Sie dachten, sie hätten es überlebt. Die Southern Rock-Band aus Jacksonville, Florida hatte sich zwischen 1970 und ´76 den Ruf der schlimmsten, rüpelhaftesten Rock´n´Roll-Band der Vereinigten Staaten eingefangen. Auf den endlosen Tourneen von Lynyrd Skynyrd wehte die Südstaatenflagge, floss der Whiskey, florierten die Drogen und flogen die Fäuste. Kurz nach Veröffentlichung des letzten Albums “One More From The Road” hatten zwei Bandmitglieder – Gary Rossington und Allen Collins – selbst verschuldete, schwere Autounfälle verursacht. Dann kam die Wende. Leadsänger Ronnie Van Zant wurde Vater, dachte plötzlich an die Zukunft, wollte die Kurve kriegen. Die Autounfälle thematisierte er in dem morbiden Song “That Smell” (“whiskey bottles / and brand new cars / oak tree you´re in my way”). Ein bisschen klingt “That Smell” wie Bob Dylans “All Along The Watchtower”. Der Song sollte das Schicksal der Band prophezeien. Denn nur drei Tage nach Veröffentlichung von “Street Survivors” stürzte ein von Lynyrd Skynyrd gechartertes Flugzeug über den Wäldern von Mississippi ab. Van Zant, zwei weitere Bandmitglieder und die beiden Piloten starben. Das ursprüngliche Cover des Albums zog man aus dem Verkehr – auf ihm stehen Lynyrd Skynyrd in einem Flammenmeer. Die unlängst erschienene Deluxe-Wiederveröffentlichung von “Street Survivors” hat 30 Jahre nach der Tragödie wieder das Originalcover.
Nachdem Lynyrd Skynyrd 1974 mit “Sweet Home Alabama” durch die Charts gebrochen waren, hatte ihre Plattenfirma MCA ständig einen weiteren solchen Drei-Minuten-Hit vom Septett gefordert. “Street Survivor” besteht dagegen aber aus komplexeren und längeren Songformen. “Wir steckten mehr in dieses Album als in jedes andere”, sagte Van Zant. "Es gibt vielleicht keinen Hit wie “Sweet Home Alabama” darauf, aber es ist das Beste, das wir je gemacht haben." So sieht es auch die Musikkritik. Besser als auf “Street Survivor” kann Southern Rock´n´Roll-Boogie nicht mehr werden. Ja, mit dem Album rissen Lynyrd Skynyrd, deren Sound immer eine Mischung aus “British Invasion”, Southern Blues und Country war, ihre lokalen Genregrenzen ein, bekamen das Potential der “amerikanischen Stones”. Die Dreier-Symbiose aus Steve Gaines, Gary Rossington und Allen Collins auf “Street Survivors” ist heute noch ein feuchter Traum jedes Gitarren-Fetischisten. Van Zant wuchs mit “Jacksonville Kid” – einem autobiographischen Song und einer Hommage an sein Idol Merle Haggard – als Songwriter über sich selbst hinaus. Das Schicksal wollte es dann, dass Lynyrd Skynyrd ihrer Welt aus Groupies (“What´s Your Name”), Drogen (“That Smell”) und Rocker-Fatalismus (“You Got That Right”) zum Opfer fielen. 2005 nahm sie die Rock´n´Roll Hall of Fame auf (gleichzeitig mit Black Sabbath, Blondie, Miles Davis und den Sex Pistols).
Die Blues-Boogie-Band nahm ihr fünftes Studioalbum zweimal auf. Die erste Version mit Produzent Tom Dowd (Eric Clapton, Allman Brothers Band) in Miami, die zweite (schließlich veröffentlichte) Version fünf Monate später mit Rodney Mills in Doraville, Georgia – im selben Studio, in der sie Hits wie “Free Bird” oder “Sweet Home…” eingespielt hatte. Warum die erste Version mit Dowd dennoch die womöglich bessere, tiefschürfendere ist, zeigt heute die neue Deluxe-Edition des Albums, die beide Sessions gegeneinander hält. Lynyrd Skynyrds Charisma der besten US-Rock-Liveband der zweiten Hälfte der 1970er erlebt man dort außerdem auf einem Livemitschnitt mit fünf Songs (vier von “Street Survivors”) von einem Konzert in Kalifornien kurz vor Veröffentlichung der LP (andere Live-Versionen dieser Tracks dürfte es nicht einmal als Bootlegs geben). Weitere exklusive Titel der Deluxe-Edition sind der Bluestrack “Georgia Peaches” und das Gitarren-geschwängerte “Sweet Little Missy” – geschrieben von Steve Gaines. Der Alternate Take von “Jacksonville Kid” (auf dem Originalalbum heißt der Song “Honky Tonk Night Time Man”) ist angeblich die letzte Aufnahme von Ronnie Van Zant.