Ein gutes Dutzend vergriffener Alben der Beat-Poeten, vornehmlich aus den 1970ern und frühen `80ern, erscheint in neuer Auflage und wirft neues Licht auf die schillernde Karriere der Kinks jenseits von England.
Die Karriere der Kinks könnte eine satirische Komödie aus der Feder Oscar Wildes sein, ein irrer Film von Guy Ritchie. Manche Pophistoriker teilen sie in drei Akte ein: Akt 1, die 1960er: Die Kinks erfinden Heavy Metal und Glam Rock, setzen mit ihren Songs neue Standards in der britischen Literatur, definieren die “Britishness” im Rock, triumphieren international mit Hits wie “Sunny Afternoon”, “Dead End Street”, “Autumn Almanac” oder “Waterloo Sunset”. Akt 2, die 1970er und `80er: die Kinks verlassen England und avancieren in den USA zur Stadionband – eigentlich völlig ironisch, denn Leadsänger Ray Davies ist das krasse Gegenteil der Rampensau. Akt 3, die 1990er: Während die Brit-Pop-Bewegung sich umbringt, um zu klingen wie die Kinks, tun die Kinks selbst alles, um zu klingen wie Dire Straits. Folglich lösen sie sich 1996 auf.
Vor einem Monat, am 23. Juni 2010, starb Pete Quaife, Gründungsmitglied der Kinks, an Nierenversagen, er wurde 66 Jahre alt. Quaife war der Bassist der Kinks während ihrer glorreichen ersten Phase der 1960er. Sein Bass-Stil inspirierte John Entwistle von den Who, der sagte, Quaife wäre die treibende Kraft hinter den Kinks gewesen. Die Brüder Ray und Dave Davies lernte Quaife bereits auf der Oberschule kennen, im beschaulichen Muswell Hill im Norden Londons. Gemeinsam übten sie die Songs von Buddy Holly und Chuck Berry ein. Bassist wurde Quaife, weil er beim Strohhalm ziehen verlor. Alle gingen sie auf die Kunsthochschule, begleiteten als The Ravens (bereits mit dem Schlagzeuger Mick Avory) den Sänger Robert Wace, es war die Zeit, in der die Karrieren der Beatles und Rolling Stones abzuheben begannen. Ihr Manager Larry Page steckte sie in Jäger-Outfits. Der Name The Kinks kam von “kinky”, einem hip-Begriff im Swinging London. Page brachte den Produzenten Shel Talmy ins Spiel, mit ihm produzierten die Kinks ihren ersten großen Hit “You Really Got Me” (mehr zu diesem Song lesen Sie hier). Ein Jahr später co-komponierte und produzierte Talmy “My Generation” von den Who, was ihn endgültig zum Architekten der “britischen Invasion” machte.
“You Really Got Me” und danach “All Day And All of the Night” waren so bemerkenswert in ihrem Kontrast zwischen den lärmenden Macho-Gitarren und den abgeklärten, understateten, ironischen, “camp”´en Vocals von Davies, welche andere Band hat das je wieder so hinbekommen? Aber die frühen Kinks-Songs sollten nicht zur Formel der Band breit getreten werden, der talentierte Mr. Davies hatte anderes im Sinn. Noch vor “Norwegian Wood” brachte er auf “See My Friends” die indische Sitar in den Pop. Mit “A Well Respected Man” machte er sich zu Englands Pop-Satiriker Nr. 1. Visionär war “Where Have All The Good Times Gone”, der Abgesang ans Swinging London, das 1965 eigentlich erst Wellen schlug. Auch musikalisch bemerkenswert: Mit ihrem britischen Folkrock-Stil begründeten die Kinks in der zweiten Hälfte der `60er ein neues Genre. Während die Stones mit “Play With Fire”, die Beatles mit “Piggies” das Establishment angriffen, böse, gnadenlos, hatte Davies immer noch Mitleid mit seinen Opfern, etwa dem grauenhaften, gierigen Geschäftsmann von " Mister Pleasant ". Verheiratet und Vater, immer noch wohnhaft im beschaulichen Muswell Hill, hatte Davies den nötigen Abstand von SoHo, war nicht in der Hysterie jener Ära eingefangen. Irgendwie wurde das den Kinks zum Verhängnis. Ihr 1967er-Album “Something Else”, grandios mit Songs wie "Waterloo Sunset, “Death of a Clown” oder “David Watts”, humpelte gerade mal auf Platz 35 der britischen Charts – überschattet von Sgt. Pepper, den satanischen Rolling Stones, den Debütalben von Jimi Hendrix und den Doors. Der Follow-Up “The Kinks Are the Village Green Preservation Society” kam gar nicht mehr in die britischen Charts. Nur noch Compilation-Alben der Kinks sollten ab dann akut nennenswerte Verkaufszahlen erreichen. Der klassische Long-Tailer, ist “Village Green” heute allerdings das bestverkaufte Kinks-Studioalbum aller Zeiten. In seiner Lo-Fi-Produktion ging es 1968 vorbei am britischen Zeitgeist, wurde 1969 in der US-Presse jedoch zum Kultalbum erklärt.| 1969 stieg Pete Quaife aus. Zunächst wollte das keiner bei den Kinks glauben, bis am 4. April des Jahres ein Artikel im NME eine neue Band namens Maple Oak vorstellte, es war Quaifes neue Band. Davies flehte ihn an, zu den Kinks zurückzukehren, es half nichts. Man ersetzte ihn mit John Dalton. Und damit begann ein Kapitel der Kinks-Karriere, das die Popgeschichte bisher links liegen gelassen hat. Ray Davies flog nach Los Angeles, um Verhandlungen mit der Musikergewerkschaft zu führen, damit den Kinks wieder erlaubt würde, in den USA zu touren (mehr zum Tourneeverbot der Kinks in den USA lesen Sie hier. Das Verbot wurde aufgehoben. Fiel die erste US-Tour der Kinks noch bescheiden aus, so erzielte man doch Achtungserfolge in New York und L.A., in Underground-Venus wie dem Fillmore East oder dem Whisky A Go-Go. Verstärkt durch Keyboarder John Gosling spielte sich die Band zurück in die Singlecharts, mit “Lola”. Das dazu gehörende Album “Lola Versus Powerman and the Underground” ebnete den Kinks dann den Weg in den USA.
Mit neuer Plattenfirma RCA veröffentlichten sie 1971 “Muswell Hillbillies”, ein nostalgisches Album mit Countryeinflüssen, das nicht der kommerzielle Erfolg wurde, den sich RCA erhoffte. Kurz nach Veröffentlichung zog eine von ihrer alten Plattenfirma Reprise lancierte Kinks-Compilation (“The Kink Kronikles”) an “Muswell Hillbillies” vorbei. So richtig nahm man damals den Englishmen in New York ihren Hillbilly nicht ab. Heute gehört, ist “Muswell Hillbillies” ein Meilenstein. Das Amalgam aus Rock, Country, Music Hall und Blues nahm die Band auf altmodischem Equipment auf, verlieh ihrem Sound damit eine höchstcharmante Patina. 1972 erklärte “Stereo Review” es zur Platte des Jahres. 1984 erkannte der “Rolling Stone” in der LP das stärkste Songwriter-Statement von Davies. Erstmals zu hören ist auf “Muswell Hillbillies” die Horn-Section The Mike Cotton Sound (Stevie Wonder, Solomon Burke).
Die Kinks avancierten auf “Sleepwalker” und dem Nachfolger “Misfits” zur US-Stadionband, auch wenn Davies bekannt gab, dass er nicht vorhabe, vom Mainstream umarmt zu werden. Nach dem Tod von Elvis Presley war er nicht mehr überzeugt davon, dass Rock´n´Roll noch etwas für Erwachsene sei. Immer gern am Anecken, diese Haltung bescherte den Kinks-Alben ein längeres Haltbarkeitsdatum und heute einen neuen Frühling. Mit “Low Budget” schrammte die Band 1979 knapp an den US-Album-Top−10 vorbei. Ihre Satire auf die Ölkrise der späten 1970er traf einen Nerv.
Überschattet von den Who, Rolling Stones und Beatles hat man die Bedeutung der Kinks immer wieder übersehen. Von heute aus, sieht man ihre tragende Rolle im Beat-Boom der 1960er, als Vorbilder von Bolan, Bowie, der Boomtown Rats oder Badly Drawn Boy absolut klar. Die “amerikanischen Kinks” gilt es immer noch zu entdecken.
Melanie Müller