Der Belgier Jonathan Vandenbroeck ist wohl besser bekannt unter seinem Bühnennamen Milow. Längst ist er zu einem Synonym für eine charismatische Stimme, unwiderstehliche Melodiebögen und einfallsreiche Arrangements geworden. Kaum jemand ist so häufig auf Konzert-Bühnen zu erleben wie Milow, ein Garant für Gold- und Platinauszeichnungen. Seine Shows sind so intensiv, dass sich das Publikum noch Tage später im Bann der Faszination befindet.
Nicht zufällig hat Milow nach zwei Studio-Alben sein erstes Live-Album “Maybe Next Year” vorgelegt. Mit “From North To South Live” ist nun bereits die nächste live eingespielte Platte am Start. Für zwei Live-Alben brauchen andere Künstler 40 Jahre. “Ich mag es einfach, meine Lieder live zu singen”, freut sich Milow, “purer kann die Seelenkraft der Lieder nicht sein und die Reaktionen der Zuhörer nicht unmittelbarer. Deshalb liebe ich es, sie auch live auf CD zu bannen.”
Diese Liebe zur Live-Welt ist im eigenen Erleben von Milow zu suchen. “Meine wichtigsten Platten in meinem Schrank sind Live-Alben”, blickt er zurück. "Meine Lieblingskünstler habe durch sie entdeckt. Neil Young etwa oder Bruce Springsteen. Den habe ich erst dann wirklich verstanden, als ich seine Live-Alben hören konnte."
Diese Hör-Erfahrungen sind für Milow so nachhaltig, dass er sein künstlerisches Schaffen darauf abstellt. Kein Lied hat eine Chance auf eine Platte genommen zu werden, wenn es nicht nach Strich und Faden einem Livetest unterzogen wurde. "Kaum, dass ich ein Stück geschrieben habe, will es raus auf die Bühne, es will die einzigartige Stimmung, die Eindrücke, Gefühle und Emotionen spüren", erzählt er. “Du kannst so viel aus der Reaktion des Publikums lernen. Anschließend arrangiere ich es zu Ende und nehme es dann auf.”
Diese Art zu schreiben, ist für Milow keine Anbiederung an das Publikum oder eine Suche nach hitverdächtigen Nummern. Er will einen Dialog führen. Einen, der gleichzeitig mit dem Stück und dem Publikum stattfindet. Einen, der den Liedern erst wirkliches Leben einhaucht, der sie wachsen lässt und ihnen exakt das gibt, was ein Stück richtig groß macht: Seelentiefe.
So hat Milow zwischen Oktober und Dezember 2011 über 50 dieser kommunikativen Veranstaltungen mitschneiden lassen und dann erstmal beiseite gelegt. “Ich wollte mich nicht sofort mit dem Material beschäftigen”, lässt Milow verlauten. “Ich brauchte ein wenig Abstand und war anschließend überwältigt, was ich da zu hören bekam. Ich hatte echte Schwierigkeiten, meine Lieblingstitel auszuwählen. Das Publikum hat geklatscht, getobt und aus voller Kehle mitgesungen. Sie waren fast wie ein zusätzlicher Musiker.”
Und das will etwas heißen; denn seine starke langjährige Band blüht bei jedem leidenschaftlichen Zusammenspiel auf`s Neue förmlich auf. So sind auf dem neuen Album dann folgerichtig auch Milow, seine Band, aber auch lautstark das Publikum zu hören. “Ich hasse diese Live-Alben, die so clean und sauber sind, dass das Publikum nicht mal ansatzweise zu hören ist. Bei mir hat das Publikum größten Anteil am Konzert und ist deshalb auch genau in diesem Maße auf der CD zu hören.”
Wer so viel auf Tournee ist, der muss auch in dieser Zeit an seinen Stücken arbeiten. “Zeit dafür ist immer, vor dem Soundcheck, danach, im Hotel, nach der Show”, weiß Milow, “so viel Zeit muss auch sein; denn ein Stück kann jederzeit anklopfen. Und auf diesen magischen Moment, muss ich vorbereitet sein. Deshalb habe ich immer mein Mobiltelefon zur Hand, trällere die Melodie im Zweifelsfallt ins Telefon und habe sie so sicher.”
Nach jeder Torunee schleppt Milow ein gut gefülltes Archiv aus Text- und Melodiefetzen mit nach Hause. Für die weitere Arbeit an seinen Liedern hat er ein sehr einfaches Konzept. “Ein Lied hat immer eine Geschichte zu erzählen und darf nie langweilig werden”, weiß Milow. “Es braucht eine starke, mitreißende Einleitung, einen sich noch steigernden Mittelteil, und einen überraschenden Schluss.”
In den von Milow genannten magischen Momenten, muss ihn die Muse vollmundig geküsst haben, denn für all’ seine Liedschätze gilt, dass er nicht nach den guten Ideen gesucht hat – genommen hat er nur die besten. Da macht er keine Kompromisse. Deshalb sind seine Stücke nicht ‚irgendwie in Ordnung’. Nein, sie haben Stil. Und sie haben nicht nur Klasse, sie sind eine Klasse für sich. Dies hat einen ganz besonderen Hintergrund und der liegt in der Hybridgeneration begründet, der Milow angehört.
“In den 1980er-Jahren geboren und den 1990er-Jahren aufgewachsen kenne ich sowohl die Faszination des klassischen Albums mit seinem Spannungsbogen, wie etwa Radioheads ‚OK Computer’, aber auch die Playlistifikation durch Onlineportale, wie Napster und Kazaa, die das einzelne Stück isoliert in den Blickpunkt rückten”, blickt Milow weit zurück. “Da belibt es natürlich nicht aus, dass ich Alben machen will, die beides berücksichtigen. Ich will den Leuten Stücke für ihre Playlisten geben und gleichzeitig einen Spannungsbogen für ein komplettes Album kreieren.”
So werden von Milow Altmodisches und Zukünftiges in ein Lied gegossen und starke Bilder zum Laufen gebracht. Dichterische Feinheiten loten den Weg des Herzens aus. Als begnadeter Unterhalter und Geschichtenerzähler kann seine Heimat nur die Bühne sein. Milows grandioser Ton ist schon für sich allein überzeugend. Doch wenn er dazu in der als Bonus-DVD beiliegenden Dokumentation die Bilder laufen lässt, öffnet sich ein Schatzkästlein von bewegten und bewegenden Bildern. Persönlicher geht es nicht. Tiefer auch nicht.
Der Film zeigt, dass Milow nie mit der Masse schwimmen will, er will etwas Besonderes machen. Eine neue Welt schaffen. Und er schafft es! Grundlegend dafür ist auch seine besondere Fähigkeit, dafür zu sorgen, dass die Stimmung in seinem Umfeld stets ansteckend gut ist. Aber nur so gelingen Konzerthighlights, wie Milow sie nunmehr seit Anfang der 2000er-Jahre in Serie abliefert. Und so ist die neue Platte “From North To South Live” ein schlüssiges Muss!
Die Lieder und die Bilder der Dokumentation zeugen von einer Leidenschaft, einem Traum, der mehr und mehr zur Realität wird. “Musik ist mein Leben und nicht einfach nur ein Job”, besser hätte Milow sein Credo nicht auf den Punkt bringen können. Und Leben findet nun mal live statt! Und bei Milow ist live auch live: kein Playback, keine ablenkende Kostümshow, kein Feuerwerk und keine sonstigen Tricks. Nur er und die pure Kraft seiner Lieder.
“Ich mache deshalb so gerne Live-Platten, weil ich die Leute überzeugen will ins Konzert zu gehen”, lacht er, “die mp3-Generation soll meine Lieder in Echtzeit hören und sagen, verdammt noch mal, warum war ich nicht bei diesem Konzert?” Eins ist sicher, wer “From North To South Live”gehört hat, der wird die nächste Milow-Show keinesfalls versäumen.