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Hitmaschine am Klavier – Oscar Petersons Song Books endlich komplett

Oscar Peterson - The Songbooks
08.12.2017
Ganz gleich ob der Hörer sich am atemberaubenden Spiel Oscar Petersons oder der Fülle an Ohrwürmer der berühmtesten populären Komponisten des letzten Jahrhunderts ergötzen mag, zwei neue 5-CD-Boxen bieten dafür massig Material. Beide Sets versammeln legendäre Sessions aus den Fünfzigern: “Oscar Peterson Plays” – insgesamt zehn damalige Mono-Alben, aufgenommen für Norgran Records zwischen 1952 und 1954, und “The Oscar Peterson Song Books” – insgesamt neun Stereo-Alben, aufgenommen für Verve Records im Jahre 1959. Während einige der Aufnahmen in der Vergangenheit bereits auf Einzel-CDs erhältlich waren, sind sie hier erstmals chronologisch in Gänze zu hören. Einige Alben erleben hier sogar ihre offizielle CD-Premiere. Alle Aufnahmen wurden neu remastert, mit dabei sind 28-seitige Booklets mit Liner-Notes von Peterson-Kenner Martin Chilton sowie seitenfüllende Reproduktionen der legendären Original-LP-Cover von David Stone Martin, Merle Shore, John Altoon und Gene Grant
Ein Künstler, davon war Oscar Peterson überzeugt, brauche einen “musikalischen Vater”, keinen Besserwisser oder Ausbeuter kreativer Energie. “Norman Granz hat diese Aufgabe jahrelang erfüllt.” Granz war es auch, der den kanadischen Pianisten schon zu Beginn der künstlerischen Vater-Sohn-Beziehung mit einem Projekt von bis dahin kaum gekanntem Ausmaß betraute: “Genialer Interpret nimmt sich die besten Songs unserer besten Songwriter vor”, wie er in den Liner-Notes zur ersten Produktion schrieb. Von 1951 bis 1954 spielte das Oscar Peterson Trio auf Granz' Clef-Label zehn LPs mit insgesamt 113 Songs ein. Titel der Serie: “Oscar Peterson Plays”. Jedes Album war einem Komponisten aus der Welt von Tin Pan Alley bis Broadway gewidmet und enthielt eine Auswahl seiner bekanntesten Songs. Einziger Jazz- statt Musical-Komponist in der Runde war Duke Ellington (bzw. dessen Sohn Mercer und “alter ego” Billy Strayhorn).
1949 hatte Granz den Pianisten bei “Jazz at the Philharmonic” (JATP) in der New Yorker Carnegie Hall präsentiert, nachdem er ihn kurz zuvor im Autoradio des Taxis auf dem Weg zum Flughafen Montreal in einer Live-Übertragung aus einem lokalen Club gehört hatte. Er kehrte um, eilte in den Club, der Rest ist Jazzgeschichte. Als Peterson 1950 auf der kompletten JATP-Tour dabei war, machte Granz ihn mit dem Bassisten Ray Brown bekannt, beide taten sich zum Duo zusammen und spielten erste Aufnahmen für Clef ein. Mit dem Gitarristen Barney Kessel erweiterten sie sich 1952 zum Oscar Peterson Trio, der bald gefragtesten Kleingruppe des Jazz. In der Besetzung Klavier, Gitarre, Bass orientierte sie sich an den Dreierformationen von Petersons Vorbildern Art Tatum und Nat “King” Cole. “Mit einem solchen Trio zu arbeiten,” erinnerte sich der Pianist später, “mit Rays legendärem Bassfundament und Barneys herrlichen harmonischen Überraschungen im Rücken, kam dem Himmel auf Erden gleich.”
Die Zusammenarbeit sollte jedoch von kurzer Dauer sein: “Bevor er bei uns einstieg,” so Peterson, “hatte Barney viel als Studio- und Session-Gitarrist in L.A. gearbeitet und war nicht unbedingt aufs Tingeln eingestellt. Er sagte uns für ein Jahr zu, was es uns ermöglichte, das Trio als feste Formation in den Köpfen der Zuhörer zu etablieren.” In dieser Zeit, ja fast nur im November-Dezember 1952 / Dezember 1953, entstand das Gros der Aufnahmen mit Songs von Cole Porter, Irving Berlin, George Gershwin, Duke Ellington, Jerome Kern, Richard Rodgers und Vincent Youmans. Bei den Sessions vom Dezember 1953 kündigte sich bereits die Veränderung an: Kessels Zeit ging zu Ende, bei einigen Songs stieg schon sein Nachfolger ein, der dann an zwei Tagen im November 1954 das komplette Material für die restlichen drei LPs mit Songs von Harry Warren, Harold Arlen und Jimmy McHugh einspielte: Herb Ellis.
“Oscar, ich weiß, dass du Klavier spielen kannst”, hatte Ellis auf Petersons Job-Angebot reagiert. “Ich habe auch gehört, was du mit Ray zusammen auf die Beine stellen kannst. Ich weiß nicht, ob ich da mithalten kann, aber ich werde es auf jeden Fall versuchen.” Er konnte mehr als mithalten: Dank seines Einstiegs wurde das Oscar Peterson Trio zur kompaktesten und härtest swingenden Combo der Fünfzigerjahre. “Ich glaube,” so Peterson, “dass wir nicht nur die Arbeit der Trios von Nat Cole und Art Tatum aufgriffen, sondern ihr auch eine andere Richtung gaben.”
Die zehn “Oscar Peterson Plays”-LPs, die Granz mit den beiden Ausgaben des Gitarrentrios produzierte, sollten das umfangreichste Aufnahmeprojekt bleiben, das er in seiner Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit mit dem Pianisten realisierte. Im Nachhinein wirkt sie wie ein Testlauf für die ungleich aufwändigere “Song Book”-Serie, die er von 1956 bis 1964 mit seinem Top-Star Ella Fitzgerald, wechselnden Orchestern und Top-Arrangeuren auf dem Nachfolge-Label Verve produzierte. Diese nahm sich zwar “nur” acht Songwriter vor, die aber umso ausführlicher, nämlich auf Doppel- und Dreifach-Alben. Vom durchschlagenden Erfolg seiner “Song Book”-Idee war Granz so angetan, dass er 1959 – noch während der Produktionszeit von Ellas Serie – seinen mittlerweile selbst zum Star avancierten Pianisten erneut auf das Thema ansetzte, diesmal im neuen Stereosound und ganz nach dem Motto “same but different”.
Als Herb Ellis 1959 seinen Abschied nahm und an die Westküste zog, gab Peterson dem Triokonzept eine andere Richtung und besetzte – auf Granz' Rat – den frei gewordenen Platz mit dem Drummer Ed Thigpen. “Ich hatte ihn für seine Arbeit mit Billy Taylor bewundert,” so der Pianist, “und wusste, dass er ein Meister der Besen war.” Zugleich konnte Thigpen voluminös und raumfüllend spielen: “Das Trio wuchs und wuchs, je mehr wir einander musikalisch kennen lernten. Dank der rhythmischen Gewalt und Dichte hatten wir keine Schwierigkeiten damit, bei Festivals und in größeren Sälen zu spielen.”
Mit diesem Trio, seiner “perkussiven Gruppe”, nahm Peterson im Sommer 1959 noch einmal Songs derselben zehn Komponisten auf, jetzt nur auf neun LPs, da Harry Warren und Vincent Youmans zusammen auf einer Scheibe erschienen. “The Song Books” hieß die zweite Serie, und sie unterscheidet sich von “Oscar Peterson Plays” außer dem glorreichen Stereoklang auf den ersten Blick durch die Triobesetzung mit Drummer Thigpen sowie durch herrliche Covers mit wechselnden stimmungsvollen Aquarellen statt gleich bleibender Grafik mit unterlegten Farben. Die Auswahl der Songs, 108 an der Zahl, zeigt nur geringe Abweichungen, umso interessanter der Vergleich zwischen den verschiedenen Versionen. Gemeinsam ist ihnen, dass es hier ohne große Vorbereitung oder Arrangements zur Sache geht. In zwei, drei Minuten kommt man zumeist auf den Punkt – und weiter zum nächsten Song. “Einfallsreich und gut durchhörbar” gehe Peterson an die berühmten Songs heran, meinte 1960 die Zeitschrift Billboard. Und weiter: “In puncto Darbietung ist Peterson einfach brillant. Er gibt den Songs neue Struktur und spielt mit einer Technik, die sensibel und makellos ist.”

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