Wohin steuern
Tale Of Us? Live versetzt das DJ-Duo an einem Abend Zehntausende in Trance. Hunderttausende schwelgen auf ihrer Facebookseite in prachtvollen Erinnerungen an ihre Auftritte (“Sublime!” “Magnifique!” “Please come back soon!”). Die einschlägigen Medien listen
Matteo Milleri und
Carmine Conte regelmäßig in ihren Top−10. Mit Tracks wie “Dark Song”, “Disco Gnome” und “Another Earth” lenkten Tale of Us die elektronische Tanzmusik in neue Bahnen. Sie haben auf den bedeutendsten Labels des Genres veröffentlicht: darunter R&S und Minus, bevor sie mit Afterlife ihre eigene Plattform gründeten.
In der Clubszene sind die Italiener bereits ganz oben angekommen
Ihr Debütalbum haben die als Perfektionisten und Skeptiker bekannten Wahl-Berliner bereits dreimal angekündigt, jeden Entwurf davon immer wieder verworfen. Ihr Ruhm fußt auf einem vergleichsweise kleinen Output, ein paar Dutzend Remixen und eigenen Tracks, die auf Maxis, Compilations und EPs erschienen sind. Das Artist-Album, vor allem in der Dance-Welt, solle einfach richtig sein, sagten sie bereits 2015 dem Magazin Mixmag. Sehr schnell ist bei ihnen etwas zu hell, zu unrühmlich, zu sehr wie XY, nicht richtig. “Bei nichts sind sich Tale Of Us so sicher wie beim Zweifel an ihrer eigenen Musik”, folgerte das Groove-Magazin und schürte weitere Erwartungen.
Gute Musik soll eine Geschichte erzählen
Eine Erfahrung schildern. Etwas Persönliches mitteilen – so ihr Claim. Das Filmische der neuen Stücke von “Endless” verleiht ihrem Bandnamen nun noch mehr Bedeutung: Tale Of Us werden hier melodramatisch wie Morricone, monumental wie Mancini, mysteriös wie Zimmer, melancholisch wie Einaudi. Als Teenager sei er ein Einzelgänger gewesen, vertraute Carmine der Groove an: “In den Sommern ging ich oft allein ins Kino – wegen der Filmmusik.”
Bereits ihre Dance-Tracks bekamen das Etikett “Soundtrack-Techno”. Auf “Endless” widmen Tale Of Us sich nun ganz uneingeschränkt ihrer cineastischen Leidenschaft. Ihr Mix aus Emotion und Raumklang, von eingängigen Melodien und außerirdischen Strukturen schafft den Spagat zwischen Konservatorium und Computerspiel. Ihr kompositorischer Ansatz umspannt den Ambient und die klassische Minimal Music, folgt dem Pfad von Brian Eno und kosmischen Krautrockern wie Cluster. Unter prägnanten, mal hypnotischen, mal selbstvergessenen Piano-Motiven schöpfen sie das knisternde, grundrauschende und obertönende Klangspektrum der modernen elektronischen Soundcollage aus.
Das Artwork von “Endless” stammt vom preisgekrönten Londoner Medienkünstler Quayola
Man kann sich tief in diese atmosphärischen Stücke hineinhören: In die flimmernden Klangpassagen von “Destino”, die polarlichtige Leere von “Definizione dell´impossible”, den mondsüchtigen Sturm und Drang in “Notte senza fine”, und dabei nachempfinden, wie Tale Of Us mit “Endless” ihre Reise als Musiker fortgeführt haben, von 2011 bis heute, von Mailand über Ibiza nach Berlin, vom Deep House über “New Romantic House” (Groove) bis hin zur Ambient-Klassik ihres – bassdrumfreien – Debütalbums. Kongenial verbindet das Artwork vom preisgekrönten Londoner Medienkünstler Quayola eine klassische Ästhetik mit computergesteuerten Methoden: Geheimnisvolle, romantische Blumenkompositionen lösen sich in impressionistischen Pixeln auf.
“Manche denken, dass man einfach nur eine gute Idee braucht und vergessen dabei das Handwerk”, kommentierte der Berliner DJ/Produzent/Labelbetreiber Dixon, mit dem sie zusammengearbeitet haben. “Tale Of Us investieren alles und gehen den Umweg.” Möglich, dass viele Musikfans, insbesondere die Klassikliebhaber jenseits der 30, sie erst jetzt, über diesen Umweg entdecken.