„Momentan fühle ich mich da extrem entspannt“, sagt Luke Pritchard – und tatsächlich sitzt er extrem gelassen mit einem Bier in der Hand auf einer Couch in einem Pub in West-London. „Also, zumindest was so Dinge wie Rückschau angeht.“
11 Jahre nachdem ihr Debütalbum sie schlagartig bekannt und zu Anwärtern auf den Indie-Pop-Thron machen sollte, schaut der Sänger und Songwriter von The Kooks zurück auf die Distanz, die er mit seiner Band seither – sowohl persönlich als auch künstlerisch – zurückgelegt hat, und er gesteht inzwischen ganz offen, dass er erst vor Kurzem „die Kurve gekriegt“ hat, sprich: Erst jetzt wisse er so richtig um die Qualitäten des erfolgreichen Erstlings.
„Schließlich schaut man doch immer nach vorne, macht weiter, und da will man doch gar nicht zurückschauen“, so Pritchard. „Ich würde sogar sagen, dass wir uns mit jedem Album, das nach ‘Inside In/Inside Out’ kam, von genau dieser LP distanzieren wollten: Wir wollten uns bewegen, wollten Veränderung, was anderes machen. Aber ich glaube schon, dass ich diese Kurve inzwischen gekriegt habe, dass ich genug darüber reflektiert habe – und so habe ich inzwischen einfach ein gutes Gefühl, was diese ganze Entwicklung angeht.“
Für diejenigen, die mit dieser „Entwicklung“ womöglich nicht so vertraut sind: Der Mann spricht hier von einem Fünffach-Platin-Debüt, das während einer allgemeinen Hochphase der britischen Rockmusik erschien, und dessen Hooks – u.a. zu hören auf Tracks wie „Eddie’s Gun“, „Ooh La“, „She Moves In Her Own Way“ oder auch „Naïve“ – The Kooks im Handumdrehen eine gewaltige Fangemeinde bescheren sollten. Luke und seine Bandkollegen – der Gitarrist Hugh Harris, Bassist Max Rafferty und Schlagzeuger Paul Garred – waren eben noch auf dem College gewesen, und jetzt waren sie plötzlich überall auf dem Cover zu sehen.
„Die Chemie zwischen uns war einfach der Wahnsinn, als wir das Album aufgenommen haben“, sagt er und schmunzelt dabei. „Ich hab’s mir erst vor ein paar Tagen wieder angehört – war davor schon eine ganze Weile her gewesen –, und das war echt cool. Ich dachte mir nur: ‘Verdammt, das ist echt gut. Das ist echt ein richtig, richtig gutes Album!’ Die ganze Freiheit, die man beim ersten Album hat, diese Unschuld… wir waren einfach so unglaublich jung, wirklich so jung! Mann, ich war ja gerade mal 16, als ich ein paar dieser Songs geschrieben habe. Ist schon lustig… wir waren so jung, und man kann das nun mal nicht konservieren. Das Leben nimmt einem das irgendwann weg – und man muss sich damit einfach abfinden.“
Mit dieser Neueinschätzung des eigenen Debüts knüpft der Sänger an jene Äußerungen jüngerer Gitarren-Bands an, so z.B. von Catfish And The Bottleman oder von der tragisch verunglückten Band Viola Beach, die ihr „Inside In/Inside Out“-Album als extrem wichtige Inspirationsquelle angeführt haben, und deren Erfolge den ganzen Ansatz von The Kooks nicht nur bestätigen, sondern Luke auch extrem stolz machen: „Ein bisschen wie ein Amtsvorgänger, wie ein verdienter Staatsmann fühle ich mich dadurch, wenn du weißt, was ich meine – dabei bin ich ja selbst gerade mal 31!“ Aber zurück zum Erstling: Der Erfolg des Debüts katapultierte die Jungspunde aus Brighton auf die größten Festivalbühnen und die wichtigsten Titelseiten in aller Welt, so dass auch Celebrity-Freundinnen und weniger ruhmreiche Fehltritte nicht lange auf sich warten ließen; und dann war da ja noch Lukes Hang dazu, Fehden mit Musikerkollegen anzufangen (noch angefacht und verstärkt durch die damals recht junge Plattform Twitter) – doch konnten auch die geschmacklosen Pöbelzeilen in der Klatschpresse dem wachsenden Erfolg von The Kooks nur wenig anhaben.
2008 erschien dann der Nachfolger „Konk“, und während die etwas breitere, sperrigere Statur der Songs nichts vom melodischen Feuerwerk des Vorgängers eingebüßt hatte (siehe z.B. „Always Where I Need To Be“, „Sway“, „Shine On“ etc.), wurde der Release (wie auch die unter dem Titel „RAK“ veröffentlichte Special-Edition) zumindest teilweise überschattet von jenen Geschehnissen, die schließlich dazu führen sollten, dass ein nicht mehr wirklich verlässlicher Max die Gruppe auf Wunsch der anderen Mitglieder verlassen musste. Was wiederum hieß: Ein neuer Bassist musste her, und zwar einer, der die Ur-Chemie dieser Band am besten komplettieren konnte. Das fehlende Element hörte auf den Namen Peter Denton, dessen Ansatz sich seither immer wieder als 100% passend erwiesen hat.
Den nächsten Dämpfer gab’s um die Veröffentlichung von „Junk Of The Heart“ herum, als sich nämlich die Armprobleme, die Paul schon ein paar Jahre mit sich herumgeschleppt hatte, dermaßen verschlimmerten, dass er die Tour zum dritten Album kaum noch mitmachen konnte – und er die Band Ende 2011 schließlich sogar ganz verließ. Daraufhin stieß Alexis Nunez, zuvor Schlagzeuger der Golden Silvers, dazu, doch war die Stimmung innerhalb der Band zu dieser Zeit alles andere als gut. Selbst die Freundschaft zwischen Luke und Hugh hatte enorm gelitten: „Ja, wir haben uns damals richtig krass verkracht“, sagt Luke und stöhnt. „Heute sind wir so eng wie nie – aber zur Zeit des dritten Albums konnten wir es nicht mal im selben Raum miteinander aushalten. Das war echt richtig schlimm.“ Um die Lage zu stabilisieren, mussten sie etwas für den Zusammenhalt tun, und nichts schweißt Menschen so gut zusammen wie ein gemeinsamer Schritt ins Ungewisse…
„Meine Liebe zur Musik war damals einfach irgendwie weg: Es war ein Job geworden, mehr nicht. Und es gibt nichts Schlimmeres als das“, erinnert sich Luke. „Wirklich, ich will nie wieder in meinem Leben an so einen Punkt kommen. Wenn ich mich damals hinsetzte und etwas schreiben wollte, dann schrieb ich wirklich nur noch um des Schreibens willen. Erst mit ‘Listen’ kam dann schlagartig meine alte Leidenschaft, meine Kreativität zurück – und das fühlte sich so fantastisch an. Plötzlich war da wieder diese emotionale Verbindung zu den Sachen, die ich mir ausdachte. Eine zentrale Rolle dabei spielte allerdings auch Inflo.“
Für den Hip-Hop-Producer war es die erste Zusammenarbeit mit einer Gitarrenband, und das daraus resultierende vierte Album von The Kooks zeichnet insgesamt vor allem jene Spontaneität und Impulsivität aus, die Inflo aus Luke während der Sessions herausholte: Es waren oft die ersten (gelegentlich auch die zweiten) Takes, die sie verwendeten, echte, ungeschönte Momentaufnahmen also. Und obwohl später eine „tiefe musikalische Verbindung“ zwischen den beiden entstehen sollte, hatte Luke zunächst durchaus seine Bedenken gehabt. „Also dieses Ding mit dem Fremdbestäuben, dass man sich inspirieren kann, obwohl man aus ganz unterschiedlichen Ecken kommt, das habe ich da erst richtig gelernt, denn davor war ich ganz schön verschlossen“, gesteht er rückblickend. „Ich weiß noch genau, wie verschlossen ich war. Ich sagte immer: ‘Das hier mag ich. Das aber will ich nicht machen.’ Und wenn dann z.B. darüber diskutiert wurde, mit anderen Leuten zu arbeiten, hatte ich damit meistens Probleme. Ich war da eher wie ein mürrischer alter Mann.“
Nachdem er sich mit programmierten Beats angefreundet hatte, wie auch mit seiner eigenen Idee, Gospel-Elemente ins Songwriting einfließen zu lassen, richtete Luke seinen gesamten Ansatz als Musiker neu aus und ließ sich somit ein auf das Experiment. „Wie ein Marmorblock ist das, den man da bearbeitet: Daraus schneidet man den Song heraus – und ganz ähnlich bearbeitet man auch seine Vision, seinen neuen Entwurf.“ Indem er auf diese neue Vision zu 100% setzte, obwohl das natürlich auch bedeutete, die angestammte Komfortzone zu verlassen, war die Band plötzlich wieder eine richtige Einheit: Sie waren wieder eine Gang, die diesen neuen Sound zusammen aus der Taufe heben wollte.
Das vierte Album „Listen“ kam entsprechend mit massivem Funk-Faktor, mit Loops und Beats und slicken Gitarren daher, so dass The Kooks plötzlich so tanzbar wie nie zuvor klangen: „Down“, „Bad Habit“, „Around Town“ – alles astreine Tanzflächenkandidaten, basierend auf einem perfekten Zusammenspiel, das… nun ja, das letztlich erst im Computer konkrete Formen angenommen hatte. „Und genau das waren so Dinge, die wir davor ja noch nie gemacht hatten“, wie Luke über die zeitgenössischen Produktionsmethoden sagt, die Inflo damals ins Spiel brachte. „Es war super, das alles zu lernen. Ich habe echt wahnsinnig viel dadurch gelernt: konkret übers Musikmachen – aber auch einfach darüber, wie sich die Welt verändert hat. Das Beste und Wichtigste daran war wohl, dass ich mich nicht wie ein Schilfrohr verhalten habe, das sich nicht biegen lassen will und deshalb irgendwann bricht, sondern stattdessen mitgegangen bin: Ich habe mich drauf eingelassen, mir gesagt, ‘Klar stehe ich auf die Stones und auf Bob Dylan, aber weißt du was? Es gibt trotzdem auch noch andere Arten, Musik zu machen – und auch die finde ich richtig spannend.“
Indem sie nun zusammen den nächsten Schritt gehen, ist aus der Kooks-Familie – zu der jetzt in der Tat auch Gattinnen und Kinder gehören – ein kreativer Haufen geworden, der sich gegenseitig (unter-)stützt, und der auch das Wohl der einzelnen Mitglieder nicht mehr aus dem Blick verliert. The Kooks sind heute eine Band, die vieles überstanden, viele Rückschläge weggesteckt hat, und der es entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelungen ist, daraus noch fokussierter und hungriger hervorzugehen. „Nicht viele Bands schaffen mehr als 10 Jahre zusammen“, stellt Luke heraus. „Und ich muss das wirklich noch mal sagen: Wir sind einfach so unglaublich gute Freunde. So etwas findet man so verdammt selten, Mann. Schließlich treffe ich so viele Bands, zum Beispiel bei Festivals, die nicht mal mehr miteinander reden. Bei uns ist das ganz anders – und das ist wirklich ein großes Glück.“
Dermaßen zusammengeschweißt und befreit von jeglichem Ballast, stehen die Zeichen für Album #5 auf eine wohlüberlegte Rückkehr: „Das Album wird den Leuten ganz klar in Erinnerung rufen, für welchen Trademark-Sound unser Name steht“, so Luke, der zugleich andeutet, dass sie während der ersten Sessions in London sehr stark auf massive Gitarren (inkl. Blues-Einschlag) gesetzt haben. „Also ich würde jetzt nicht sagen, dass wir damit an ‘Inside In…’ anknüpfen, aber wir haben uns schon so ein paar Fragen gestellt: ‘Wer sind wir? Was genau macht diese Band aus? Was wollen wir sagen? Was wollen wir den Leuten geben?’ Und nachdem wir uns diese Fragen gestellt hatten, sagten wir uns: ‘Wir sind eine Rockband. Eine Band, die auf Live-Gitarren setzt. Bleiben wir dabei und holen alles, was in dieser Richtung machbar ist, für das nächste Album aus uns heraus.’“
Die Ausgangslage ist heute schon deshalb eine andere, weil Luke im Vergleich zur Entstehungsphase von „Listen“ „sehr viel weniger verwirrt“ ist, wie er sagt. Damals hatte er extrem persönliche Themen ans Tageslicht befördert. „Ja, das Beste an ‘Listen’ war der therapeutische Effekt, den das Album auf mich hatte – und ich glaube, ich werde auf dem neuen Album sehr viel zuversichtlicher, positiver klingen.“ Einen doppelten Vorgeschmack darauf gibt es schon, denn die brandneuen Stücke „Be Who You Are“ und „Broken Vow“ werden bereits auf dem kommenden „The Best Of… So Far“-Album zu hören sein.
Da sitzt er also auf der Couch: Befreit von seiner einstigen Schreibblockade. Frei von kreativen Auflagen, die er sich früher selbst gemacht hat. Sehr viel mehr im Reinen mit der Welt um ihn herum. Und so kann er zurückblicken, um den nächsten Schritt vorwärts zu planen. Der einst so wütende junge Mann habe, so Luke, auch endlich nicht mehr den Drang, immer alles und alle um ihn herum attackieren zu müssen. „Ja, ich fühle mich gereinigt, was das angeht. Und ehrlich gesagt fühle ich mich auch ziemlich ausgeglichen, ziemlich Zen. Also nicht zu 100%“, sagt er und zwinkert nach dem dritten Pint, „aber eben doch ziemlich Zen.“