Sportfreunde Stiller – “Jeder NUR EIN X”
(VÖ: 11.11.2022)
„Freunde sind wie Sterne“, heißt es, „Auch wenn man sie nicht immer sieht – sie sind ständig da.“ Mit der Band Sportfreunde Stiller verhält es sich genauso. Unglaubliche 27 Jahre ist es jetzt her, dass sich zwei Münchner Studenten namens Peter Brugger und Florian Weber erstmals über Musik unterhielten, irgendwo im Pustertal, bei einer Exkursion der sportwissenschaftlichen Fakultät. Man gründete eine Band. Peter spielte Gitarre und sang dazu, Flo trommelte. Rüdiger Linhof stieg als Bassist ein. Und die Reise begann.
Heute sind viele ihrer Songs Klassiker: „Applaus, Applaus!“, „Alles roger“, „Wunderbaren Jahren“ – Man findet sie in zahlreichen Playlists der Streaming-Plattformen. Und viele User spielen damit, wenn sie für TikTok, Instagram und Co. Beiträge erstellen. Der Song „Ein Kompliment“ zum Beispiel, eine musikalische Liebeserklärung aus dem Album „Die gute Seite“, verzeichnet mehrere tausend „Creations“ auf TikTok. Dabei ist der Song älter als jedes Smartphone. Zeitlos sagt man dazu.
Noch etwas ist die Musik der Sportfreunde: generationenübergreifend. Während die Jungen sich auf Social Media austoben zur Musik des Trios, findet sich bei fast jedem Älteren ein unvergessener „Sportfreunde Stiller“-Momente in der Biografie: die wilde Party, bei der man zu „Wellenreiten“ Pogo tanzte; die Hochzeit, bei der sich „Lass mich nie mehr los“ als der bessere Brautwalzer erwies; oder die Fußball-WM 2006, bei der sich ganz Deutschland im Arm lag und mit „54, 74, 90, 2006“ den vierten Weltmeistertitel herbeisingen wollte.
Das ist die Konstante seit 1995: Wenn es darum geht, mit Freunden eine gute Zeit zu haben, ist die Musik der Sportfreunde Stiller die beste Begleitung.
Anfangs hieß die Band anders: Endkrass nannte sie sich bei ihrem ersten Konzert im Februar 1996, weil Peter Brugger einmal auf der Bühne stehen und sagen wollte: „Hi! Wir sind endkrass.“ Kurios: Allein an der Wortwahl merkt man, wie lange die Bandgeschichte mittlerweile schon geschrieben wird. „Endkrass!“ sagt heute keiner mehr – und das liegt nicht nur daran, dass der Bandname von den Musikern verworfen wurde. Aus Endkrass wurde Stiller. Auch das ein Name mit einem Augenzwinkern: Hans Stiller war nämlich der Fußballtrainer von Peter und Flo in der Bezirksligamannschaft des SV Germering, der Bandname Stiller eine Hommage an ihn. Allerdings gab es in Hamburg eine Band gleichen Namens. Das Trio aus Süddeutschland musste sich umbenennen – und entschied sich für Sportfreunde Stiller. Ein fast schon programmatischer Name: Vorne Sport als Erinnerung an den Beginn der gemeinsamen Geschichte und, ja, auch als das Alleinstellungsmerkmal der Band. Hinten Stiller als Ausdruck des Humors, mit dem die Band seit jeher ins Studio oder auf die Bühnen geht. Und dazwischen vielleicht das Wichtigste: Freunde. Von Anfang an sangen die Sportfreunde von Freundschaft („Heimatlied“) und vom gesellschaftlichen Miteinander („Auf der guten Seite“). Dass sich die Band sozial engagiert, verwundert nicht.
Jetzt kommt also „JEDER NUR EIN X“, das achte Album der Sportfreunde Stiller, sehnsüchtig erwartet von Fans und Followern. Jeder Schnipsel, der im Netz auftaucht und neue Songs auch nur andeutet, wird gefeiert. Kein Wunder: Sechs Jahre sind vergangen seit dem letzten Album „Sturm & Stille“. Als Sportfreunde Stiller letztmals gemeinsam auf der Bühne standen, schrieb man das Jahr 2017. Das erste Konzert nach dieser Pause, ein Auftritt in Landshut im April 2022, war in einer Minute und elf Sekunden ausverkauft.
Berechtigte Frage: Was haben Peter, Rüde und Flo in der Zwischenzeit gemacht? – Einfache Antwort: gelebt. Als Familienmenschen und Freunde. Als Künstler, die über die Welt nachdenken. Auf „JEDER NUR EIN X“ singen sie davon. 13 Songs über das Leben in seiner unglaublichen Vielseitigkeit. Mal wird’s politisch, mal privat, mal komisch. Der Albumtitel passt dazu. Man sagt: „Jeder nur ein Kreuz.“ Wieder spürt man diese Mehrdeutigkeit, mit der die Band so gerne agiert: Man könnte bei diesem Albumtitel an Wahlen denken. An Wahlfreiheit. Auch daran, dass jeder sein eigenes Kreuz zu tragen habe. Und dann natürlich auch an den schwarzen Humor des Monty-Python-Films „Das Leben des Brian“. Das Interessante aber ist: Jede dieser Assoziationen passt, zur Band – und zur Platte.
Und wie klingt das? – Die ungehobelten Gitarrenbretter, mit denen die Sportfreunde zu Beginn ihrer Karriere das Publikum gegen die Wand klatschten, sind weniger geworden. Das Album beginnt stattdessen mit Soundtüfteleien und Akustikgitarre, mit Off-Beats und Bläsersounds. Und doch ist der erste Song „I’m Alright!“ – zugleich die erste Singleauskopplung – 100 Prozent Sportfreunde Stiller. „Hat jemand mein Tattoo gesehen, ich find’s gerade nicht“, fragt Peter Brugger in der ersten Strophe und schildert mit Charme und Ironie einen Mann und seine Hybris. Der „König“ sitzt eben doch nur auf einem „Ackergaul“. Und der Zuhörer vor den Lautsprecherboxen grinst und will auf der Stelle tanzen.
Dann wird es ernst. „Bergauf“ ist ein Song über ein Paar in der Krise, der ruhig beginnt und mit Worten spielt: „Wir stottern und stolpern und holpern beim Reden / Ein Poltern und Kleben / Wir halten und beben“ – so läuft es eben manchmal, wenn die Liebe sich dem Alltag anpassen muss. Und doch gibt es die Hoffnung, dass alles gut wird – die Sportfreunde erzählen davon in einem rhythmisch-vertrackten und doch optimistischen Schlussteil.
Die Songtexte, so kann man das vielleicht zusammenfassen, zeugen von einer größeren Lebenserfahrung als bei früheren Alben. „Candlelight & Hardcore“ schildert die Zerrissenheit, in der man lebt, wenn man eben nicht mehr 25 ist: Wer sich tagsüber mit „Papasorgen“ und „Formularen“ herumquält, möchte trotzdem manchmal abends das „Raubtier vom Dancefloor“ sein. Der Song „Juunge“ (sic!) dagegen stellt Fragen voller Liebe. Fragen, die sich Freunde stellen, wenn sie sich lange nicht gesehen haben. Fragen, die vielleicht auch verstorbene Eltern aus dem Jenseits stellen würden. Auch wenn das alles serviert wird mit einer fast schon poppigen Leichtigkeit – es geht um die ganz großen Themen in „Juunge“. Und das ist gut so. Wer schon vor der Bühne stand, als Stiller noch Endkrass hießen, hat in der Zwischenzeit auch einiges erlebt. Und die Sportfreunde Stiller setzen genau da an und singen darüber. Manchmal fühlt es sich dabei so an, als würde man sich mit alten Freunden über sein aktuelles Leben unterhalten.
Ebenfalls ernst, vielleicht sogar ernster als je zuvor im Kosmos der Sportfreunde, geht es bei „Wächter“ zu. Der Song entstand, als Florian Weber von den Depressionen eines Freundes erfuhr. „Kein Herz bleibt für immer schwarz – nicht mal Deins“, heißt es da. Und dann kommt Bewegung in die Musik, „immer Richtung Licht“ soll der Freund geführt werden. Der Zuhörer kommt gerne mit. Ein Mutmacher-Song.
Und auch das gibt es auf „JEDER NUR EIN X“: Lieder, die einfach nur den Moment feiern wollen. „Hand in Hand“ zum Beispiel, mit seinem heiter-rollenden Groove und den fetten Gitarren im Refrain, steht in der Tradition von Sportfreunde-Klassikern wie „New York, Rio, Rosenheim“ oder „Ich, Roque“ und macht jetzt schon Lust auf die großen Konzerte im Sommer. Oder auf die TikTok-Clips mit der neuen Musik der Sportfreunde.
Und der Sport? Und der Humor? Und die Haltung? – Die sind nicht auf der Strecke geblieben. „Du bist eine Bank“ zum Beispiel, ein kleines Lied mit Schrammelgitarre und Punk-Attitüde, handelt von Botschaften, die in eine Parkbank geritzt wurden. „Bomben und Kriege sind krank“, heißt es da. Oder auch: „Nazis fuck off!“ So aktuell wie zeitlos.
Und „Ibrahimovic“ ist vielleicht der lustigste Song, der jemals über Ängste geschrieben wurde. Da kann der Geisterchor nach dem zweiten Refrain noch so bedrohlich spuken (mit der schönen Wortschöpfung „Zlatanisation“) - am Ende hat man immer noch einen „Ibrahimovic“ in der Hinterhand, der die bösen Geister verjagt. Wie ein großer Bruder. Oder wie Chuck Norris. Oder wie die Musik der Sportfreunde Stiller.
Das nämlich schaffen Peter, Rüde und Flo seit über 25 Jahren: Sie machen das Leben ein bisschen leichter. Und das kann man im Moment mehr denn je brauchen.
Matthias Kiefersauer
Sportfreunde Stiller