Wenn man bedenkt, dass The Shires im Sommer 2015 im legendären Grand Old Opry in Nashville aufgetreten sind, dass ihr Debüt-Album in Großbritannien inzwischen kurz vor der Goldauszeichnung steht und dass ihre Stücke (mit Titeln wie “Nashville Grey Skies” und “State Lines”) in den vergangenen Monaten die einschlägigen Playlists der UK dominiert haben, überrascht es nicht, wenn der eine oder andere glaubt, man habe es hier mit einem US-amerikanischen Country-Exportschlager aus Tennessee zu tun, aber es stimmt tatsächlich: The Shires sind Briten. Und obwohl sie in diesem Jahr erst richtig losgelegt haben, sind sie schon jetzt die in ihrer Heimat erfolgreichste britische Country-Band – aller Zeiten.
Das aus Ben Earle (Gesang, Gitarre, Piano) und Crissie Rhodes (Gesang) bestehende Duo hat in den vergangenen Monaten eine der eindrucksvollsten Erfolgsgeschichten des Jahres 2015 hingelegt: Ihr bei Decca Nashville veröffentlichtes Debüt-Album “Brave” entpuppte sich im März 2015 als das erste Country-Album eines britischen Acts, das jemals in den UK-Top−10 landen sollte. Klarer Fall: The Shires ist es gelungen, den frühen Support ihres Labels und der Radiosender in eine riesige Fangemeinde zu verwandeln, in einen überraschenden Charterfolg und mehr noch: In ein ganz neues Country-Verständnis, eine ganz neue Wahrnehmung dieses Genres in ihrer Heimat und darüber hinaus.
Und indem sich das besagte “Brave”-Debüt also langsam aber sicher auf die Goldauszeichnung in England zubewegt – was in diesem Jahr bis dato insgesamt nur vier Debütalben in UK gelingen sollte –, können The Shires auf ein unglaubliches Jahr zurückblicken und sich zugleich auf die nächsten Highlights freuen: Nach ihrem kommenden Auftritt bei den diesjährigen BBC Music Awards werden sie schon Anfang 2016 mit Little Big Town auf Tour gehen und auf den größten Bühnen der Welt stehen.
Im Detail sah das vergangene Jahr für beiden Senkrechtstarter folgendermaßen aus: Ins Jahr gestartet mit einem neuen Plattenvertrag, bekamen sie viel Rückenwind durch die Debüt-Hitsingle “Nashville Grey Skies”, gefolgt von einem Abstecher in genau jene US-Country-Metropole, wo sie die Arbeit an ihrem “Brave”-Album fertigstellten, das dann im März 2015 erscheinen und vollkommen überraschend die UK-Charts erobern sollte. Vier Singles von diesem Album gingen im Sommer nacheinander beim Sender BBC Radio 2 auf Rotation, was sie wenig später auch ins Fernsehen brachte: Auftritte an der Seite von Tom Jones für “Children In Need” folgten, sie teilten sich in der Graham Norton Show eine Couch mit Robert De Niro und Anne Hathaway, und auch beim renommierten Sunday Brunch vom Sender Channel 4 traten sie auf und gaben eines von unzähligen Interviews.
Man könnte also meinen, es sei für sie von einem Moment auf den anderen von Null auf Hundert gegangen. Hätte man sie wenige Monate nach der Bandgründung gefragt, ob sie denn auch schon Konzerte in London vorweisen könnten, hätten sie zurückgefragt, ob Watford‚ St. Albans und Biggleswade denn auch zählen würden. Wer ihnen jedoch heute mit derartigen Fragen kommt, wird natürlich von ihrem Auftritt in Glastonbury, dem in der Londoner O2-Arena und dem im Grand Old Opry von Nashville erfahren, wo sie erst im Juni ihre ganz eigene, ganz und gar britische Definition von Country im Mutterland dieses Musikstils live präsentiert haben.
Zuletzt mag alles Schlag auf Schlag gegangen sein, aber die Geschichte der beiden beginnt schon sehr viel früher, und sie haben hart dafür gearbeitet, an diesen Punkt zu gelangen: “Wir wollen gar nicht als so ein Duo gelten, das einfach aus dem Nichts aufgetaucht ist. Denn hinter den Kulissen haben wir wirklich hart dafür gearbeitet”, berichtet Crissie. “Jede Menge Vorarbeit haben wir geleistet, und dann hat’s einfach funktioniert, nachdem wir uns über den Weg gelaufen sind.” “Ich hasse diesen Ausdruck eigentlich”, ergänzt Ben, “aber es war wohl tatsächlich das, was man einen glücklichen Zufall nennt.”
Earle hat kein Problem damit, von seinen ersten, wenig erfolgreichen Gehversuchen als Solo-Singer/Songwriter zu berichten, und auch Rhodes erzählt ganz offen von den Jahren, in denen sie als Sängerin Coversongs auf irgendwelchen Bühnen präsentierte, nachdem sie in Surrey ihre Musikausbildung am College beendet und danach in die ländliche Idylle ihrer Heimat zurückgekehrt war. “Ich habe früher so Songs wie ‘9 To 5’ gesungen, und die Leute sollten einfach dazu tanzen, sich amüsieren”, berichtet sie. “Es kam dabei echt häufig vor, dass irgendwelche Leute mich danach ansprachen und so Sachen sagten wie: ‘Den Song hast du wirklich toll gesungen, Country-Musik passt echt gut zu deiner Stimme!’ Mir war bis dahin gar nicht klar gewesen, wie viel ich mich mit Country beschäftige und dass ich praktisch andauernd derartige Songs höre.”
“Ich kam schließlich an den Punkt, an dem ich wirklich bis auf den letzten Penny abgebrannt war”, gesteht Ben, “weshalb ich dann irgendwann bei Facebook geschrieben habe: ‘Es muss doch irgendwo da draußen eine Country-Sängerin geben.’ Ja, und dann hat ein Freund von einem Freund Crissie ins Spiel gebracht. Sie kam am nächsten Tag vorbei, wir nahmen ein paar Songs zusammen auf, und seither läuft alles wirklich super – wie von selbst.”
Das Blatt hat sich für The Shires binnen kürzester Zeit zum Guten gewendet, und nachdem sie Anfang des Jahres mit etlichen neuen Songs im Gepäck aus Nashville zurückkehrten, sicherten sie sich erst mal die nächste Playlist bei BBC Radio 2 mit dem Song “State Lines”, um mit “All Over Again” und “I Just Wanna Love You” noch zwei weitere Heavy-Rotation-Kandidaten nachzulegen. Schon damit stellten sie klar, dass man ihnen mit Begriffen wie One-Hit-Wonder einfach nicht kommen brauchte. Kein Wunder: Ben und Crissie betonen immer wieder, wie viel Respekt sie für großes Songwriting haben, wie wichtig ihnen die Kunst des Country-Songwritings ist und wie viel Zeit sie ihr widmen. Das Resultat, “Brave”, unterstreicht mit jedem einzelnen Song, wie weit sie es in dieser Kunst schon jetzt gebracht haben – denn ihre Songs tragen ganz klar ihren eigenen Stempel. Sie sind im Country-Genre verwurzelt, zitieren aber nicht bloß irgendwelche US-Referenzen. Auch im englischsprachigen Ausland hat ihr Erstling deshalb bereits für Furore gesorgt und die iTunes-Charts z.B. auch in Australien und Neuseeland erstürmt.
Indem Crissie nicht nur sanfte, melodische Harmonien präsentiert, sondern es manchmal auch richtig krachen lässt und ganz andere Facetten aufzeigt, während Ben sehr viel Soul in seinen Gesang legt, haben The Shires buchstäblich ein eigenes Terrain abgesteckt: ein kleines Land nur für sie, ein Stück “Country” nördlich von London, zwischen Hertfordshire und Bedfordshire, den Shires, den ländlichen Grafschaften, wo ihre Wurzeln liegen. So sehr sie auch auf US-amerikanische Country-Musik stehen: Ihre britischen Wurzeln würden sie niemals verstecken wollen, weil sie viel zu viel Spaß daran haben, etwas Neues auf die Country-Landkarte zu bringen.
Wenn sie kurz vor Weihnachten ihren nächsten großen Auftritt bei den BBC Music Awards 2015 absolvieren, wird der Moment kommen, an dem Ben und Crissie auch mal einen Gang herunterschalten und über das reflektieren können, was in den letzten Monaten alles passiert ist. Dabei waren die zurückliegenden Erfolge nur der Auftakt, nur die ersten Schritte für das größte britische Country-Duo aller Zeiten – The Shires.