Petite Meller ist eine Sängerin und Songwriterin, für die Musik und Videos untrennbar zusammengehören – und die mit dieser Kombination jedes Mal eine ganz eigene Welt erschafft: „Ich kreiere damit mein eigenes kleines Reich, in dem alles auf Kreativität basiert“, sagt sie. „Überhaupt bin ich davon überzeugt, dass wir unsere Fantasien real werden lassen können. Denn genau darum geht’s mir bei meinen Videos: In ihnen erschaffe ich meine eigene Wirklichkeit.“
Als Tochter einer französischen Mutter und eines aus Polen stammenden Vaters in Paris geboren, verbrachte Meller einen Großteil ihrer Kindheit bei der Großmutter und kam dort mit so unterschiedlichen musikalischen Einflüssen wie Euro-Pop, Jazz von Größen wie Dizzy Gillespie oder auch den Chansons von Sängern wie Jacques Brel, Charles Aznavour und Serge Gainsbourg in Kontakt. Auch sie selbst begann schon früh, zu singen und wenn es nur ein kleiner Auftritt war, um ihre Oma und sich selbst zu unterhalten. „Meine Vorstellungskraft war schon damals ziemlich ausgeprägt“, berichtet sie. „Wenn ich zum Beispiel die Straße entlang lief, habe ich meistens irgendeine Melodie gesungen. Und jedes Mal, wenn ich auf meine Familie gewartet habe, gab ich eine kleine Shirley-Temple-Gesangseinlage zum Besten – nur hatte ich immer diese Angst, dass mich irgendwer dabei ertappen könnte. Ich hatte auch einen kleinen Kassettenrecorder, mit dem ich die Songs aufgenommen habe, die ich mir ausgedacht hatte.“
Als 15-Jährige zog Meller mit ihrer Familie nach Tel Aviv, wo sie in ihrer Freizeit viele Jazz-Festivals besuchte und sich als Fotografin versuchte, allerdings wurde sie schon bald darauf immer häufiger auf die andere Seite des Objektivs gebeten: „Ich wurde zu der Zeit andauernd für irgendwelche Kunsthochschul-Projekte fotografiert, und dann hat mich ein Model-Scout entdeckt. Also arbeitete ich als Model, flog z.B. auch nach Japan – und verdiente unglaublich viel Geld! Das habe ich hinterher auch gut gebrauchen können, um meine Studiengebühren in Tel Aviv bezahlen zu können… weil ich mich danach für ein Philosophiestudium eingeschrieben habe.“
Momentan schreibt sie gerade ihre Abschlussarbeit für den Philosophie-Masterstudiengang, und die Gedanken von Freud, Lacan, Deleuze, Kant oder auch Shakespeare haben durchaus ihre Spuren in ihrer Musik hinterlassen: „Früher habe ich sogar während der Philosophiekurse neue Songs geschrieben. Und ich war regelmäßig in meine Professoren verknallt“, erzählt sie. „Ja, das Philosophiestudium hat mein Leben und meine Musik auf jeden Fall verändert. Ein Stück wie ‘Backpack’ handelt zum Beispiel davon, Dinge aus der eigenen Kindheit zu nehmen, die einen früher gewissermaßen gebremst haben, und sie nun auf produktive, positive Weise für sich nutzbar zu machen, wie ein Heilmittel.“
Schon in Tel Aviv hatte Meller parallel zum Studium erste Erfahrungen in Bands gesammelt, doch dann zog sie nach New York, um sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. An der US-Ostküste angekommen, erkannte sie jedoch schon bald, dass sie es wohl als Solomusikerin versuchen musste, um sich selbst und ihrem eigenwilligen Ansatz treu zu bleiben. „Ich wollte nun mal mein eigenes Genre erschaffen; ich nenne es übrigens ‘nuovo jazzy-pop’.“
Zugleich wurde ihr klar, dass Musikvideos ab sofort eine zentrale Rolle für sie spielen würden. „Für jeden Song, den ich schreibe, fällt mir sofort die passende Idee für ein Video ein“, so Meller. „Mir bedeuten die Clips wirklich wahnsinnig viel.“
Schließlich fasste sie den Entschluss, den nächsten Schritt zu gehen und auf eigene Kosten ihr erstes Video zu realisieren: So entstand der Clip zu dem Stück „NYC Time“. Unterstützt wurde sie dabei von ein paar Fans aus anderen Teilen der Welt, die sie angeschrieben und ihre Hilfe angeboten hatten: der mexikanische Fotograf Napoleon Habeica und der Amerikaner A.T. Mann, den sie in Tel Aviv kennengelernt hatte. Gemeinsam übernahmen sie die Regie jenes Videos, in dem man beobachten kann, wie Meller von einem gewaltigen Hünen aus der Vorstadt bis ins Zentrum von New York City getragen wird, wobei nicht nur dessen Rolle ganz spontan besetzt werden sollte: „Den Typen aus dem Video habe ich in der U-Bahn getroffen, als ich gerade zu einem Yankees-Spiel unterwegs war. Wir suchten nun mal nach einem Mann, der mich tragen konnte, denn die Idee dahinter ist folgende: Die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, ist stark genug, um mich aus der Leere der Vorstadt bis ins Zentrum von NYC zu transportieren, wo so viel passiert. Seine Figur steht also für die Musik, und er musste mich so tragen, wie ein Vater sein Kind tragen würde. Erst haben wir es mit einem männlichen Model versucht, aber das hat nicht so recht funktioniert. Und dann haben wir diesen Riesen in der U-Bahn gesehen, und er war echt total begeistert, als wir ihn wegen des Videos ansprachen. Ehrlich gesagt war er sogar den Tränen nahe, denn er hatte gerade erst seinen Job verloren. Er hatte danach ein paar Gedichte geschrieben… er ist nämlich ein ganz sensibler Mensch. Später hat er mir gesagt, dass die Dreharbeiten zu den besten Tagen seines Lebens gehören. Vier Tage haben wir gedreht, und jeden Tag musste er mich herumschleppen – aber er fand das super! Wir sind immer noch befreundet, er heißt übrigens Justin Elephant.“
Nach dem Videodreh mit jenem Mr. Elephant unternahm Meller wenig später einen richtigen Safari-Trip, als es darum ging, ihr bis dato aufwändigstes Video zu „Baby Love“ zu realisieren: Unweit von Nairobi in Kenia gedreht, imitiert sie in diesem Clip die Bewegungen von Flamingos und tanzt mit Schulkindern und zwei Giraffen. „‘Baby Love’ war der erste Song, den ich nach dem Ende meines New-York-Aufenthalts geschrieben hatte. Ich flog von dort direkt nach Schweden und schrieb dieses Stück zusammen mit Joakim Åhlund. Er hat eine Band namens Teddybears, und sein Bruder Klas schreibt Songs für Katy Perry. Und auch hier kam mir die Idee für das Video schon beim Schreiben des Songs: Der Beat klang irgendwie nach Afrika, von daher stand der Drehort schon mal fest. Und als ich mich dann mit Napoleon darüber austauschte, erwähnte er dieses Hotel, wo man quasi zusammen mit Giraffen am Frühstückstisch sitzt.“
Zugleich unterstreicht das Video, was für einen wichtigen Einfluss afrikanische Musiker auf Mellers Kompositionen hatten, insbesondere diejenigen, die bei s „Graceland“-Album mitgewirkt haben. Der in Brixton lebende Produzent Craigie Dodds, der in Südafrika aufgewachsen ist und bei den „Graceland“-Aufnahmen dabei war, war auch an den Aufnahmen zu Mellers kommendem Album beteiligt. Er war es auch, der den Kontakt zu Ladysmith Black Mambazo herstellte, mit denen sie unbedingt zusammenarbeiten wollte: „Für mich war ‘Graceland’ schon immer eine wahnsinnig wichtige Inspirationsquelle, und als wir dann mit den eigentlichen Aufnahmen begonnen hatten, machte ich mich zusammen mit Joakim auf die Suche nach den passenden Bongo- und Conga-Sounds für meine Songs. Sobald das Grundgerüst der Beats erst mal stand, gab er mir ein Mikrofon und ich habe einfach das gesungen, was mir gerade in den Sinn kam. Es gab keine Aufzeichnungen, nichts Aufgeschriebenes, und ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, wie andere Leute das machen. Mir geht es vielmehr um diesen unbewussten Flow, um den Moment selbst. Ich singe einfach nur das, was ich fühle.“
In ihrer Musik und ihren Videos kanalisiert Meller nicht nur die Philosophen, mit denen sie sich im Studium beschäftigt, sondern auch Filmklassiker, die sie schon immer begleiten. Sie schreibt die Treatments für die Videos selbst, setzt sich danach mit den Cuttern zusammen und kann aus dem Stehgreif sämtliche Regisseure und Schauspieler/innen nennen, vor deren Werk sie sich visuell verneigt: Im Fall von „NYC Time“ ist es zum Beispiel Monica Vitti in Antonionis „Liebe 1962“, für „Icebear“ ist es der Russe Tarkovsky, und Brigitte Bardot in „… und immer lockt das Weib“ (1956) diente als Inspirationsquelle für den Clip zu „Baby Love“. „Mein Songwriting und meine Videokonzepte basieren auf einer Art Dialog mit meinem Unbewussten“, berichtet sie weiterhin. „Ich lese irgendwas, und dann tauchen diese Sachen später einfach wieder auf. Die Dinge, mit denen du dich befasst, wirken sich so auf das eigene Werk aus.“
Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass auch das Team von Musikern und Kreativköpfen, das Meller um sich versammelt hat, viel zu ihrem kommenden Album beigesteuert hat. Viele von ihnen lernte sie über soziale Medien kennen, weshalb ihr Netzwerk wirklich über den gesamten Globus verstreut ist: „Ja, ich konnte das zunächst kaum glauben, dass ich wirklich jeden, der an diesem Album mitgearbeitet hat, über das Internet kennengelernt habe. Meine Stylistin kommt zum Beispiel aus Japan, und inzwischen sind wir beide hier in London beste Freundinnen geworden. Sie hatte eines meiner Videos gesehen und schrieb mich daraufhin an mit der Frage, ob sie mir beim nächsten Clip vielleicht helfen könnte. Das erste Mal begegnet sind wir uns dann am Set zu ‘Backpack’, und wir haben das komplette Styling zusammen gemacht. Wirklich der Hammer eigentlich! Und was die ganzen Leute angeht, die in den Videos zu sehen sind, hab ich sie alle auf der Straße entdeckt und einfach angesprochen. Oder ein Fotograf aus L.A. schreibt mich an und sagt mir, dass er nach Schweden fliegen will, um mich zu fotografieren… wirklich unglaublich eigentlich.“
Die Produktion ihres kommenden Albums übernehmen Joakim Åhlund und Craigie Dodds, während sich Wez Clarke hinter den Reglern um das Abmischen kümmert. Was jedoch das Songwriting und die gesamte Vision angeht, so hat Petite Meller ganz klar sämtliche Fäden in der Hand: „Meine Mission lautet nun mal, Songs und Videos ineinander zu verschränken“, sagt sie abschließend. „Ich habe all diese talentierten Leute um mich herum versammelt, weil sie mir dabei helfen können, diese Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Jeder von ihnen passt einfach perfekt dazu… ich hatte echt wahnsinniges Glück mit ihnen. Und gemeinsam werden wir nun nach und nach, Song für Song und Video für Video, mein Leben verfilmen.“