Im Juni 2006 spielte Rufus Wainwright das berühmte Konzert von Judy Garland vom 23. April 1961 in der New Yorker Carnegie Hall nach. Am selben Ort, Note für Note, begleitet von einem 36köpfigen Orchester. Der gerade als Doppel-CD erschienene Mitschnitt “Rufus Does Judy At Carnegie Hall” ist gewissermaßen die Antithese, der Kontrapunkt zu Wainwrights letztem Studioalbum “Release The Stars”. “I´m so tired of America”, sang er dort über die bleierne Zeit in seinem Land. Die von Wainwright gecoverte Live-LP “Judy At Carnegie Hall” steht für ihn dagegen für das Amerika vor Vietnam, vor Watergate oder dem Irak-Krieg. Sie steht für ein Amerika voller Talent und Kreativität, Freiheit, Toleranz und Lebenslust. Wainwright Jr. erlebte diese Zeit selbst nicht mit. Es gibt aber ein Foto von seinen Eltern, Kate McGarrigle und Loudon Wainwright II, auf dem sie vom Rang der Carnegie Hall aus eben jenes legendäre Judy Garland-Konzert anschauen.
Als Rufus Wainwright aufwuchs, war die Garland-Ära (Cadillacs und glamouröse Jazzclubs, Golfschuhe und “Breakfast At Tiffany´s”) zwar schon vorbei, doch er liebte Garlands Interpretationen des amerikanischen Songbooks mehr als die Folkbewegung seiner Eltern. Stücke wie “Puttin´On The Ritz”, “Come Rain Or Come Shine”, “Stormy Weather” – die Titel der großen Tin Pan-Alley-Komponisten wie Gershwin und Harold Arlen, Richard Rodgers und Lorenz Hart oder Irving Berlin. Als er sich weigerte, Folksongs zu lernen, brachte sie ihm “Over The Rainbow” bei, erinnert sich Kate McGarrigle im Booklet der neuen CD an ihren damals fünf- oder sechsjährigen Sohn. | Wenn es eine Reinkarnation von Judy Garland gibt, dann ist sie Rufus Wainwright. Devot und manchmal augenzwinkernd zelebriert er sein Idol. Mit unbeirrbarer Tenorstimme koloriert der Opernfan das bekannte Material neu. Sein selbstbewusster, unbefangener Umgang damit: mal barock, mal jazzig, mal kokett, mal völlig berauscht zeigt, wie sich Wainwright durch die Höhen und Tiefen seiner Karriere hindurch an dem Material abgearbeitet-, wie sehr er es sich schon lange zu eigen gemacht hat.
Judy Garland ist – wenige wissen das heute – die Mutter aller Barbra Streisands, aller Chers und Madonnas: eine Göttin in der Gay-Community. In der Filmrolle ihres Lebens: Dorothy in “The Wizard of Oz” (1939), verkörpert Garland ein falsch verstandenes Mädchen aus einer Kleinstadt. Garlands Biographen beschreiben das Doppelleben der Diva zwischen Mädchencharme und Drogenexzess. In ihren Songs hört man den Kontrast zwischen Verletzlichkeit und Stärke, sie beschreiben große Einsamkeit und derilierende Liebe. Garlands Jahrhundertsong “Over The Rainbow” wurde zur Hymne, der Regenbogen zum Symbol für Homosexuelle, die sich in den 1950er Jahren mit der Losung “I´m a friend of Dorothy” untereinander zu erkennen gaben. Danach waren Garlands Konzerte der 60er schwul-lesbische Wallfahrtsorte. Mehr als genug Berührungspunkte mit Rufus Wainwright. Garland gewann damals einen Grammy für ihr Konzert.