Wie die grell leuchtenden Verästelungen im Namen der Neon Trees schon vermuten lassen, treffen im Sound der US-Überflieger ganz unterschiedliche Welten aufeinander: absolut eingängige Pop-Hooks kollidieren mit dem guten alten Rock; zusammen ergibt das unfassbar melodische und treibende Hymnen über jugendliche Existenzängste, Sehnsüchte und schöne wie schmerzvolle Liebesabenteuer, die sie dermaßen aufrichtig und leidenschaftlich präsentieren, dass man sofort erkennt: diese Jungs – und das eine Mädel, das hinter dem Schlagzeug sitzt – sind mit ganzem Herzen bei der Sache.
Ihr von Tim Pagnotta produziertes Debütalbum „Habits“, das am xx.xx. auf Mercury Records erscheint, sorgt kurz vor Jahresende noch mal für jede Menge frischen Wind in der Rockwelt, und zwar aus einem einfachen Grund: Ihre Songs hätten in den gesamten 50 Jahren, die zwischen der Ära des Garage-Rock und dem Dance-Rock des Jahres 2010 liegen, zu keiner Zeit fehl am Platz gewirkt. Beweis gefällig? Ihre erste Single „Animal“ zum Beispiel, die mit kantigen Gitarren beginnt und einen daraufhin in ein Klanguniversum entführt, in dem Stadionrock und Dancefloor-Sound direkt nebeneinander liegen und einander keineswegs ausschließen. Wenn Sänger Tyler Glenn in seinem Lobgesang auf das (animalische) Verlangen dann folgende Zeile singt – „Take a bite of my heart tonight“ –, muss man ihn einfach beim Wort nehmen…
Was man sich nun also genau unter dem Sound von Neon Trees vorstellen soll? Nun, man nehme hooklastige New Wave-Einflüsse, dazu die unbedingt menschlichen und greifbaren Geschichten des Rock, und dann fügt man obendrein noch eine Überdosis Charisma hinzu – und schon bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, woraus sich die klangliche Palette dieser Band zusammensetzt.
„Ist schon schräg, aber der Wunsch, ein Superheld zu sein, ist bei mir extrem stark ausgeprägt, das grenzt fast schon an eine Obsession“, gesteht Tyler Glenn, der seine zwei größten Bühnenvorbilder gar nicht erst beim bürgerlichen Namen nennen muss: der „Boss“ und der „King of Pop“.
„Ich will Gutes tun, für meine Freunde und alle, die ich liebe; ich wäre gerne derjenige, der sie rettet, doch dann wurde mir irgendwann klar, dass sie mich gerettet haben, indem sie sich unsere Songs anhören. All unsere Songs handeln im Grunde von Vergebung, von Liebe und Leidenschaft, und diese Begriffe bringen auch schon ziemlich gut auf den Punkt, worum es uns als Band geht.“
Im Text von „Sins Of My Youth“ schwelgt Tyler in Erinnerungen an vergangene Jugendsünden und begibt sich zurück in eine Kindheit, in der er viele Wege einschlagen und austesten musste, um schließlich den richtigen für sich zu finden: „I’ve got these habits I cannot break… Call me crazy/I was born to make a mess.“ Im Fall von „Your Surrender“ trifft die romantische Ader eines Roy Orbison auf massive Wall-of-Sound-Klangwelten à la Phil Spector, während „Girls and Boys in School“ genau das ist, was der Titel verspricht: Pausenhofgesänge nämlich, dazu gibt’s einen Synthie-Pop-Refrain, den man einfach mitsingen muss, obwohl er ziemlich düster ist. Das Gitarrenspiel von Chris Allen ist ungewöhnlich kantig und flirrend (man denke an eine Mischung aus Johnny Marr und The Edge), während Schlagzeugerin Elaine Bradley ähnlich abgeht wie damals John Bonham und den Songs damit den nötigen Herzschlag verpasst.
„Letzten Endes wollen wir Songs schreiben, die vom Menschsein handeln“, berichtet der in Las Vegas geborene Bassist Branden Campbell. „Sämtliche Gefühle und Stimmungen wollen wir einfangen. Unser Logo ist nicht ohne Grund ein menschliches Herz mit Flügeln. Wir bleiben einerseits am Boden, aber wir wollen auch abheben und träumen. Genau wie wir hart arbeiten und auch ganz offen zugeben, dass wir eine erfolgreiche Band sein wollen.“
„Wir gehen die Songs dabei ganz klassisch an“, erzählt Gitarrist Chris Allen, der die Band in Südkalifornien gemeinsam mit seinem unmittelbaren Nachbarn Tyler gründete. „Von Anfang an ging es uns um die Musik, um die Songs selbst. Sie standen im Mittelpunkt. Bei den Proben haben wir manchmal gar kein Wort gewechselt, sondern einfach nur zusammen diese Songs gespielt. Immer wieder.“
„Ich hab schon immer versucht, als Songwriter mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben“, so Tyler, der sich alles selbst beigebracht hat und schon als Sechsjähriger seine ersten Songs komponierte. „Genauer gesagt: Ich versuche einfach, meine Gedanken und Gefühle herauszulassen. So gesehen ist die Musik eine Art Werkzeug, das es mir erlaubt, mit all den Dingen klarzukommen, die mir so in den Kopf kommen. Und ich muss sagen, dass ich echt froh bin, dieses Ventil gefunden zu haben.“
Als Chris dann nach Provo in Utah zog, um dort zu studieren, ging Tyler kurzerhand mit, weil ihm klar war, dass die beiden weiterhin zusammen Musik machen mussten.
„Die Fahrt war mal echt unentspannt“, berichtet Chris lachend. „Wir saßen stundenlang nebeneinander im Auto und wechselten so gut wie kein Wort. Wir wussten nur, dass wir zusammen Musik machen wollten; davon abgesehen war alles offen.“
Als sie in Utah angekommen waren, stießen schon wenig später Bassist Branden und Schlagzeugerin Elaine dazu (Elaine Bradley war im Mittleren Westen mit Led Zeppelin und Depeche Mode aufgewachsen – definitiv eine interessante Mischung), und die Chemie stimmte von Anfang an, auch wenn die einzelnen Mitglieder der Neon Trees schließlich erkennen sollten, dass sie im Grunde genommen doch sehr unterschiedliche Menschen sind.
„Ist echt faszinierend, wie verschieden wir sind“, meint Elaine, die seit ihrem 14. Lebensjahr permanent in irgendwelchen Bands gespielt hat, erst als Gitarristin und später dann als Schlagzeugerin. „Tyler ist so der verschrobene und vollkommen ernste Typ, der eigentlich aber doch nur Flausen im Kopf hat. Branden ist ein wandelndes Musiklexikon. Chris mit seinen flinken Fingern ist buchstäblich für die Handarbeit zuständig. Und insgesamt fühlt es sich das alles wie eine arrangierte Ehe an, bei der an Scheidung nicht mal zu denken ist, und trotzdem finde ich das vollkommen in Ordnung so.
Dass Neon Trees inzwischen bei einem Major-Label unter Vertrag sind, hat ihren Ansatz und diese Chemie kein bisschen verändert.
„Unser Ansatz und die Art, wie wir ihn musikalisch umsetzen, sind noch genau wie ganz zu Beginn“, meint Tyler. „Uns ging es schon immer darum, diesen überdimensionalen, überlebensgroßen Sound zu kreieren – und zwar selbst dann, wenn wir in irgendeiner mickrigen Garage auftreten und vor nur 10 Leuten stehen. Ansonsten versuchen wir einfach, realistisch zu bleiben, und wir werden niemals vergessen, warum wir überhaupt als Band zusammengefunden haben.“
„Für mich ist Musik fast schon etwas Heiliges, ein Akt der Kommunion, mit dem man seine Gefühle zeigt und Hoffnung spendet“, sagt Tyler. „Diese Auffassung zeichnet unsere Band aus. Und doch muss man, wie überall im Leben, sich hin und wieder auch einfach amüsieren – man muss auch mal lachen und tanzen und singen. Die Songs, die einen wirklich bewegen und nachhaltig prägen, sind doch die, mit denen man sich inhaltlich identifizieren kann und sie zugleich einfach mitsingen muss.“
„Unsere Palette ist echt unglaublich breit angelegt“, sagt Elaine. „Jeder Song steht für einen anderen Aspekt dieser klanglichen Palette. Wir würden uns nämlich niemals auf irgendeine Formel festlegen. Und dazu kommt, dass wir auch live so einiges zu bieten haben.“
„Konzerte sind für uns das Größte überhaupt: Die Auftritte, das Reisen, die neuen Orte, die man sieht und die Menschen, die man überall trifft“, meint Chris abschließend. „Wir wollen einfach das Gefühl weitergeben, das andere Bands uns gegeben haben, und die Fackel gewissermaßen weiterreichen.“
Mit „Habits“ stecken Neon Trees diese Fackel nun an, um den Rest der Rockwelt endgültig in Brand zu setzen.