Man kann sich nur wenige Musiker vorstellen, in deren Händen das musikalische Erbe des genialen Frank Zappa so gut aufgehoben wäre, wie in jenen des italienischen Jazzpianisten Stefano Bollani. Denn in Bollanis nicht selten schalkhafter Musik blitzten immer mal wieder Zappaeske Elemente auf. Und wie der 1993 verstorbene Rockmusiker Zappa ist auch Bollani ein Künstler, der virtuos mit allen nur erdenklichen Stilen jongiliert und mühelos zwischen Genres wechselt. Auf dem Live-Album “Sheik Yer Zappa” improvisiert Bollani mit seiner Band nun über Zappa-Klassiker wie “Cosmik Debris”, “Bobby Brown Goes Down”, “Peaches En Regalia” und “Uncle Meat”.
Die Live-Aufnahmen des Albums, die im Laufe einer Tournee mitgeschnitten wurden, bieten nicht nur originelle Interpretationen von großartigen Zappa-Klassikern, sondern auch drei Kompositionen, zu denen Bollani und seine Band-Partner (Vibraphonist Jason Adasiewicz, Posaunist Josh Roseman, Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Jim Black) durch Frank Zappa und seine Musik inspiriert wurden.
Als Jazzer nimmt sich Bollani aber gewisse Freiheiten heraus und spielt die Stücke nicht (wie es so viele Zappa-Tribute-Bands tun) einfach nach, sondern überarbeitete sie, um ihnen seinen eigenen Touch zu verleihen. Entstanden ist so eine augenzwinkernde Hommage von einem Musikgenie an ein anderes. Obwohl Zappa als gnadenloser Perfektionist bekannt war, hätte er an der teilweise anarchischen Weise, wie Bollani seine Werke hier angeht, ganz sicher seine Freude gehabt.
In einem Gespräch erläuterte Bollani dem JazzEcho, wie sein Frank-Zappa-Projekt zustande kam:
Lass uns mit dem Titel “Sheik Yer Zappa” anfangen: Was bedeutet er?
“Er ist eine Anspielung auf ein berühmtes Album, das er ‘Sheik Yerbouti’ genannt hatte. Auf dem Cover war er als arabischer Scheich verkleidet. Mit sehr ernsthaftem Blick. Der Titel ist tatsächlich ein Wortspiel, das an den 1976er Disco-Hit ‘Shake Your Booty’ von KC and the Sunshine Band angelehnt ist. Und da ich dahinter nicht zurückstehen wollte, habe ich meine Platte ‘Sheik Yer Zappa’ getauft.”
Wie kam sie zustande?
“Das Album ist das Ergebnis einer Serie von Konzerten, die wir 2011 gaben. Es entstand nicht in einer Nacht, sondern enthält Stücke von verschiedenen Auftritten. Und nicht alle Stücke sind von Zappa; es gibt da auch eines, das ich eigens für dieses Projekt geschrieben habe, ein anderes komponierte ich zusammen mit dem Vibraphonisten [Jason Adasiewicz] und noch eines ist eine unserer Improvisationen. Bands, die Coverversionen von Zappa im Programm haben, spielen die Musik normalerweise so, wie sie ursprünglich geschrieben wurde.
Wir nahmen die Stücke hingegen als Ausgangspunkt für jede Menge Improvisationen. Was wir taten: wir ‘schüttelten’ Zappa, um andere Dinge zu erreichen. Aber Zappas Schatten lag auf uns. Der Geist, mit dem er sich aller Musiken dieser Welt bediente, sie miteinander vermischte und interessant kombinierte, indem er sozusagen ‘eine Nähmaschine und einen Regenschirms auf einem Seziertisch platzierte’ [eine Anspielung auf eine berühmte absurde Metapher des französischen Surrealisten Lautréamont].”
Wie hast du seine Musik interpretiert?
“Wir haben sie weniger interpretiert, sondern vielmehr als Ausgangspunkt genommen. Es ist eine Weise, seine Musik lebendig zu erhalten, wenn man eine Komposition nimmt, die er in einer gewissen Periode geschrieben hat, und sie in die Zukunft versetzt. Die Idee war nicht, ihm ein Monument zu errichten. Zappa selbst errichtete niemandem Monumente, und ich denke, dass er auch nicht wollte, dass man ihm eines errichtet. Stattdessen wollten wir ihn nehmen und ihn ‘benutzen’, um in eine andere Richtung zu gehen.”
Was ist es, dass dich so an Zappa fasziniert?
“Sein Versuch auf alles, was passiert, einzugehen, sei es in der Musik oder in den Texten. Und dass er Musiker jeder Art einsetzte. Er arbeitete nicht mit einem Sinfonieorchester, sondern nutzte es für seine eigenen Zwecke; er arbeitete nicht mit Rockmusikern, sondern setzte sie nach seinen Vorstellungen ein. Er benutzte sogar Vulgarität und spielte mit diesen Aspekten so sehr, dass Leute, die ihn nicht kennen, ihn für einen ‘artiste maudit’ [verfemten Künstler] halten, so wie Jim Morrison oder Jimi Hendrix.
Es ist leicht, ihn mit diesen zu verwechseln, wenn man sich vor Augen hält, in was für einer Ära er lebte. Es war eine Ära, über die er sich liebenswürdig lustig machte. Zappa war immer anders, er probte neun Stunden am Tag, nahm unzählige Alben auf und produzierte tonnenweise Musik. Er wollte sogar für die US-Präsidentschaft kandidieren. Es geht mir darum, Zappas Geist am Leben zu erhalten. Denn diesen Geist brauchen wir heute wieder sehr dringend.”
Was willst du damit sagen?
“Man kann ihn nicht einfach nur als Rockgitarristen klassifizieren. Er war auch nicht nur klassischer Komponist oder Intellektueller oder Provokateur. Er war einer, der schlichtweg sein eigenes Ding machte. Er gehört tatsächlich einer Kategorie an, die es gar nicht gibt. Wenn man sie irgendwann offiziell erschaffen würde, wäre es in der Welt, in der wir leben, die gefährlichste aller Kategorien. Denn das würde bedeuten, dass man sein eigenes Ding tatsächlich durchziehen kann. Und das wäre in jedem System sehr gefährlich.”
Wie hast du die Band zusammengestellt?
“Nun, da ist zunächst einmal der Vibraphonist. Ich begann mit dem Vibraphon, weil ich dessen Klang bei Zappa wirklich liebte, insbesondere als Ruth Underwood mit ihm spielte. Meinen Vibraphonisten Jason Adasiewicz fand ich über YouTube. Er war mir empfohlen worden. Also schaute ich mir ein paar Videos an und nahm danach Kontakt mit ihm auf. Danach arbeitete ich nach einem Ausschlussverfahren: ich wollte keine Trompeten oder Saxophone, deshalb entschied ich mich für die Posaune und Josh Roseman.
Der Bassist ist Larry Grenadier, den man ja nicht groß vorstellen muss. Und am Schlagzeug sitzt Jim Black, der denselben Nachnamen hat wie einer von Zappas Drummern [gemeint ist natürlich Jimmy Carl Black]. Meine Grundidee war, dass die Musiker keine reinen Jazzer und auch nicht unbedingt große Zappa-Fans oder -Kenner sein mussten. Aber sie mussten sehr offen und empfänglich sein.
Jim war die perfekte Wahl, weil er ein sehr eigenwilliger Jazzschlagzeuger mit einem stark rockigen Stil und einem fantastischen Sound ist. Und ich wollte einen Vibraphonisten, der zeitgenössische Musik macht und nicht im Stil der klassischen Jazzgrößen spielt. Es ist ein Instrument, das sich nicht so leicht in die Zukunft transportieren lässt. Ähnlich wie das Akkordeon. Aber Jason versetzt das Vibraphon in eine neue Welt.”
Erzähl uns etwas über die Stücke, die du ausgewählt hast.
“Ich habe mich für sehr persönliche Favoriten entschieden. Dafür brauchte ich mir die Alben nicht noch einmal anzuhören. Ich wählte einfach Stücke aus, an die ich mich erinnerte und die ich immer schon mochte. Das erste Stücke, das mir in den Sinn kam, war ‘Eat That Question’, eine Nummer, die ein ziemlich geradliniges Rock-Riff hat und vielleicht gerade deshalb eine der Nummern ist, die für Zappa am wenigsten charakteristisch ist. In seiner Musik passiert normalerweise sehr viel, sie ist voller Informationen.
Aber dieses Instrumentalstück hat nur wenige Takte, die in einem erbarmungslosen Rock-Geist endlos wiederholt werden. Komme, was mag, wir befinden uns auf dem Weg in die Freiheit! ‘Bobby Brown’ ist das einzige Stück, bei dem gesungen wird, weil ich den Text immer sehr lustig fand: er handelt von einem Jungen, der zum College geht, den American Dream verkörpert und süß, cool und gefragt sein will.
Und dann ist das noch ‘Peaches In Regalia’, ein Stück, das ich wirklich liebe und das einem die Quintessenz von Zappa bietet: es enthält einfach alles. Es ist nicht sehr lang, es wurde alles in wenige Takte gepackt. Es ist unklassifizierbar, ist einem immer voraus und flutscht einem durch die Finger. Sobald man denkt, man habe es im Griff oder durchschaut, hebt es in eine völlig andere Richtung ab.”
Wie bist du an die Aufführung der Musik herangegangen? Oder mit anderen Worten: Wie sollte die Band arbeiten?
“Die Musiker merkten schnell, dass meine Idee war, auf die Bühne zu gehen und vor allem Spaß zu haben. Ich singe auf dem Album, wir alle pfeifen und verwenden Spielzeuginstrumente unterschiedlichster Art. Ich hatte Zappa schon immer geliebt und wollte mich nun endlich an seiner Musik vergreifen. Etwas Ähnliches werde ich früher oder später auch mit der Musik von Renato Carosone [ein neapolitanischer Sänger und Entertainer der 1950er Jahre] machen. Es sind Musiker, die ich auch auf einem menschlichen und ethischen Level respektiere.”
Wie hast du Zappa entdeckt?
“Ich war siebzehn oder achtzehn und hörte nur Jazz. Ich mochte keine Rockmusik und wurde gezwungen klassische Musik zu studieren. Ich glaube, ich hörte erstmals Stücke von ihm, als ich das Live-Album ‘Does Humor Belong In Music?’ erstand. Als ich den Titel sah, dachte ich: Was ist das denn für eine Frage!? Ich entdeckte das Album in einem Laden und kaufte es sofort.”