Statusupdates, Tweets, Newsletter – permanente Kommunikation: Jeden Tag wird es schwieriger, sich durch den Datendschungel zu kämpfen. Aber zwischen all den Neonblitzen und dem ohrenbetäubendem Lärm finden sich Nachrichten, die das Rauschen durchbrechen und die mitten ins Herz treffen.
Maximo Parks fünftes Album
“Too Much Information” ist genau so eine Platte, die die tatsächlich bedeutenden Momente des Lebens aus dem Schwindel erregenden Wechsel von Auf und Ab herauspickt und gestochen scharf abbildet. Es ist das Werk einer Band, die trotz ihrer beeindruckenden Entwicklung seit ihrem aufregendem Debüt
“A Certain Trigger” im Jahr 2005 nie Beständigkeit mit einer Zufriedenheitsgarantie verwechselt hat. “Nach fünf Alben will man der Welt zeigen, das sind wir und wenn es Euch nicht gefällt, Pech – wir werden uns für Euch nicht ändern”, erklärt Sänger
Paul Smith.
Das Vorgängeralbum war 2012 das unversöhnliche und beinahe hetzerische
“The National Health”, welches ihre “Glückssträhne”, wie Smith es nannte, mit neuer Energie versorgte. Im Dezember 2012 begab sich die Band nach Sunderland in das Studio ihrer Freunde
David Brewis und
Peter Brewis, dem Bruderpaar hinter Field Music, um eine EP aufzunehmen, die den Schwung, den
“The National Health” der Band gegeben hatte, nutzen sollte. Der Plan wurde allerdings schnell geändert. “Wir sind keine niedergeschlagenen Persönlichkeiten wie aus einem Nietzschebuch, aber wir nehmen das alles sehr ernst – ein Album ist ein wichtiges Statement der jeweiligen Zeit, aber bei einer EP kann man es ein bisschen lockerer angehen; so wie wir es auch mit unseren B-Seiten machen”, erklärt Smith. “Aber als die EP soweit fertig war, dachten wir ’das ist ziemlich gut. Wenn wir auf diesem Weg weiter gehen, haben wir ein Album!’” Den Großteil der Aufnahmen spielte die Band in ihrem eigenen Studio ein. “Es kam alles ziemlich aus dem Bauch heraus – so hatte es ja auch angefangen”, erzählt Gitarrist
Duncan Lloyd. Aus dieser ungezwungenen Herangehensweise speist sich auch die Atmosphäre der unbegrenzten Möglichkeiten, die das ganze Album durchzieht.
Für eine Band, die beim fünften Album ihrer Karriere angekommen ist, ist “Too Much Information” eine bemerkenswerte Leistung: Jeder Song pulsiert voller Lebensenergie und es sich, dass Maximo Park seit ihrer Gründung in Newcastle im Jahr 2000 nichts von ihrer Rastlosigkeit eingebüßt und ihre Fähigkeit zu überraschen und zu provozieren sich sogar noch vertieft haben. “Der Albumtitel drückt die Vielseitigkeit der Songs aus”, sagt Smith. “Das Album klingt von vorne bis hinten immer noch wie Maximo Park, aber es stecken eine Menge Informationen drin. Viele unserer Songs sind emotionaler, als die Leute, die nur coole Musik mögen, die sehr distanziert und zurückhaltend ist, hören wollen. Das findet man in unserer Musik nicht so oft. Sie ist für die Momente, wenn man empfindlicher ist oder man sich einer Emotion aussetzen möchte, ob das nun der totale Überschwang ist oder etwas Melancholischeres oder Nachdenkliches. Der Titel schien mir das ganz gut rüberzubringen: Diese Art von Band sind wir.”
“Too Much Information” ist wie eine Sammlung von Schnappschüssen unterschiedlicher Gemütszustände, eine Abbildung des Lebens in all seinen zerbrochenen, zerstreuten Formen. Textlich und musikalisch fangen diese Songs den Rausch und die wilden Sprünge eines funktionierenden – und manchmal versagenden – menschlichen Gefühlslebens und seiner Gedankenwelt ein. “Unsere Songs sind Momentaufnahmen des Lebens, die man festhalten und daran denken muss, dass sie zerbrechlich und flüchtig sind”, sagt Smith. “Diese Balance versuchen wir hinzubekommen. Eins unserer Lieblingsalben in letzter Zeit war ”Monomania" von Deerhunter, weil es sich roh und locker und richtig kraftvoll anfühlt." (“Too Much Information” wurde von Monomanias Co-Produzenten Nicolas Vernhes abgemischt. Er hielt die Band von New York aus über Skype bis ins winzigste Detail über die Fortschritte auf dem Laufenden.)
Diese Songs sind hell ausgeleuchtete Polaroids, lebendig wie wilde Farbspritzer an der Wand. “Her Name Was Audre” ist “ein Minutemen Punksong” über die afro-amerikanische, feministische Dichterin Audre Lorde, die bis zu ihrem Tod 1992 als Bibliothekarin in New York City arbeitete. “Give, Get, Take” ist ein “einfacher Popsong mit einer überraschenden Wendung darin”. “Brain Cells” entstand unter dem Eindruck von Karin Dreijer Anderssons Fever Ray-Projekt, und “Where We’re Going” soll nach “Modern Lovers” klingen.
Smith räumt ein, dass es auch einige übergeordnete Themen gibt: So wurde
“My Bloody Mind” z. B. von “Nachtaktivität” inspiriert – “eine Sehnsucht nach etwas, das man bereits hat und die einen überkommt, wenn man gerade aus ist und feiert”. Oder der leicht benebelte Synthpop von
“Brain Cells”, der geschickt das Gefühl erweckt, “mitten in der Nacht, bzw. schon im Dämmerlicht ins Stadtzentrum und zu einem Nachtclub gefahren zu werden, wo dann die Woche in einen seltsam abgedrehten Event ausklingt.” (Um das nächtliche Electro-Feeling hinzubekommen, arbeitete die Band mit
Dave Okumu von
The Invisible, der auch für die atmosphärischen Sounds von
Jessie Ware bekannt ist.)
“Ich habe die Raveszene gar nicht so richtig aktiv mitbekommen”, lacht Smith. “Ich hätte wahrscheinlich zu viel Angst gehabt hinzugehen, auch wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte – aber ich habe versucht, die Songs ihren eigenen Weg finden zu lassen und eine andere Geschichte zu erzählen, die zwar von meinen eigenen Erfahrungen abweicht, diese aber als Startrampe benutzt.”
Auch Smiths Begeisterung für Literatur zeigt sich in diesem Denkansatz. Das äußerst bewegende “Her Name Was Audre” berichtet nicht nur über die Dichterin, sondern auch darüber, was Smith der Bibliothek seiner Heimatstadt Billingham zu verdanken hat. “Lydia, The Ink Will Never Dry” nährte sich aus den Kurzgeschichten der amerikanischen Schriftstellerin Lydia Davis. Der hektische Fiebertraum von “I Recognise the Light” hat einen etwas unheimlichen Refrain – “I’ve never been to Mexico City but I recognise the light / I’ve never been to Santiago / Its history keeps me up at night” – inspiriert durch den mittlerweile verstorbenen chilenischen Schriftsteller Roberto Bolaño, Autor von 2666. “Ich interessierte mich sehr für chilenische Geschichte.” sagt Smith. “Sie scheint sehr abgekoppelt zu sein – fast wie eine geheime Geschichte, Leute verschwinden, Leute spionieren sich gegenseitig aus. Darüber hören wir in England nicht vie, aber wenn man Bücher darüber liest, erhält man einen Schlüssel zu dieser Welt.”
Die Türen zu diesen menschlichen Erfahrungen zu öffnen, ist Teil künstlerischen Ansatzes von Maximo Park. Trotz seines Titels will man nach“Too Much Information” noch mehr – dieser Wunsch lässt auch Maximo Park nicht ruhen. “An diesem Punkt des Spiels sieht man oft, dass Bands schlechter werden. Aber ich will besser werden,” sagt Smith. “Wenn man noch die selbe Leidenschaft hat, sollte man aus seinen Fehlern lernen, Erfahrungen sammeln und versuchen, all das durch die Musik zu analysieren. Es klingt spannend. Und es fühlt sich richtig an, die Dinge weiterhin auf unsere Art und Weise anzugehen.”