SALÒ
VÖ: “Problemzone Mensch”
22.11.2024
Bevor sie anderswo gestellt wird, widmen wir uns doch einfach selbst einen kurzen Augenblick einer der vermeintlich wichtigsten Aufregerfragen des Pop: Die Musik, die der wunderbar anarchische Wiener Krawallo-Electroclash-Sponti SALÓ auf seinem zweiten Album, »Problemzone Mensch«, macht – ist das noch Punk? Spießig, klar, aber die Leute interessiert so was ja angeblich. Was aber ist das überhaupt, Punk? No-Future-Lebensgefühl, rebellische Pose, Hauptsache-dagegen-Haltung, schnorren in der Fußgängerzone oder halt einfach: drei Akkorde, schnell gespielt und bisschen brüllen dazu?
Alles Quatsch: Das wichtigste Punk-Wort überhaupt ist und bleibt Selbstermächtigung, as in DIY. SALÒ kommt aus der Steiermark, lebt in Wien, hat nicht nur eine, sondern gleich mehrere Geschichten: Als Teenager hat er in Punk- und Metal-Bands gesungen, Tic Tac Toe ebenso geliebt wie Element of Crime und die Dead Kennedys. »Punk war immer irgendwie da«, sagt er. Er hat dann erstmal auf Lehramt studiert, Psychologie und Germanistik, aber weil er dafür dann doch zu sehr Punk war, hat er das Studium abgebrochen. »Ich habe alles hingeschmissen und bin ein Jahr allein durch Asien gereist«, sagt SALÒ. Er macht sich damals Gedanken. Über sich, das Leben – und arbeitet dann ausgerechnet als Copywriter. »In dieser sogenannten Kreativbranche«, wie er sich schaudernd erinnert, »dass die überhaupt so genannt werden darf, ein Armutszeugnis.«
Dass SALÒ indes ein herausragendes Talent für Slogans hat, belegt nun aber spätestens »Problemzone Mensch«. »Universal Punks Fuck Off«, »Sexy Sport Clips«, »Valeria (schieß mich tot)«: Allein die Songtitel ziehen einen direkt hinein in dieses wunderbar stürmische Album. Überhaupt war die Musik bei SALÒ immer irgendwie da, immer wichtig. Wie ein richtiger Punk hat er mit bestem Gewissen den Sozialstaat ausgenutzt, war eine Weile arbeitslos, wusste nicht wohin mit sich – »Um sich wiederzufinden, muss man sich erstmal verlieren«, singt er im hitzigen »Anzeige is raus«. Streaminglink SALÒ Bis 2019 ging das so. SALÒ hatte damals Liebeskummer, womöglich kein Punk-, aber ein sehr menschliches Gefühl. Er saß allein zuhause, man kennt das, und um nicht verrückt zu werden oder im Selbstmitleid zu versinken, hat er angefangen, Songs zu schreiben. Zum ersten Mal ohne Band, ganz allein. »Da ich keine Instrumente spiele, war gleich klar, dass das elektronische Musik sein musste«, sagt SALÒ, »mit Midi-Keyboard und Ableton kann man halt easy Talent vorgaukeln.« Man merkt es relativ schnell, wenn man mit ihm spricht: SALÒ ist tatsächlich der charmant hadernde Tiefstapler, den man hinter einigen seiner Texte bereits vermutet hatte. Doch es ist keine Koketterie, sondern genau jene Form von tiefgründigen Zweifeln an der Welt und sich selbst, die Wahrhaftigkeit hervorbringt – und aus guter Kunst herausragende macht.
So durchmisst SALÒ in »Problemzone Mensch« das ganze Drama, aber vor allem auch die Lächerlichkeit der irdischen Existenz. Anmaßungen, all das Aufbegehren und Scheitern, die inneren Kämpfe, die Liebe und die Abgründe des menschlichen Daseins werden verhandelt mit einer Leichtigkeit, einem Spott, aber auch der Einsicht, dass SALÒ hier natürlich immer auch über sich selbst singt. SALÒ berichtet aus zwischenmenschlichen Mikrokosmen, aber wie er in Songs wie dem Überholspur-Punker »Baumarkt« vom Kleinen ins große Ganze kommt, von vermeintlich banalen Alltäglichkeiten in komplexe Sinnzusammenhänge, ist repräsentativ für seine Musik. »Das reizt mich mehr«, sagt er. »Auch in der Literatur finde ich es viel interessanter, die Lupe auf das Kleinteilige zu halten, es wird sonst immer gleich so plakativ und eindimensional: ›Krieg ist schlecht, die Welt ist schlecht?‹ Na klar, aber was nun?« Das Private ist politisch, und in unseren zwischenmenschlichen Interaktionen und vermeintlichen Banalitäten lassen sich die großen Weltenläufe viel punktgenauer beschreiben. Bestes Beispiel: »Universal Punks Fuck Off«, der Song, mit dem »Problemzone Mensch«, beginnt. Streng genommen ist der Titel nicht von ihm, sondern SALÒ hat ihn geborgt aus einem Hate-Kommentar zu seinem letzten Album, »Subjektiv betrachtet« (2022). Damals ging es um den ältesten und lahmsten Punk-Vorwurf überhaupt: Ausverkauf. SALÒ ist bei Universal Music unter Vertrag, also »Universal Punks Fuck Off«.
So weit, so gähn, aber was SALÒ nun daraus macht, ist brillant: Der Song ist zweieinhalb Minuten lang, strotzt aber derart vor Zitaten, Querverweisen, Themen, dass man ganze Abhandlungen darüber schreiben könnte: Mental-Health, Deutsche-Bahn-Bashing, Dead Kennedys, Kritik am Gesundheitssystem, bitterer Sarkasmus, Dada-Humor und nebenbei beantwortet er auch noch indirekt unsere Eingangsfrage, wenn er nämlich singt: »Oh Ich bin kein Punk nein/Und ich will auch keiner sein/Weil die Therapie zahlt sich nun mal nicht von allein.« Aufgenommen hat SALÒ den größten Teil des neuen Albums erneut mit seinem ewigen Mitstreiter Mathias Garmusch, mit dem bereits die albumartig angelegte EP »Rabatt« sowie das aktuelle Album entstanden waren, mit denen SALÒ nach dem kreativen Liebeskummer-Aufbruch von 2019 zunehmend für Aufmerksamkeit sorgte. Prominente Hörerschaft wie Olli Schulz, Felix Kummer (Kraftklub) und Jan Müller (Tocotronic) empfahlen SALÒ damals, er spielte auf zahlreichen großen Festivals, wurde für den renommierten Amadeus Award nominiert und spielte 2023 seine erste große Headliner-Tour. Bei der Produktion von »Problemzone Mensch« hat SALÒ nun außerdem mit dem Wahl-Berliner Thomas Schöttl sowie mit dem Wiener Produzenten-Wunderkind und Musiker Filous in dessen Studio Villa Lala gearbeitet. So entstand die bislang diverseste Musik dieser Karriere, die gleichwohl im Kern zu 100 Prozent SALÒ bleibt: NDW, Post-Punk, Electroclash sind hier immer noch die zentralen Koordinaten, aber durch die Stimme und die Art, wie diese Stile kombiniert werden, geht »Problemzone Mensch« weit über diese schnöde Aufzählung hinaus.
Relativ selten wird Punk ja zum Beispiel im klassischen Sinne als tanzbar bezeichnet, traditionellerweise pogt man ja auch eher dazu. Dieses Album zieht einen nun aber immer wieder auf unwiderstehliche Weise auf den Floor, mit diesen smarten Italo-Disco-NDW-Vibes. Die Songs sind kurz, prägnant, völlig fettfrei und auf den Punkt. »Problemzone Mensch« swingt, groovt, tänzelt. Der minimalistisch gehaltene Titelsong verlässt sich auf einen stringenten Balla-Balla-Drumcomputer-Beat, Panflöten, einzelne Keyboard-Sprenkler und eine abermals enorm prägnante, allerdings nicht: anbiedernde Melodie. In seiner wunderbaren Reduktion erinnert »Problemzone Mensch« an die großartige Band Trio.
»Valeria (schieß mich tot)« ist ein weiteres Beispiel: Der Song ist zu gleichen Teilen feministische Positionierung, wie eine Mini-Hommage an die Amy-Winehouse-Version von »Valerie« und natürlich an die Goldenen Zitronen. SALÒ hatte die Geschichte der US-amerikanischen, radikalfeministischen Autorin und Warhol-Attentäterin Valerie Solanas gelesen und kommt nun von dieser tragisch-gruseligen Vorlage spielerisch auf Orientierungsprobleme in Neukölln und seine eigenen Abgründe. Denn die gibt es natürlich, sie sind auf diesem Album omnipräsent. »Vom Winde verweht« handelt davon, wie SALÒ einmal versucht hat, Ritalin auf Rezept zu bekommen: »Ich habe ADHS«, sagt er. »Ich dachte, mit Ritalin komme ich endlich ein bisschen zur Ruhe. Diese Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt, was durchaus lehrreich war. Bei mir sind die Gedanken immer gleichzeitig überall, ein Feuerwerk im Kopf, ein ständiges Tosen. Mit Ritalin flacht das ab und wird zu einer geraden Bahn, einem Strich – und auf diesem Strich finden keine kreativen Prozesse mehr statt.« Die Musik auf »Problemzone Mensch« hat eine Grandezza, sie ist elegant und gewitzt – und tänzelt über einem brodelnden Orkan. Das vermeintlich Plumpe ist lediglich SALÒs trojanisches Pferd, sein kleiner Trick, mit dem er metaphorisch mit einem Krachen die Tür eintritt, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen für diese waidwunden, anrührenden, tiefgründig beobachteten Miniaturen, in denen es in Wahrheit um so ziemlich alles geht. Meinetwegen ist das dann eben Punk, eigentlich ist es aber auch egal, denn vor allem ist es: Selbstermächtigungsmusik.