“Diese Gestalten spülen 15 Mio. in Leipzigs Kassen”, titelte die Bild-Zeitung 2016 anlässlich des 25. Wave-Gothic-Treffens. Zum “Schaulaufen der schwarzen Szene” waren tausende Goths, Steampunks und Mangas aus der ganzen Welt angereist. Ach ja, Gothic, dieser gern genommene Sammelbegriff. “Ich habe früher bei Siouxsie and the Banshees gespielt – das war eine Goth-Band”, erklärte Robert Smith von The Cure dem Magazin Galore. “Das Aussehen spielte dabei eine große Rolle, ich trug ein Kruzifix, verschiedene Rosenkränze und alle möglichen Goth-typischen Dinge.”
Mit ihrem rabenschwarzen, stachelig toupierten Haarschopf, den Netzstrümpfen, dem ägyptischen Make-Up gehört Susan Dallion alias Siouxsie Soux mittlerweile zum englischen Weltkulturerbe. Nur David Bowie war als Ziggy Stardust eine solche Mode-Ikone. Quasi im Alleingang kreierte das einst gelangweilte und lebenshungrige Vorstadtmädchen eine der langlebigsten und erfolgreichsten Bands, die aus der Londoner Punkszene hervorgingen: 1976 gehört sie zu einem Fanclub der Sex Pistols, dem Bromley Contingent, aus dem Siouxsie and the Banshees hervorgehen. Zum Ende des Jahres geben sie auf dem epochalen Punk-Festival im Londoner 100 Club ihr erstes Konzert, eine 20-minütige Darbietung des Vater-Unser. An den Drums sitzt Sid Vicious, der kurz darauf bei den Pistols einsteigt. Obwohl sie zur ersten Punk-Welle Englands gehören, und sie zwei umjubelte Radio-Sessions mit John Peel aufnehmen, sehen sie zu, wie alle außer ihnen einen Plattenvertrag bekommen (Siouxsies skandalträchtigem Auftreten in London geschuldet), bis sie endlich 1978 mit ihrem Debütalbum “The Scream” einen Meilenstein des Post-Punks setzen.
Siouxsie and the Banshees werden zur Drehtür zahlloser Musiker der Szene, darunter Marco Pirroni (später bei Adam & the Ants), Budgie (war davor bei den Slits), John McGeoch (später bei P.I.L.) und Knox Chandler (Depeche Mode, R.E.M.), neben oben genanntem Cure-Frontmann Robert Smith. Konstant im Line-Up bleibt der Bassist Steven Severin.
Mit der Hitsingle “Happy House” bringt die Band 1980 ihr drittes Album “Kaleidoscope” in die britischen Top−5. 1981 legen Siouxsie and the Banshees mit “Juju” die Bibel des Gothic-Rocks vor: Sex und Tod, Fetisch und Tabubruch. 1983 erreicht ihre Version des Beatles-Songs “Dear Prudence” Platz 3 der britischen Charts. Nach dem Song “Slowdive” ihres (ungewohnt unbeschwerten, poppigen) fünften Albums “A Kiss In The Dreamhouse” benennt sich eine Band. Angetrieben von der Single “Cities In Dust”, die im englischsprachigen Raum die Top−40 erobert, knacken sie 1986 mit “Tinderbox” die amerikanischen Albumcharts.
Mit dem andauernden Erfolg kommen die Probleme jeder einst bahnbrechenden Band: der musikalische Boden ist umgepflügt, die persönlichen Differenzen und Eigenheiten nehmen zu, die Erwartungen der Medien und des Publikums steigen zu hoch. Geschwächt durch den Abgang McGeochs hauen sie dennoch einige Top−20-Hits und Klassiker heraus, wie 1988 “Peek-a-Boo” vom Album “Peepshow”. Das Magazin PopMatters platzierte sie auf Rang 18 seiner 100 Greatest Alternative Singles of the ’80s. Zwei Alben später, 1995, lösen Siouxsie and the Banshees sich auf. 2006 tanzte “Marie Antoinette” in Sofia Coppolas Hipster-Historienepos zu Siouxsies Debütsingle “Hong Kong Garden” über die Kinoleinwand. Ohne sie klängen Florence Welch, TV On The Radio, Bloc Party et cetera heute anders. In zehn Jahren werden sie immer noch da sein.