NOUVELLE VAGUE
“Couleurs sur Paris” (VÖ: 12. November 2010)
New Wave, Bossa Nova, Nouvelle Vague – drei Begriffe, die letztlich ein und dieselbe Bedeutung haben: Es geht immer um eine Neue Welle, um eine stilistische Gegenbewegung, die schließlich doch gewaltig überschwappen, zahllose Anhänger finden und eine ganze Ära definieren sollte. Zugleich sind New Wave, Bossa Nova und Nouvelle Vague drei Leidenschaften, die Marc Collin und Olivier Libaux miteinander verbinden und die sie seit nunmehr sieben Jahren in ihrem gleichnamigen musikalischen Projekt – Nouvelle Vague – zu einer Einheit verschmelzen. Der Ansatz der beiden Produzenten und Multiinstrumentalisten lässt sich wie folgt beschreiben: Gemeinsam mit einer stetig wachsenden Gemeinde von (vornehmlich weiblichen) Vokalgästen verpassen sie den melancholisch-düsteren Melodien und Texten der New-Wave-Ära einen zeitgenössischen und unbedingt leichtfüßigen Anstrich, in dem nicht nur die Eleganz des Bossa Nova aufflackert, sondern auch die bewusst distanzierte Haltung der großen Nouvelle-Vague-Filme der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre mitschwingt. Oder, um es in ihren eigenen Worten zu sagen: Nimm Songs, die du liebst, und verwandle sie in etwas, in das du dich aufs Neue verlieben kannst.
Allerdings gilt das nur für die beiden, denn genau wie viele ihrer Fans kannten auch die diversen Gastvokalistinnen, die Collin und Libaux für die jeweiligen Neuinterpretationen ins Boot holten, oftmals die Originale ihrer Coverversionen gar nicht. “Früher war es gewissermaßen eine Bedingung bei Nouvelle Vague, mit Sängerinnen zu arbeiten, die allenfalls den Titel des Originals schon einmal gehört hatten. Das machte die Sache immer ziemlich spannend, denn sie konnten vollkommen unvoreingenommen an den jeweiligen Song herangehen”, so die Initiatoren. Außerdem galt schon immer folgendes Motto: “Süße Mädels singen harte Texte, die eigentlich von Männern stammen.” Kein Wunder, dass ihr unvergleichlicher Coversound wie eine Bombe einschlagen sollte.
Gewiss sind Coverversionen von Klassikern stets ein heikles Unterfangen: Permanent droht die Gefahr, das Original zu verstümmeln, ihm nicht gerecht zu werden oder Puristen auf die Palme zu bringen, doch ihre Versionen von Stücken wie “The Guns of Brixton”, “Dance With Me” oder “Love Will Tear Us Apart” haben gezeigt, dass Nouvelle Vague diesen Drahtseilakt wie kaum eine andere Coverband beherrschen. Selbst die Autoren der von ihnen ausgewählten Stücke waren begeistert – so zum Beispiel Morrissey oder Mick Jones von The Clash.
Dass die beiden über das nötige Fingerspitzengefühl verfügen, erklärt sich jedoch, wenn man bedenkt, dass man es hier mit zwei Musikern zu tun hat, die schon vor der Gründung von Nouvelle Vague feste Größen in der französischen Pop- und Electronic-Szene waren: Marc Collin, übrigens bekennender “Ausbeuter der Achtziger” (aber warum auch nicht?), der zunächst in der Band Ollano spielte und Filmsoundtracks komponierte, um sich später verstärkt der Clubmusik zu widmen, begegnete Olivier Libaux schon im Jahr 1998. Der wiederum hatte in den frühen Neunzigern bei der Band Les Objets gespielt und darüber hinaus bereits mit Alex Gopher gearbeitet und regelmäßig Stücke für das französische Fernsehen produziert. Als sie dann gemeinsam den Entschluss fassten, sich einfach mal ihren Fanvorlieben zu widmen und die persönlichen Hits ihrer Jugend für ein gemeinsames Coverprojekt auszugraben, ließ der internationale Durchbruch nicht lange auf sich warten…
Allein die Zahlen sprechen Bände: Die drei Vorgängeralben “Nouvelle Vague”, “Bande à Part” (2006) und “3”, die zwischen 2004 und 2009 erschienen sind, verkauften sich insgesamt über 700.000 Mal; dazu spielten Nouvelle Vague in aller Welt ausverkaufte Konzerte (schon 2005 tourten sie durch 21 Länder), bei denen sie genau wie auf ihren Alben von diversen hochkarätigen Gastsängerinnen auf der Bühne unterstützt wurden: Camille zum Beispiel, die gleich nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums bei Nouvelle Vague aushalf, die elegante Mélanie Pain, ein Dauergast bei ihnen, oder auch die sinnliche Phoebe Killdeer (von Phoebe Killdeer & The Short Straws); und dann war da noch die wilde Performance einer Nadeah Miranda, oder wie bei ihren aktuellen Gigs die grandiosen Gesangseinlagen von Héléna Noguerra und Mareva Galanter – sie alle haben die Zuhörer und Zuhörerinnen rund um den Globus in ihren Bann gezogen und dem gediegenen Bossa-Coversound von Nouvelle Vague das i-Tüpfelchen aufgesetzt. Allein diese Live-Shows machten noch einmal absolut deutlich, dass ihr Coverkonzept keine musikalische Eintagsfliege war, keine bloße Schnapsidee, sondern vielmehr etwas vollkommen Eigenständiges und Atemberaubendes, Musik, in der die düsteren Aspekte des Achtziger-Jahre-Sounds mit neuer Unschuld transportiert und in ein vollkommen anderes Licht gerückt werden konnten.
Während Nouvelle Vague auf ihren ersten beiden Alben Schätze aus der britischen New-Wave- und Post-Punk-Zeit ausgegraben und neu interpretiert haben (so z.B. Songs von Joy Division, The Cure, Killing Joke, New Order oder Echo & The Bunnymen), um auf Album Nummer “3” auch in Richtung Country und Bluegrass aufzubrechen und erstmals sogar ein paar der Originalautoren für ihre Coverversionen gewinnen zu können – Martin Gore von Depeche Mode sang hier mit Mélanie Pain, Terry Hall von The Specials teilte sich das Mikrofon mit Marina Celeste, und Ian McCulloch (Echo & The Bunnymen) war ebenfalls mit von der Partie –, wenden sie sich auf ihrem neuen Longplayer “Couleurs sur Paris” nun dem französischen New-Wave-Sound der siebziger und frühen achtziger Jahre zu. Um den Meilensteinen dieser “Neuen Französischen Welle” auch gerecht zu werden, haben sie zu den angestammten Vokalistinnen noch weitere Gäste ins Boot geholt: So wird jeder einzelne Song von einer anderen Protagonistin der aktuellen Poplandschaft eingesungen – mit klarem Schwerpunkt auf Namen aus Frankreich. Was jedoch keinesfalls als Bruch mit irgendeiner Tradition zu verstehen ist, war Nouvelle Vague doch noch nie als Band mit fester Besetzung, sondern vielmehr als Plattform, als kultureller Schmelztiegel, als offenes Projektlabor konzipiert. Wie gewöhnlich fand gleich zu Beginn der Arbeit eine gediegene Listening-Session statt: Collin und Libaux, nach wie vor in erster Linie Fans, setzten sich hin, um die besagten Schätze aus der Vergangenheit zu finden – dieses Mal jedoch mit der Vorgabe, sich auf Meilensteine des französischen New Wave zu beschränken. Herausgekommen ein weiteres Kapitel ihrer retro-futuristischen Odyssee, ein weiteres Paradebeispiel dieser “kulturellen Transferleistung, die großartige Musik dem Vergessen entreißt.” (Der Tagesspiegel) Denn mit Vokalistinnen wie Vanessa Paradis, der französischen Überfliegerin Olivia Ruiz bzw. Stammgästen wie Mélanie Pain und Camille aber auch männlichen Neuzugängen wie Charlie Winston (UK) und dem Franzosen Julien Doré zeigen Nouvelle Vague wieder einmal, wie unschlagbar ihr Gespür dafür ist, die richtige Besetzung zu finden, um sich die Stücke auch wirklich anzueignen und sie “zu ihren Songs” zu machen. Wie sagte Truffaut doch im Jahr 1957? “Der Film von morgen wird ein Akt der Liebe sein.” Ähnlich verhält es sich bei Nouvelle Vague und ihrer Musik. Mit einem Unterschied: Bei ihnen ist “morgen” immer dann, wenn sie ins Studio gehen oder die Bühne betreten.
Trotz all der großen Namen darf man nicht vergessen, dass auch auf “Couleurs sur Paris” die Songs (dieses Mal von Bands wie Mano Negra oder Noir Désir) die eigentlichen Stars sind: Sie stehen im Rampenlicht, dorthin katapultiert von den grandiosen Vokalgästen – und erst sehr viel weiter hinten stehen die beiden Produzenten Collin und Libaux. Auch das ist bezeichnend für den Ansatz von Nouvelle Vague.