Ihr Bandname ist gut gewählt, denn es umweht sie etwas Geheimnisvolles. Die Secret Sisters sind hörbar authentisch in ihrer exakten Replik der eng gesetzten Gesangsharmonien von Vocal-Ensembles der 1950er-Jahre, dem Sound der Everly Brothers und Andrews Sisters. Ihre Musik entsteht analog auf Vintage-Equipment. Sie benutzen alte Mikrophone, selbst das Tonband, auf dem aufgenommen wird, stammt aus jener Ära. Das Wichtigste: die beiden können singen wie damals die Everly Brothers und die Andrews Sisters. Ihre Harmonien stimmen molekular genau aufeinander. Kein Genre-Sprung innerhalb ihres Repertoires wirkt holprig. Folk, Blues, Country, Gospel, Rockabilly beherrschen sie perfekt.
Auch das Cover-Artwork ihres neuen Albums „Put Your Needle Down" verortet man zunächst in den frühen 1950ern. Zeit scheint für Laura und Lydia Rogers aus Muscle Shoals, Alabama, keine Rolle zu spielen. Nach ihrem Debüt gaben sich die Schwestern vier Jahre, bevor sie für den Album-Nachfolger ins Studio gingen – gemeinsam mit ihrem Mentoren T-Bone Burnett.
Burnett ist in der US-amerikanischen Musikszene bekannt als Vintage-Guru, Purist, Perfektionist und Gralshüter. Ein Mann, der niemals einen Radio-Mix anfertigen würde, oder eine Hookline schreiben, geschweige denn ein Auto-Tune-Gerät anfassen. Der von ihm produzierte Soundtrack zum Coen-Brüder-Kultfilm O Brother Where Art Thou leitete vor 14 Jahren eine Renaissance des amerikanischen Folks und Countrys der ´30er und ´40er-Jahre ein. Danach produzierte Burnett das epochale Raising Sand-Album von Robert Plant und Alison Krauss und diverse jüngere Alben von Elvis Costello.
Die Geschichte der Secret Sisters hat etwas Märchenhaftes: Zwei naive, begnadete Sängerinnen vom Land fahren nach Nashville, zu einem Vorsingen im Hotel Indigo. Es soll eine neue Girl-Gruppe zusammengestellt werden. Dort überzeugen sie auf Anhieb den Produzenten Dave Cobb, der im Panel sitzt. Cobbs Credits stehen auf den Alben von Country-(Neo-)Traditionalisten wie Waylon Jennings und Jamey Johnson. Das Projekt der Girl-Gruppe wird sofort aufgegeben. Cobb ruft seinen Kumpel T-Bone an, und die Lawine rollt. Unter den Fittichen dieser beiden Honoratioren kommen Laura und Lydia Rogers direkt mit den größten Namen der internationalen Musikszene in Kontakt: Jack White, Elton John, Dave Stewart, Elvis Costello, John Mellencamp, Neko Case… Ihr Song “Tomorrow Will Be Kinder” läuft im Grammy-nominierten Soundtrack des Kino-Knüllers “Die Tribute von Panem – Tödliche Spiele”.
Aufgewachsen sind sie wohlbehütet, inmitten des amerikanischen Bible-Belts, in einer archetypischen Südstaaten-Familie im Norden Alabamas. “Wir lebten in einer Großfamilie, haben unsere Lebensmittel selbst angebaut, verbrachten die Wochenenden mit allen unseren Cousins und Cousinen, gingen in die Kirche”, beschreiben sie ihre Kindheit. Musik war ein fundamentaler Teil ihres Lebens. Ihre engmaschigen Harmonien kamen ganz von selbst. “Singen war nichts, was wir geübt haben”, sagt Lydia. “Viele Leute im Süden können sehr gut singen, weil sie in die Kirche gehen. In unserer Kirche gab es keine Orgel, also mussten wir einfach lernen, mehrstimmig A-Capella zu singen. Dieser Gesang stammt aus einer anderen Zeit.”
Auch wenn ihr Dorf ganz in der Nähe eines amerikanischen Musik-Zentrums liegt – von Aretha Franklin zu den Rolling Stones haben alle möglichen Stars im legendären Muscle Shoals Sound-Studio aufgenommen – so ging das an Laura und Lydia vorbei. Sie gründeten keine Band, sondern gingen nach der Highschool aufs College. Musik gab es nach wie vor nur zu Hause, wo nur Platten liefen, die ihre Eltern im selben Alter gehört hatten: Merle Haggard, George Jones, Doc Watson, The Four Seasons.
Die Idee, zum Casting nach Nashville zu fahren, hatte Laura, weil sie damit ihr lebenslanges Lampenfieber überwinden wollte. “Es gab bei den größeren Familientreffen Verwandte, die mir sagten: `Ich gebe Dir hundert Dollar, wenn Du nach vorn gehst und ein Lied singst´, und ich habe es nicht gemacht, weil ich solche Angst hatte”, erzählt sie. Die Audition in Nashville, auf der sie entdeckt wurden, war ihr erstes öffentliches Vorsingen.
Das nach ihnen benannte Album-Debüt der Secret Sisters schlug 2010 hohe Wellen und setzte Standards. Ihre Interpretationen der Songs von Hank Williams oder Buck Owens seien so “tadellos retro wie Mad Men”, schrieb NPR. Auf ihrem zweiten Album “Put Your Needle Down” haben die Schwestern die Mehrzahl der Songs (mit-)geschrieben und ihre Song-Themen in neue Bereiche gesteuert. Hatte das Debüt noch etwas Naives und Schwärmerisches, so ziehen sich durch “Put Your Needle Down” Geschichten, in denen die Liebe im Desaster endet. Etwa auf dem Song “luka”, wo ein schmählicher Vater seine durchgebrannte Tochter und ihren heimlichen Verlobten ermordet, und ein Mädchen wehrt sich auf dem PJ-Harvey-Cover “Pocket Knife” gegen eine arrangierte Ehe. Aus diesem Song stammt auch die Zeile: “Mummy, put your needle down / How did you feel when you were young”, aus der sie den Albumtitel entlehnten.
Zwei weitere Höhepunkte des Albums sind die treibende, southern-rockige, romantische Single “Rattle My Bones”, geschrieben von ihrer langjährigen Freundin Brandi Carlile, und das Bob Dylan-Demo/Bootleg “Dirty Lie”. Persönlich vermachte er es den Schwestern, damit sie´s zu Ende schrieben und aufnahmen. Der enigmatische Folk-Gott Bob Dylan, die Stimme einer Generation, deren Titel unzählig gecovert worden sind, verschenkt einen unveröffentlichten Song an ein Newcomer-Duo! Na ja, immerhin war T-Bone Burnett zwischen 1975 und ´76 der Gitarrist von Dylans Rolling Thunder Revue und produzierte 2010 das Album Women and Country von Jakob Dylan.
Der Haken: inmitten der bereits laufenden Aufnahmen hatten sie nur eine Nacht Zeit, den Song in seine finale Form zu bringen. “Die gruseligste Sache”, beteuert Laura, “was wäre gewesen, wenn er unsere Version nicht gemocht hätte”. Sie krempelten die Ärmel hoch, holten die Gitarren heraus, blieben die Nacht auf und brachten den schweren, sumpfigen, souligen Blues-Titel, den Peggy Lee hätte singen können, zu Ende. Dylans und T-Bones Daumen gingen hoch beim Anhören der neuen Version – was für ein Ritterschlag!
In den USA erschien “Put Your Needle Down” im April 2014 und erreichte die Top−20 der Country-Charts, Platz 3 der Folk-Charts und Platz 1 der Heatseekers-Charts der Branchen-Bibel Billboard. Auch wenn die Produktion des Albums eine Aura der 1950er hat, so weisen doch viele Details selbstbewusst in unsere Zeit, “…keine archivarischen Nachbildungen, sondern glänzende Hollywood-Remakes”, urteilte die New York Times. Ihr neues Album mache die exquisiten alten Duo-Harmonien wieder zeitgemäß, befand USA-Today. “Die Secret Sisters bringen den Hörer in eine Ära zurück, in der Sänger Reinheit über Produktion stellten”, schrieb der Rolling Stone. “Dieses Mal geben sie ihrem typischen Retro-Sound noch mehr Energie.”
In der heutigen Roots-Rock und Country-Szene sehen viele sie als Lichtgestalten, nachdem Country in den USA chic geworden- und in Richtung Southern-Rock, Pop und R&B abgedreht ist. Ein Geheimnis sind die Secret Sisters nicht mehr. Die Geheimnisse des goldenen Zeitalters amerikanischer Musik haben sie bis heute bewahrt.