffentlichte Songs oder Versionen der „Sell Out“-Produktion. Einfach sensationell ist das, weil man in den 1960ern das Überschuss-Material solcher Studiosessions oft knallhart entsorgte. „Sell Out“ nahmen The Who 1967 über sieben Monate hin auf, in sieben verschiedenen Studios in London, New York und Los Angeles. „Auf die Anweisung des Produzenten Kit Lambert hin extrahierte der Tontechniker dort überall den „besten“ Track einer Session. Das restliche Masterband wurde dann oft einfach überspielt“, dokumentiert The Who-Biograf Andy Neill im Buch „Anyway Anyhow Anywhere – The Complete Chronicle of The Who“.
Für die Deluxe-Edition von „Sell Out“ durchkämmte man die Archive aller jener Studios. Hörte unzählige unbeschriftete Bänder durch. Machte die Tontechniker sämtlicher Sessions ausfindig und befragte sie, um das verlorene Material aufzustöbern.
In noch nicht da gewesener Tonqualität hört man alle – auch die bekannten Tracks; neu, direkt von den Masterbändern digitalisiert. Der originale Mono-Mix des Albums erscheint mit der Deluxe-Edition (offiziell) zum ersten Mal auf CD.
Natürlich gibt es auch etwas für´s Auge: Ein rund 30seitiges Booklet mit raren Bandfotos (etwa aus der Fotosession zum Albumcover) und mit Werbeplakaten der 1960er. Texte schrieben der Rockjournalist Dave Marsh (Autor der Who-Biografie „Before I Get Old“) und Andy Neill. Die Erstauflage der Edition enthält die Replik eines Posters, das 1967 der Erstauflage der Original-LP beilag.