Roberto Alagna | Biografie

Biografie

Die Karriere von Roberto Alagna klingt wie ein Roman. Er wird als Kind sizilianischer Eltern in einem Vorort von Paris geboren. In der Familie singt jeder, und er (so sagt man ihm) hat nicht die schönste Stimme: Er wird gebeten, den Mund zu halten, wenn der Onkel mit sonnigem Timbre singt. Aber er fühlt sich zum Singen berufen. Er stählt seine Stimm­technik, indem er Tonaufzeichnungen der großen Tenöre der Vergangenheit hört und die Ratschläge eines alten Meisters, Rafael Ruiz, befolgt. Jahrelang singt er abends in Kabaretts und begleitet sich selbst dabei auf der Gitarre. Aber sein ganz persönlicher Bereich ist die Oper und sein Idol Pavarotti. Als der Tenorissimo nach Paris kommt, um in einem Kaufhaus Autogramme zu geben, mischt sich der junge Alagna daher unter die Menge und schafft es, sich ihm zu nähern und ihm einige Worte zu sagen. Wohl die richtigen, denn er wird durch den Maestro zum Vorsingen eingeladen. Er begibt sich zu ihm und wird zum Finale des Pavarotti-Wettbewerbs nach Philadelphia geladen. Das er gewinnt. Wir sind im Jahr 1988, er ist 24 Jahre alt.
Zu dem Zeitpunkt ist Alagnas Stimme leuchtend, strahlend. Es ist die Stimme eines ver­träumten, lyrischen italienischen Tenors. Glyndebourne will ihn als Alfredo in La Traviata. Dann ist es Monte Carlo und sehr bald La Scala mit Riccardo Muti, in der Rolle eines Alfredo mit einer seltenen Glut. Es folgt der Graf von Mantua in Rigoletto, wieder mit Muti, und Rodolfo aus La Bohème. In nur wenigen Jahren öffnet sich ihm Tür und Tor zu den größten internationalen Bühnen, von New York bis Wien und London; die größten Dirigenten betrachten es als Ehre, mit ihm zu arbeiten; überall erhält er Beifall.
Ein weiterer Erfolg: die Übernahme der Rolle des Romeo in Gounod’s Romeo und Julia 1994. Das Wunderkind der Oper trägt einen Gesang mit nie zuvor gehörter Sensibilität und Diktion vor. Es wird nach seinen Vorläufern gesucht: Vanzo? Thill? Nein: nur er allein hat so viel Erhabenheit und Poesie in den französischen Gesang gelegt. Zu Recht geht er in die Geschichte der Oper ein, und 1995 erhält er für diese Personifizierung die höchste britische Bühnenauszeichnung, den Laurence Olivier Award. Gefeiert für sein italienisches Reper­toire, wird er für das französische Repertoire einmalig und unersetzlich. Seine Verkörpe­rungen von Don Carlos auf Französisch in London, dann in Paris 1996, von Des Grieux, Werther, Faust, Don José und sogar Edgard aus Lucia di Lammermoor sind Meilensteile ihrer Zeit.
Ab 2000 wird seine Stimme ausladender und tiefer. Er fügt seinem Repertoire die Meister­rollen der italienischen Oper hinzu – Manrico, Canio, Radames bis hin zu Auszügen aus Otello. Mit Begeisterung setzt er seine Erkundung französischer Rollen fort und verhilft ver­gessenen Opern wieder zu Ehre und Würde: Fiesque von Lalo 2006, Le Jongleur de Notre-Dame von Massenet 2007 oder auch Cyrano de Bergerac von Alfano 2005, dem er eine fast jugendliche Leidenschaft verleiht. Diese Kuriosität erregt die Aufmerksamkeit moderner Komponisten: Vladimir Cosma schreibt ihm 2007 in Marseille die Rolle des Marius in Marius und Fanny auf den Leib, wo er zusammen mit seiner Frau Angela Georghiu singt, und sein Bruder David schreibt für ihn im Juli des gleichen Jahres Le Dernier Jour d’un Condamné. Nur wenige französische Opernsänger bahnen sich derart neue Wege!
Die Diskographie von Roberto Alagna spiegelt so die Breite seiner musikalischen Neugier wider. Mit einem Exklusivvertrag mit EMI zeichnet er ab 1993 die Säulen des französischen (Manon, Werther, Don Carlos, Carmen) und des italienischen Repertoires auf (La Bohème, La Rondine, Tosca, Il Trovatore, das Requiem von Verdi). Für andere Label nimmt er L‘El­isir d’amore, Rigoletto und La Traviata auf. Er stellt überraschende Konzerte zusammen, die Berlioz oder seltenen Arien des französischen Repertoires gewidmet sind. 2004 unter­zeichnet er einen Exklusivvertrag mit Deutsche Grammophon. Sein erstes Album bei DG, Roberto Alagna chante Luis Mariano, das ihm Doppel-Platin einbringt, verschafft ihm einen Ruhm, der über die Grenzen der Opernkunst hinausgeht.
In dieser Diskografie nimmt die DVD einen wichtigen Platz ein. Roberto Alagna, um einen wahrhaftigen Ausdruck auf der Bühne bemüht, lässt seine gesamte dramatische Palette in recht unterschiedlichen Rollen aufgehen: ein bewegender Nemorino (L’elisir d’amore, Decca), ein fast zerbrechlicher Radames (Aida, Decca), ein enthusiastischer Cyrano (DG). Er interessiert sich sogar für Regietechnik, wie bei I Pagliacci (DG). Der Regisseur Benoît Jacquot bittet ihn, in der Kinoversion von Tosca (2001) Mario darzustellen, was eine wichtige Rolle für Sänger-Schauspieler ist.
Von einem großen Publikum gefeiert, erscheint Roberto Alagna auf den Fernsehbildschir­men, wo er an der Seite von Variétésängern auftritt, an Benefizkonzerten (Michael Jackson & Freunde) oder an außergewöhnlichen Events teilnimmt – 2002 und 2003 singt er für den Papst in Rom. Er selbst gibt zu, dass der bewegendste Augenblick für ihn seine Interpretation der Marseillaise am 14. Juli 2005 auf den Champs-Elysées gegenüber der offi­ziellen Tribüne war.
Obwohl seine Aufnahmen und seine Interpretationen ihm die höchsten musikalischen und offiziellen Ehrungen eingebracht haben (2008 wurde er zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen), ist Roberto Alagna kein Künstler, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht. Sein Kalender für die kommenden Jahre sieht die Übernahme großer Rollen vor – Andrea Chénier, Cavalleria Rusticana, Le Cid –, ein Album mit sizilianischen Liedern und eine Tournee im Herbst 2008. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er unvorhersehbare Ideen und kühne Taten einflechten wird, die seit seinem Debüt aus seiner künstlerischen Laufbahn ein unvergleichliches Abenteuer machen.
12/2008
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