Bis vor wenigen Jahren zog Didier Casnati, der Sänger, Gitarrist und Kopf der Gypsy Queens, noch als Straßenmusiker durch die Gegend und ließ einen Aschenbecher herumgehen, nachdem er in irgendeinem Restaurant oder auf einem Marktplatz ein paar Songs gespielt hatte. Heute sieht das alles ganz anders aus, denn seine Band spielt gut 200 Konzerte pro Jahr, zudem in sämtlichen Ecken der Welt – genau genommen bekommen sie sogar drei Mal so viele Anfragen –, und ein signifikanter Teil dieser Auftritte findet in äußerst exklusivem Rahmen statt, z.B. auf Privatpartys, bei denen sich ein paar der reichsten und berühmtesten Menschen der Welt unter ihren Zuhörern befinden. Kein Wunder also, dass Didier eine Reihe von Regeln für derartige Situationen aufgestellt hat, wobei die wichtigste folgendermaßen lautet: Wenn sich eine Berühmtheit im Raum befindet – und bei den Gigs der Gypsy Queens ist das so gut wie immer der Fall –, ist es streng untersagt, einen Song der jeweiligen Persönlichkeit zu spielen. Nur was ist zu tun, wenn sich nun zwei Superstars unter den Gästen befinden? Oder gar drei?
“Also, letztes Jahr sind wir bei der Geburtstagsparty für Theo Fennell aufgetreten”, berichtet Didier, “und Elton saß gleich neben Rod Stewart. Als wir die erste Hälfte unseres Sets gespielt hatten, ruft Elton plötzlich: ‘Spielt doch mal einen Song für Rod!’ Also kündigte ich den nächsten Song an, widmete ihn Rod und spielte ‘Crocodile Rock’. Er fand unsere Version super und beklagte sich später sogar darüber, dass es ihm selbst inzwischen kaum noch gelingt, die ganz hohen Töne zu treffen.”
Es kam, was kommen musste: Als nächstes meldete sich natürlich auch Rod zu Wort – und verlangte einen Song für Elton.
“Also haben wir ‘Maggie May’ gespielt”, erzählt Didier lachend, „und das Stück dann sogar gemeinsam für ihn gesungen."
In der Tat kann einem leicht schwindelig werden, wenn man die bisherige Erfolgsgeschichte der Gypsy Queens mal etwas genauer betrachtet – wobei sich der Grund für diesen Erfolg recht einfach beim Namen nennen lässt: Didier Casnati, ein Musiker, der nie wirklich darauf aus war, berühmt zu werden, und bis vor kurzem auch niemals damit gerechnet hätte, irgendwann Kopf einer erfolgreichen Band zu sein, geschweige denn mit dieser Band durch die ganze Welt zu touren. Und doch ist dieser junge Mann mit seiner Band, bestehend aus Schlagzeuger (und zweitem Frontmann) Manuel Polin, Saxofonist Jay Metcalf, Kontrabassist Jason King und dem Gitarristen Anders Klunderud (zuvor übrigens ein norwegischer Fußball-Profi), drauf und dran, den nächsten Schritt zu gehen – raus aus dem verhältnismäßig kleinen und exklusiven Rampenlicht der Privatpartys an die Öffentlichkeit, indem sie sich dieser Tage von Nizza, wo sie ihren Songs den letzten Schliff verpassen, auf den Weg machen nach L.A., um dort mit dem Joni-Mitchell-Produzenten Larry Klein ihr Debütalbum aufzunehmen.
Dass sie kürzlich einen Vertrag bei Universal unterzeichnet haben, vergleicht der Sänger mit dem Erreichen des nächsten Levels in einem groß angelegten Abenteuer: „Bei diesem Vertrag geht es um mehr als eine Unterschrift“, meint er. “Es geht um den Zugang zu einer ganz neuen Welt; das ist wie das nächste Level in einem Videospiel! Natürlich werde ich in diesem Level auch ein paar Mal gekillt werden oder Schläge einstecken müssen, aber das passt schon. Und wenn mich mein Label um ein paar Hunderttausend bescheißt? Auch egal! Wen interessiert das schon?! Entscheidend ist doch nur, dass ich aus diesen Erfahrungen etwas lernen kann.”
Didier ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, und, typisch für die Gypsy Queens, ist auch die Geschichte, wie es zu ihrem Plattenvertrag kam, dermaßen außergewöhnlich, dass sie hier noch einmal erzählt werden soll: Vor rund zwei Jahren spielte die Band wieder einmal bei einer Party im Restaurant La Petite Maison in Nizza, als ein gewisser Nick Raphael den Laden betrat, damals bei einer anderen Plattenfirma und inzwischen neuer Präsident des jüngst wieder belebten Labels London Records.
“Nick war mit seiner Gattin unterwegs”, berichtet Didier und lächelt. “Und obwohl sie eigentlich nur einen ruhigen Abend mit ihrem Mann verbringen wollte und zunächst keine Lust auf Musik hatte, stand sie schon beim zweiten Song unseres Sets auf und tanzte auf dem Tisch!”
Auch Bono befand sich an jenem Abend unter den Gästen im Restaurant, und im Verlauf der Show machten Didier und der U2-Sänger ein paar Scherze: “Allein deshalb hat sich Nick natürlich gefragt, wer zum Teufel ich denn nun eigentlich war”, erzählt Didier.
“Ich habe meine Karriere als DJ begonnen”, sagt Nick Raphael über den besagten Abend, “und was ich da in Nizza zu sehen bekam, war einer, der wie ein ausgezeichneter DJ denkt und handelt: Er war den Leuten im Raum immer zwei bis drei Songs voraus. Das ist eine unglaubliche Gabe.”
“Ja, ich bin gewissermaßen der DJ einer Live-Band”, meint auch Didier. “Durch die ganzen Auftritte als Straßenmusiker habe ich gelernt, was die Leute hören wollen: Ich kann es an ihren Bewegungen ablesen, und ich weiß, wie man diese Zeichen zu interpretieren hat. Die Songs, die ich spiele, sind ein Angebot, es sind immer neue Teaser, wobei ich nie die aktuellen Hits spielen würde; stattdessen gehe ich weiter zurück und spiele Tracks, von denen sie vielleicht gar nicht wussten, dass sie genau dazu tanzen wollten.”
Nick nahm die Gypsy Queens schließlich unter Vertrag, weil er an diesem Abend eine Band erlebte, die unglaublich gut mit ihrem Publikum umzugehen wusste: Sie sangen zum Publikum, mit ihm zusammen, und die daraus resultierende Stimmung und Energie war einzigartig und unbedingt ansteckend: “Sie wirken so wunderbar eingeschworen, wie Brüder”, so Nick. “Und dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit ist absolut echt. Es gab nie eine Set-List bei den Shows, auch keinen Agenten oder Manager – sondern einfach nur Didier.”
Die Gypsy Queens beherrschen ein gewaltiges Repertoire von Klassikern (z.B. “California Dreaming”, “Volare”, “Satisfaction”, “Unforgettable”, “Tutti Frutti” etc.), das sie sich seit jenen Tagen angeeignet haben, als sie noch auf der Straße spielten – ganz ähnlich übrigens wie die ebenfalls von Klein produzierte Sängerin Madeleine Peyroux. Als Straßenmusiker lernten sie auch ein paar der wichtigsten Lektionen: Spiele niemals für jemanden, der sich auch so schon amüsiert, und denke nie darüber nach, wie viel Geld du hinterher einsammeln wirst.
“Wenn man mit seinem Herz bei der Sache ist, wird man schon in irgendeiner Form etwas zurückbekommen für seine Mühe”, ist Didier sich sicher.
Und allem Anschein nach liegt er damit ganz richtig: In jüngster Vergangenheit haben die Gypsy Queens ihr krasses Entertainment-Programm vor so hochkarätigen Fans wie Robert De Niro, Chris Martin, David Beckham, Prinz Harry, R.E.M. und Quincy Jones präsentiert. Und es kann nicht oft genug gesagt werden, dass diese Band als geschlossene Einheit unschlagbar ist, während Didier in seiner ganz eigenen Liga spielt: Wie ein klassischer self-made man, hat er sich alles selbst erarbeitet, seit er schon mit 14 seine Heimatstadt Varese in Norditalien verließ, als seine Eltern sich scheiden ließen. Ursprünglich wollte er Anwalt werden und versuchte sich als Straßenmusiker zunächst nur, um damit sein Studium zu finanzieren. Wenn er heute zurückblickt auf die Entwicklungen der letzten Jahre und wie weit er es mit der Musik schon jetzt gebracht hat, tut er dies mit einer großen Portion Humor, die einfach nur erfrischend ist.
“Ich gehe mit dem Publikum dermaßen auf Tuchfühlung, weil ich immer noch ein bisschen mehr rauskitzeln will”, meint er. “Der Grund dafür ist wohl die Tatsache, dass ich mich nie so richtig von meinem Vater geliebt gefühlt habe. Dadurch können die Leute noch so ausrasten und uns abfeiern, ich will immer noch mehr. Ja, man kann fast schon sagen, dass ich versuche, dieses Liebesdefizit mit Aufmerksamkeit auszugleichen. Und weil ich diese Aufmerksamkeit suche, gibt es bei den Gypsy Queens auch immer noch einen Song, noch einen Witz und noch einen Auftritt.”
Indirekt hätte sich das Fehlverhalten des Vaters sogar als Segen entpuppt, so Didier. Während anderen Kindern gesagt wurde, was sie zu tun hatten, bekam er von seinem Vater gezeigt, wie man es auf gar keinen Fall tun sollte. “Durch ihn hatte ich auch immer dieses Gefühl, dass keiner wirklich an mich glaubt. Trotzdem wusste ich irgendwann, was ich wollte – ein Straßenmusikermillionär sein! Inzwischen verdiene ich gutes Geld und alles läuft so schon rund, insofern ist es durchaus ein Risiko, dieses Album aufzunehmen, aber andererseits lässt sich die Sache mit den Partys auch gar nicht mehr steigern. Vorwärts geht’s nur mit der LP!”
Fragt man ihn daraufhin, ob er denn nun eine Erklärung dafür hat, dass seine Band eine dermaßen hochkarätige Fanbase hat, muss der Sänger lachen: “Ehrlichkeit. Das ist das Geheimrezept. Ich bin mir sicher, dass selbst die reichsten und wichtigsten Leute, vor denen wir jemals aufgetreten sind, verstanden haben, dass wir ehrlich und echt sind. Bono und Elton wurden beide schon eine Million Mal mit irgendeinem falschen Lächeln angelächelt. Darum bin ich auf der Bühne auch immer ganz bescheiden. Aber auch nur da!”
Für die Gypsy Queens stehen die Zeichen ganz klar auf Expansion: die Konzerte werden größer, die Produktionen werden größer, alles wird größer. Ab sofort ist es die Art von Party, zu der die ganze Welt eingeladen ist.
Das Debütalbum der Gypsy Queens, das von dem renommierten Larry Klein produziert wird – Klein saß wie gesagt schon für Künstler wie Joni Mitchell, Herbie Hancock und Melody Garodot hinter den Reglern –, besticht zudem mit etlichen Gastauftritten, unter anderem von der bereits erwähnten Madeleine Payroux, Booker T. und Graham Nash (von Crosby, Stills & Nash). Es umspannt diverse Genres, denn Didier und seine Band präsentieren diverse Klassiker wie “California Dreaming”, “You Got A Friend” und “Brown Eyed Girl” – mehrstimmig und auf ihre ganz eigene, unverwechselbare Art.
Der neueste Traum des Sängers lautet, intime Shows vor 10.000 Menschen zu spielen. “Alles wird demnächst ganz anders werden für uns”, sagt Didier abschließend. “Selbst diejenigen Songs, die wir schon zehntausend Mal gespielt haben, werden sich anders anfühlen – wobei die Musik selbst so oder so für die Ewigkeit gemacht ist. Die Musik ist ein Geschenk, das für alle bestimmt ist.”