Roger Eno & Brian Eno | News | Víkingur Ólafsson trifft auf Roger & Brian Eno – Ein Gespräch

Víkingur Ólafsson trifft auf Roger & Brian Eno – Ein Gespräch

Roger & Brian Eno
© Cecily Eno
19.03.2020
Mit “Mixing Colours” erscheint am 20. März das erst Album von Roger Eno und Brian Eno auf Deutsche Grammophon. Es ist die erste gemeinsame Veröffentlichung der Musikerbrüder – das Zeugnis eines 15-jährigen musikalischen Austauschs. Im Gespräch mit dem isländischen Komponisten Víkingur Ólafsson geben Roger Eno und Brian Eno persönliche Einblicke in die Entstehung des Albums.
Víkingur: Großartig, hierher zu kommen und einmal auf der anderen Seite der Kamera zu sein und euch ein paar Fragen zu stellen. Als Brüder habt ihr eine ähnliche DNA. Führt das wiederum zu einer ähnlichen musikalischen DNA und wie wirkt es sich auf eure gemeinsame Arbeit aus?
Roger: Ich denke, ja. Ich bin wesentlich jünger als Brian, elf Jahre, aber selbst bei diesem Altersunterschied komme ich manchmal an Punkte, an denen er schon war oder auch gerade ist. Es gibt also so etwas wie Gemeinsamkeit. Auch in unseren Büchern, in unserem Lesestoff, sind viele Übereinstimmungen in unseren Interessen, da ist also eine gewisse Vertrautheit, glaube ich. Außerdem haben wir natürlich dieselben Eltern, was bedeutet, dass es ein Vermächtnis gibt, es ein kulturelles Vermächtnis zu nennen, ist wohl zu hoch gegriffen, aber bestimmt ist es ein musikalisches durch das, was unsere Eltern hörten.
Víkingur: Warum habt ihr in der Zeit zwischen 2000 bis 2020 kein komplettes eigenes Album gemeinsam gemacht? Ihr kennt euch schon euer ganzes Leben. Ihr habt natürlich zusammen gearbeitet, aber nie ist ein ganzes Duo-Album wie dieses entstanden. Kann man behaupten, das dies euer gemeinsames Debüt-Album ist?
Brian: Ich glaube, das liegt teilweise an der Entdeckung dieser Arbeitsweise, die von bestimmten technischen Möglichkeiten abhängig ist, die es vor 30 Jahren noch nicht gab, nämlich MIDI: “Musical Instrument Digital Interface”. Um dir eine Vorstellung davon zu geben, wie dieses Album entstand: Was Roger mir schickt, sind Stücke, die er auf einem MIDI-Keyboard gespielt hat. Und MIDI nimmt genau auf, wann seine Finger wo sind, wie hart sie anschlagen und wie lange sie auf den Tasten verweilen. Das sind die vier Dinge, die MIDI aufnimmt. Dann erhalte ich also eine Datei … Oft höre ich mir gar nicht seine Klavierfassung davon an. Ich lege einfach die MIDI-Datei in meinen Computer und denke nach. “Welcher Klang würde hier passen?” Wir hatten also eine sehr interessante und klare Arbeitsteilung: Er schreibt die Originalstücke, und ich finde den Klang dazu. Bei ein paar Stücken geschieht etwas mehr, zum Beispiel habe ich die Tonart verändert, in der er spielt. Dann wird sein Es jedesmal zum E, oder etwas in dieser Art. Und es gibt ein Stück, bei dem ich das MIDI völlig überarbeitet habe.
Víkingur: Es ist ein musikalisches Hin und Her. Willst du mir jetzt wirklich weismachen, dass es bei der Arbeit an diesem Album keine Auseinandersetzungen gegeben hat – dass du manches völlig verändert hast und Roger es schlichtweg immer besser fand. Gibt es so was wirklich?
Brian: Ja, und es war sehr angenehm. Wir hatten überhaupt keinen Streit. Eigentlich war es auch gar kein Hin und Her. Es lief nur von ihm zu mir. Das war alles. Ich habe es nie zurückgeschickt. Na ja, manchmal habe ich sie zurückgeschickt, Monate später, Jahre später. Aber ich weiß nicht, ob er sie überhaupt angehört hat oder ob ich sie tatsächlich zurückgeschickt habe.
Roger: Ich habe sie angehört. Ich kann nicht für Brian sprechen, aber ich hege große Bewunderung für das, was mein Bruder macht. Ich liebe seine Kunst, ganz ehrlich, die visuelle und die musikalische, daher ist es sehr leicht für mich, ihm zu vertrauen. Ich würde die Stücke nicht einfach jedem geben, nach dem Motto: “Könntest du das ein bisschen aufpolieren?” So war es nicht. Da war ein Stück, und ich wusste, dass Brian Tiefe und Schönheit hinzufügen würde. Es war also sehr einfach für mich.
Víkingur: Wie lange habt ihr an diesem Album gesessen?
Brian: Einige Stücke begannen 2005 oder 2006. Und viele nahm ich mir im Laufe der Jahre noch ein paar Mal vor. Ich suchte die MIDI-Datei wieder heraus und versuchte etwas anderes damit. So gibt es beispielsweise drei Tracks in dem Album, die alle auf derselben MIDI-Einspielung basieren.
Víkingur: SPRING FROST, VERDIGRIS und CERULEAN BLUE.
Brian: Ja, das stimmt. All diese blauen nutzten dieselbe MIDI-Datei, und ich glaube, an der ersten habe ich 2006 gearbeitet. Ich arbeite an so etwas immer in der Bahn. Dieses Album wurde also fast gänzlich in der Bahn erarbeitet. Ich kann da mit meinem Computer sitzen und mit Kopfhörern, und diese Stücke sind für mich die perfekte Musik fürs Bahnfahren. Ich genieße es wirklich, durchs Land zu fahren, normalerweise auf der Fensterseite. Ich fahre durch die Landschaft, spiele mit Klängen usw. und schaffe diese kleinen Welten …
Roger: Was Brian nicht erwähnt hat: Als wir damit begannen, arbeiteten wir nicht auf ein Endresultat hin.
Brian: Das stimmt.
Roger: Ich habe mein Studio im Obergeschoss. Nach dem Aufwachen morgens ging ich sofort nach oben, schaltete meine Geräte ein und improvisierte. Es ist eine gute Zeit dafür, bevor man ganz wach ist. Für Chopin waren das seine “Opiumstunden”. Das war eine sehr gute Zeit für mich. Dann schickte ich Sachen an Brian, die ihn vielleicht interessieren würden. “Das mache ich im Moment. Kleine Stücke wie dieses.” Dann bat er mich, ihm auch die MIDI-Dateien zu schicken, an denen er das Stück verändern konnte. Und als wir immer mehr davon hatten … ich weiß es jetzt gar nicht mehr, ob die Idee von uns stammt oder von jemand anderem, jedenfalls sollte eine Compilation, eine Sammlung von den Stücken entstehen.
Víkingur: Ich wusste wirklich nicht, was mich erwartete, und dann drücke ich “Play” und höre diese unglaubliche, fast Schumann’sche Nostalgie. Es sind herrliche Miniaturen. Warum habt ihr ein Album gemacht, das im Grunde spätromantisch ist, und euch nicht für eine der vielen anderen möglichen Richtungen entschieden?
Roger: Ich spiele ganz unterschiedliche Musik zu Hause, aber manchmal möchte ich eine bestimmte Art von Musik veröffentlichen. Zum Beispiel kann ein Album von Folk beeinflusst sein, ein anderes von Klassik. Ich dachte, dieses hier wird wirklich Bestand haben. Hört man dieses Album oft – besonders im Hinblick auf die fantastischen Welten, die Brian geschaffen hat –, erschließt sich einem eine gewaltige Landschaft. Man kann eintreten und verweilen. Deshalb wollte ich es herausbringen, ich finde, es hat Substanz.
Brian: Ich glaube auch, durch diese Arbeitsweise ist die Stimmung, die emotionale Landschaft dieser Stücke sehr von der ursprünglichen Klavierversion geprägt. Man hätte kreischende Elektrogitarren hineinbringen können, aber warum? Ich mag diese Stimmungen, die er schafft, ich hatte das Gefühl, sie sozusagen “auszumalen”.
Víkingur: Seid ihr mit dieser Musik vorwärts- oder rückwärtsgewandt?
Roger: Das ist eine schwierige Frage. Ich dachte neulich, dass Brian und ich beide einer Zeitschiene folgen. Aber mich interessiert das Stück von der Vergangenheit in die Gegenwart, und Brian interessiert es von der Gegenwart in die Zukunft. Das funktioniert, denn ich stütze mich auf bestimmte harmonische Einflüsse, melodisch wie Schubert, würde ich sagen, mehr als Schumann, so in dieser Art. Und Brian stellt diesen Ansatz in einen Kontext, der den Menschen zugänglich ist.
Brian: Es ist interessant, wenn man an diesen beiden Orten ist, in der Vergangenheit und der Zukunft. In den letzten 50 Jahren hat die elektronische Musik enorme Möglichkeiten der instrumentalen Klangfarbe, des Timbres eröffnet – die fast gänzlich von der Popmusik und kaum von der klassischen Musik genutzt wurden. Bei den klassischen Instrumenten steht die Klarinette für eine kleine Klanginsel, die Bratsche für eine weitere und der Flügel für noch eine andere, es sind kleine Inseln in der Welt aller möglichen Klänge, die man hervorbringen kann. Bei der Elektronik werden alle Räume zwischen diesen Inseln gefüllt mit neuen Klängen, die vorher überhaupt nicht existierten, und vielen weiteren, die sich niemand auch nur vorstellen konnte. Es gibt also plötzlich diese riesige Palette von Farben. Ein bisschen ist es so, als ob seit den 1950er-Jahren plötzlich Abertausende von Malfarben hinzugekommen wären. Stell dir vor, du gehst in ein Farbengeschäft, und da ist eine Farbe, die du nie zuvor gesehen hast. Sie hat keinen Namen. Sie ähnelt keiner anderen, irgendwie bräunlich, etwas rosa, grünlich, bläulich. Es gibt keinen Namen dafür. Tatsächlich wurde nur in der Popmusik erkannt, dass das Material der Musik unserer Zeit vor allem in der Klangfarbe besteht. Es ist eigentlich nicht die Melodie. Nicht der Aufbau. Es sind Beats.
Víkingur: Mit unglaublich schöner elektronischer Musik arbeiten … Ich denke, das ist eine kleine Nische von allem …
Brian: Aber sie sind Teil der Welt, die ich beschreibe. Sie sind keine Popmusik. Ich gebe zu, dass sie eigentlich auch keine klassische Musik sind. Man erkennt, dass die Farbpalette plötzlich unendlich größer ist als je zuvor. Jeden Tag lese ich von neuer Software oder trage dazu bei, neue Software zu entwickeln, die dieses ständig wachsende Gebiet erweitert. Es ist wie ein Universum, das sich öffnet. Diese Techniken zu nehmen, die wirklich in der Popmusik entwickelt wurden, und sie auf eine wunderschöne, ruhige, ziemlich nostalgische Musik wie diese anzuwenden, ist bestimmt ungewöhnlich und führt zu einem sehr interessanten Ergebnis.
Víkingur: Ich habe mich vor diesem Interview ein bisschen informiert. Ich fand einen Podcast mit einem sehr schönen Rundfunkinterview von dir, Brian, aus dem Jahr 1988, wo du über die Musikkassette sprichst und über die CD und über deinen Traum, nicht durch die 70 bis 80 Minuten des CD-Formats begrenzt zu sein. Das ist nun Realität. Du sagtest etwas in der Art, dass du die Möglichkeit haben wolltest, acht Stunden lange Musikstücke zu veröffentlichen. Wir schreiben das Jahr 2020, und du hast gerade ein Album herausgebracht, das ein wenig kürzer ist als viele CDs. Sind wir immer noch durch die Grenzen des Formats beschränkt, oder gibt es einen anderen Grund, warum die Leute immer noch Werke veröffentlichen, die mehr oder weniger auf eine LP oder CD passen?
Brian: Also, zunächst einmal wird kein Format wirklich überflüssig. Jedes Format hat seinen Platz. Wenn du ein achstündiges Musikstück hören willst, kannst du zu mir ins Studio kommen und es tun. Es gibt Möglichkeiten dazu, aber das Konzept eines sehr langen Musikstücks schafft nicht alle kurzen Musikstücke aus der Welt. Und auch nicht deinen Wunsch, 20 Minuten etwas zu hören oder drei Minuten oder zwei Stunden. Alle diese alten Formate überdauern. Wenn ein neues Format erscheint, sind die Leute natürlich immer ganz begeistert davon, weil damit neue Möglichkeiten verbunden sind, und sie schreiben darüber, als ob alles andere jetzt altmodisch sei und keinen Gedanken mehr wert. Tatsächlich aber verschwindet nichts. Es kommen nur ständig neue Dinge hinzu.
Víkingur: Wir haben noch gar nicht über das Nächstliegende gesprochen: “Mixing Colours”. Dies sind wirklich ganz besondere Farben. Habt ihr etwa die Gabe der Synästhesie? Assoziiert ihr Töne mit bestimmten Farben oder einzelnen Farben?
Roger: Nein, ich nicht. Mir gefällt die Vorstellung, Farbbezeichnungen zu haben, die du nicht mit einer Wendung wie “die alte Straße” oder Ähnlichem verbinden musst. Die du dann im Kopf hast und die zu deiner geistigen Vision wird. Mit dem Namen einer Farbe hast du auch eine gewisse Atmosphäre, aber es ist eine vage Atmosphäre.
Brian: Der Albumtitel “Mixing Colours” war tatsächlich der Titel eines Stücks, das Roger mir schickte, daher stammt dieser Titel.
Víkingur: Haben die beiden Gemälde in der grafischen Gestaltung eine besondere Bedeutung für euch? Warum habt ihr sie ausgewählt?
Roger: Der Künstler ist ein Freund von mir, jetzt ein Freund von Brian, der ganz in der Nähe wohnt und den ich seit ungefähr 20 Jahren kenne. Er gehört zu meinen Lieblingsmalern. Er malt meistens in Öl. Er macht auch Filme für mich, wir suchen zusammen Bilder aus, arbeiten also eng zusammen. Er heißt Dom Theobald. Einmal wollte ich Brian etwas schenken, und ich dachte, eines von Doms Gemälden wäre das Richtige. Und ich sagte, am besten suchst du es selbst aus. Also wählte Brian eines dieser Gemälde. Es gehört zu den Bildern in Brians Haus, eines der Gemälde auf dem Cover des Albums. Ich mag Doms Arbeit auch deshalb, weil man sozusagen sehen kann, dass sich etwas ereignet, aber es ist abstrakt – er verwendet Cartoonbilder von Schuhen und Stiefeln und Stühlen und Dingen dieser Art, aber man weiß nicht genau, worum es geht.

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