Mark Knopfler | Biografie

Mark Knopfler: Down The Road Wherever

 
Auf die Frage, was es mit dem Titel seines neunten Soloalbums auf sich habe, verweist Mark Knopfler auf einen der neuen Songs: Es handle sich bei Down The Road Wherever um eine Textpassage aus dem Stück „One Song At A Time“. Urheber dieser Zeile sei genau genommen ein guter Freund gewesen, der längst verstorben ist – ein Freund, der, genau wie er selbst, sein ganzes Leben der Gitarre, dem Songwriting gewidmet habe, zwei zentralen Polen, die über ein schier grenzenloses Potenzial verfügen, die Leben anderer zu berühren und zu verändern.  
„Ich erinnere mich noch daran, wie mein Freund Chet Atkins mal gesagt hat, dass er seinen Weg aus der Armut Song für Song genommen hat“, erzählt Mark und bezieht sich damit auf den Titel „One Song At A Time“. „Diese Zeile ist mir seither im Gedächtnis geblieben. Man kommt zwar langsam in ein Alter, in dem es eine ganze Menge Songs sind. Aber Down The Road Wherever wirkt für mich trotzdem passend, denn genau das habe ich letztlich immer gemacht: Ich habe stets versucht, meinen geografischen Standpunkt in den Songs festzuhalten, und das trifft hier wohl auch zu.“ Mit „One Song At A Time“ bezieht er sich konkret auf den Ort Deptford, wo die noch ganz jungen Dire Straits damals ihre ersten Schritte machten, sich also selbst Song für Song aus der Unbekanntheit heraus ins Rampenlicht bewegten…
Man erkennt Knopfler, den permanent umherreisenden Songwriter, noch immer an seiner unprätentiösen Art; auch nach 40 Jahren, die er nun schon ganz oben in der musikalischen Weltspitze mitmischt, hat sich daran nichts geändert. Das Album Down The Road Wherever ist dabei der neueste elegante Beweis für seinen unstillbaren kreativen Durst: 14 zum Teil mutige, zum Teil überraschende Songideen (und noch einige mehr auf den Deluxe-Editionen) vereint dieses Album, die er aus gut doppelt so vielen Ansätzen, mit denen er an die Arbeit gegangen war, herausfiltern sollte. Was seine Kreativität zusätzlich befeuern sollte: Mark arbeitete parallel dazu an neuen Kompositionen für das Musical „Local Hero“. Auch dieses Projekt lag ihm sehr am Herzen, wo doch der Soundtrack zum gleichnamigen Film aus dem Jahr 1983 der erste von vielen Soundtrack-Aufnahmen war (u.a. darauf vertreten: der Instrumental-Song „Going Home“, der bei seinem Team Newcastle United nach wie vor zu hören ist, wenn die Mannschaft einläuft).
Wie das zuletzt veröffentlichte Album Tracker (2015) und viele Alben davor, sollte auch Down The Road Wherever in Knopflers eigenem Aufnahmereich entstehen: den British Grove Studios im Westen von London. Zu den Mitwirkenden zählen dabei angestammte Kollegen wie z.B. der Co-Produzent und Keyboarder Guy Fletcher, Bassist Glenn Worf, Jim Cox am Klavier, der Gitarrist Richard Bennett, Schlagzeuger Ian ‘Ianto’ Thomas sowie Danny Cummings, der weitere Percussion-Elemente beisteuerte. Auch die nun schon seit 10 Jahren funktionierende Zusammenarbeit mit den Folk-Instrumentalisten John McCusker (Fiddle) und Michael McGoldrick (Whistles) geht auf diesem Album in die nächste Runde, während der Saxofonist Nigel Hitchcock und der Trompeter Tom Walsh zum allerersten Mal mit Knopfler arbeiten.
Der erfahrene Songwriter Knopfler musste derweil erneut feststellen, dass die sich Freunde am Schreiben eines neuen Songs erst dann voll entfaltet, wenn die Idee den ganzen Prozess bis zur Fertigstellung durchläuft – inklusive allen Verwandlungen, allen Entscheidungen: „Ich genieße wirklich jeden Aspekt davon. Erst die Inspiration, die Idee selbst. Dann die Arbeit im stillen Kämmerlein, allein, und dann den Schritt ins Studio, wo man versucht, diese Idee als Ganzes, als funktionierenden Song umzusetzen“, sagt er. „Dabei muss ich große Entscheidungen fällen: Soll ich diesen Song einfach hierhin mitnehmen (ins eigene Studio) und alleine daran feilen – oder soll ich ihn gleich der ganzen Band vorspielen? Das Resultat wird nämlich ganz anders klingen, wenn ich das mache. Man überlegt gewissermaßen, auf welche Schule man sein Kind am besten schicken sollte.“ Abgerundet werden viele der Songs durch weiblichen Background-Gesang; im Fall von „Back On The Dancefloor“ ist zudem die irische Sängerin Imelda May als Gast zu hören. „Das war toll, dass Imelda bei dem Song mitgemacht hat. Ich finde sie wirklich großartig“, meint Knopfler. „Sie hat dem Stück sehr viel mehr Farbe gegeben… sie ist wahnsinnig kreativ, was mir sehr viel Spaß gemacht hat. Für mich hat der Song ehrlich gesagt etwas Mysteriöses, aber genau das mag ich daran – das macht ihn zu einem meiner Lieblingssongs vom neuen Album.“
„Ja, das mit dem weiblichen Hintergrundgesang, das musste irgendwann einfach kommen. Schon eine ganze Weile hab ich diese Idee mit mir herumgetragen, und auch die Bläser sind ein Element, das ich dieses Mal bei vielen Songs einsetzen wollte. Wenn ich dann demnächst wieder auf Tour gehe, dann werde ich’s wohl ähnlich wie immer machen und obendrein die Bläser als neues Element in die Show integrieren. Dadurch wird’s auch noch ein bisschen lebendiger im Tourbus.“
Langjährigen Fans der Songwriter- und Gitarren-Ikone wird neben diesen Details noch eine weitere Sache auffallen, wenn sie Down The Road Wherever hören: Die Stimmung ist eine andere. Denn so sehr die Songs noch immer in der Folk- und Roots-Tradition verwurzelt sind und damit an vorangegangene Soloalben anknüpfen, spielen hier erstmals auch Jazz- und Funk-Elemente eine größere Rolle. Ja, sogar der rockigere Sound seiner Anfangstage schimmert gelegentlich wieder durch. „Es wird immer anders klingen, ob man das will oder nicht: Man verändert sich schließlich“, entgegnet Knopfler. „So ist das halt. Manchmal zeigen einem die Songs erst ganz am Schluss, was für Fehler man vorher gemacht hat – oder auch: in welche Richtung man eigentlich die ganze Zeit unterwegs war. Das ist wirklich immer wieder lustig, das mit anzusehen. Erst dann findet man manchmal heraus, wovon diese Songs eigentlich handeln, oder vielleicht auch, was einen die ganze Zeit über beschäftigt hat.“
Zu den klanglichen Überraschungen des neuen Soloalbums zählen u.a. die minimalistische, zutiefst gefühlvolle Ballade „When You Leave“ und das verspielte „Heavy Up“, dessen Titel wiederum auf dem Ausspruch eines Songwriter-Freundes basiert, genauer gesagt auf dessen Schlagfertigkeit: Als er aufgefordert wurde, sich doch mal locker zu machen (im Englischen: „lighten up“), lautete seine Antwort – I’ll lighten up for you if you’ll heavy up for me“; sein Gegenüber solle doch bitte im Gegenzug etwas unentspannter und unlockerer werden…
Aus der Heimat stammt die Inspiration zu „Just A Boy Away From Home“, mit dem Knopfler an seine Zeit in Newcastle zurückdenkt, als sein Vater nach einem Herzinfarkt ins Krankenhaus gekommen war. „Er war im Newcastle General-Krankenhaus untergebracht, und wie jeder aus dem Norden weiß, liegt dieses Krankenhaus ganz in der Nähe vom Fußballstadion. Als er dann nachts nicht schlafen konnte und sich wohl auch ein wenig selbst bemitleidete, hörte er unten auf der verlassenen Straße einen Typen, der gerade ‘You’ll Never Walk Alone’ sang. Es handelte sich also um einen Fan von Liverpool, der vom Spiel kam – oder wer weiß, vielleicht hatte er das Spiel auch verpasst oder so. Sicher war nur: Er war nun in Newcastle und sang gerade sein Lied. Mein Vater fand das echt inspirierend, also die Geisteshaltung dahinter.“ Die bekannte Melodie taucht denn auch in Knopflers Song auf – als bewegende Reprise. „Fühlte sich echt super an, das auf der Slide-Gitarre zu spielen“, berichtet Mark. „Ich sagte mir: ‘Jetzt hab ich schon damit angefangen, dann kann ich’s auch bis zum Schluss spielen’ – und auch die Band hat natürlich viel Spaß dabei.“
Der Abschluss einer solchen Aufnahmephase, der dann in einen weiteren Eintrag in Knopflers langer Diskografie mündet, bringt jedes Mal noch eine weitere Freude mit sich: Die Gelegenheit nämlich, diese neuen Kompositionen zusammen mit ein paar Klassikern auch live zu präsentieren. „Ja, manchmal erwischt man sich dabei, wie man sich auf die Bühne wünscht, sich gerade vorstellt, wie man einen Song live spielt“, sagt er. „Und ich werde keinen von ihnen vergessen: Mike McGoldrick und John McCusker, die Folk-Musiker, die bei manchen Songs mitwirken, und genauso wenig Nigel und Tom, die bei anderen Stücken für die Bläser-Sachen zuständig sind. Ich freue mich echt drauf.“
Den Schlusspunkt von Down The Road Wherever markiert der Song „Matchstick Man“: ein weiteres sehr persönliches Stück, das sehr gut beschreibt, wie Mark Knopfler tickt, worum es ihm geht – und zwar damals wie heute. „Das bin wohl ich selbst“, gesteht er sogleich, „ein junger Dummkopf, der mit seiner Gitarre und seiner Tasche loszieht, in irgendeinen Lastwagen einsteigt und trampt. Ich wollte eigentlich zurück von einem Weihnachtsauftritt in Penzance. Es war am Weihnachtsmorgen, und ich dachte mir: Ich fahre einfach per Anhalter nach Hause. Mir war anscheinend nicht bewusst, dass ich 800 km weit entfernt war.“
„Aber dann nahm mich einer mit, die ganze A1 hoch, und ließ mich an irgendeiner Kreuzung in den Midlands raus. Die Sonne schien, überall lag Schnee, ich konnte kilometerweit sehen. Alles war still, nichts bewegte sich. Und ich stehe also da mit meinem Gitarrenkoffer und meiner Tasche und der plötzlichen Einsicht, dass ich diesen Weg eingeschlagen hatte für mein Leben. Es war genau das, was ich machen wollte. Es ist also letztlich ein Schnappschuss von meinem damaligen Ich. Aus der Luft betrachtet muss ich ausgesehen haben wie ein kleines Streichholz-Männchen, ein ‘Matchstick Man’ – umgeben von so viel Schnee und dem riesigen Traum von einem Leben als Musiker.“
„Man braucht schon eine Menge Kraft, um das alles auch durchzuziehen“, sagt er dann abschließend. „Du wirst es nämlich nicht durchhalten, wenn nicht genügend Kraft da ist, um auch die härteren Phasen zu überstehen. Ich fühle mich heute eigentlich genauso wie ich mich immer gefühlt habe: Wenn ich hier reinkomme und die Gitarren da drüben in der Ecke stehen sehe, dann gibt mir das genau den Kick, den ich schon als kleiner Junge gespürt habe. Das muss auch so sein. Es ist fast schon eine kindliche Einstellung, die einen immer wieder dazu antreibt, weiterzumachen und wieder aufzudrehen…“
 
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