„Wir haben uns stumm geschwiegen, wir haben uns taub geredet/ Wurden wie Unbekannte, die sich jeden Tag begegnen.“
Stumm geschwiegen. Taub geredet. Unbekannte, die sich jeden Tag begegnen. Man weiß, was gemeint ist. Man kennt solche Gefühle aus verkorksten Beziehungen, in denen wir alle schon einmal steckten. Aber so treffend in einem Popsong auf den Punkt gebracht, hört man das in deutscher Sprache nur sehr selten. Bei LUPID sind solche Momente die Regel.
Das Stück „Sag meinen Namen“ wird auf dem LUPID-Debütalbum AM ENDE DES TAGES zu hören sein. (VÖ bei Airforce1/Universal). Im Refrain singt Tobias Hundt, Sänger und Songwriter des Trios: „Sag meinen Namen noch einmal bevor du gehst/ Ich will nur sicher sein, dass du ihn nicht vergisst/ Sag meinen Namen noch einmal so laut es geht/ Ich will Geschichte in deinem Leben bleiben/ Ich will, dass du vermisst.“ Es gibt tausende Lieder über das Ende einer Liebe. „Sag meinen Namen“ ist anders: eine trotzige Hymne mit stolzem Rhythmus, dichtem Synthie-Teppich, perfekt sitzenden 80s-Gitarren und einem sehnsüchtigen Chor. Man merkt an dieser Stelle schon: LUPID gehen eigene Wege. Und das kommt nicht von ungefähr.
Drei Alben hatte Tobias Hundt bereits unter eigenem Namen aufgenommen, dann verließen zwei Gründungsmitglieder seine Gruppe. „Wir drei, die übrig geblieben sind, wussten nicht, wie wir weitermachen sollten. Und wir stellten uns die Frage, ob es nicht das Vernünftigste wäre, den Traum der Musikerkarriere zu beenden.“ Es ist dieser Moment, wenn sich alles entscheidet: weitermachen, ja oder nein? Und wenn ja – wie?
Tobias (Singer/Songwriter), Patrick (Bass, Keyboards) und Markus (Schlagzeug) kennen sich schon seit der Schulzeit aus Gießen. Tobias holte Patrick und Markus für sein Soloprojekt in die Liveband. Noch immer sind die drei in der Region zu Hause, ihr Studio befindet sich bei Gießen. Die Atmosphäre war also vertraut, als die drei dort ihre Köpfe zusammensteckten und über die Zukunft nachdachten. Ein ehrlicher Austausch – dann war klar: „Wir machen weiter – und setzen mit neuem Namen alles auf eine Karte.“ Für diesen Schritt war Mut erforderlich; der Song „Ins Kalte Wasser“ erzählt davon: Tobias Hundt kündigte seinen Job, fokussierte sich ganz auf die neue Band.
Es gibt im Song eine Schlüsselzeile, die den weiteren Weg von LUPID perfekt zusammenfasst: „Der letzte Schritt, von dem wie es ist, ist der erste Schritt zu dem, wie es wird.“ Für das Trio begann eine extrem intensive Phase, um einen Bandsound zu definieren. Die drei Musiker tauschten sich mit ihrem Produzenten Thomas Eifert aus: Was lieben wir an Musik? Wann geht uns das Herz auf? „Wir stehen auf den Mix aus Beats und Synthies mit organischen Instrumenten“, sagt Tobias Hundt. Man darf sich den Sessionraum von LUPID wie ein Labor vorstellen, die Musiker sind die Forscher: Wie weit dürfen wir gehen, wie viel Elektronik tut den Songs gut? Immer weiter drehten sie das Rad. „Bis zu dem Moment, als wir uns anschauten und sagten: Das ist es. Das ist der Sound von LUPID.“
Da ist die elektronische Seite – digital und trotzdem einfühlsam und sehnsuchtsvoll, mit Samples, die wie Stimmen aus der fernen Nacht klingen. Doch die Elektronik steht immer im Gleichgewicht zu den organischen Elementen: zur zugleich kraftvollen und leicht gebrochenen Stimme von Tobias Hundt, zum Klavier und zu den sparsam eingesetzten, aber wunderbar einprägsamen Gitarren.
Nehmen wir „Am Ende des Tages“, der erhabene Titelsong des Debütalbums. Man begegnet diesen Worten recht häufig, bei Pressekonferenzen von Fußballtrainern, in langweiligen Geschäftsmeetings, beim Streiten mit dem Partner. Tobias Hundt jedoch hat diese vier Worte bis in die Tiefe durchdacht. „Es geht um intime und existenzielle Fragen“, sagt er. „Was bleibt am Ende des Tages? Wer wird mich dann halten, was lässt mich durchhalten und hoffen?“
„Am Ende des Tages“ ist ein ganz klar optimistischer Song – und ein solcher ist sehr schwer zu schreiben. Trauer vertont sich einfacher als Hoffnung. Doch LUPID finden den Weg. Die Band besitzt ein unglaublich gutes Gespür dafür, Worte und Musik in Einklang zu bringen. Das zeigt auch „Aus allen Wolken“, ein federnder Song, der genau so klingt, wie man sich fühlt, wenn die Liebe einschlägt. „Ich fall’ aus allen Wolken/ Krieg kein Wort mehr raus/ Falle immer tiefer/ Ich hoff’, es hört nicht auf.“ Das Interessante an diesem Text: Noch liebt der Protagonist des Songs versteckt, noch geht er nicht aus der Deckung. Er genießt das – und hadert dennoch mit sich selbst.
Auch beim Stück „Revanche“ – für Tobias Hundt „der besondere Schatz auf dieser Platte“ – finden LUPID eine ungewöhnliche Perspektive. Die Vokabel ist eigentlich negativ besetzt, man denkt an unbehagliche Gefühle. LUPID machen „Revanche“ zu einer Liebeserklärung. „Die große Herausforderung beim Songwriting ist es, Worte oder Gefühle immer wieder aus neuen Perspektiven und mit neuen Bildern zu beschreiben.“ So wird aus einem Begriff, der für viele negativ belegt ist, ein Liebeslied. „Und plötzlich löst es unglaublich starke Emotionen aus.“ Geschrieben hat Tobias Hundt „Revanche“ zusammen mit der Berliner Songwriterin Jasmin Shakeri, die hier auch als gefühlvolle Duettpartnerin zu hören ist. Die Zwei arbeiteten auch bei „Der Trick ist zu atmen“ zusammen. „Wir haben uns überlegt, was man einem Menschen sagen kann, der wirklich am Boden ist. Und wenn wirklich nichts mehr geht, hilft nur noch eines – atmen.“ Das Resultat ist ein atmosphärisches, beinahe meditatives Stück.
Aber LUPID verstehen sich auch meisterlich darauf, Songs zu schreiben, die mutig voranschreiten. Nehmen wir „Was soll schon passieren“: Das House-Klavier treibt den Song an, Tobias Hundt singt: „Wir stehen immer noch, viel stärker denn je/ Haben schwimmen gelernt, um nicht unterzugehen/ Haben Berge versetzt oder ’nen Umweg genommen/ Nicht jeder war nötig, aber keiner umsonst.“. Tobias Hundt sagt zum Text: „Wenn wir den Glauben an uns nicht verlieren, und auch nicht die Liebe, die uns antreibt und die Hoffnung, die uns durchhalten lässt – was soll dann schon passieren?“
Bei aller Hoffnung, allem Optimismus: LUPID stellen sich auch auf die Schattenseite, dorthin wo es kalt und karg ist. Bei „Winter“ bietet die kalte Jahreszeit die Kulisse für ein Lied über eine zerbrochene Freundschaft. „Eine Freundschaft, die mal unzertrennlich schien“, beschreibt Tobias Hundt – und singt eindrucksvoll über zwei Menschen, die nicht mehr zu einander finden, obwohl beide darunter leiden. Ein sehr persönlicher Song, doch LUPID arrangieren ihn so, dass er für alle zu verstehen und zu erleben ist. Spätestens, wenn Tobias Hundt immer wieder „… und der Schnee fällt“ singt, fügen sich Melancholie und Nostalgie zu einem seltsam beglückenden Gefühl, das man kennt, wenn nach einem perfekten Film der Abspann läuft oder sich beim Blick in die Schneekugel dort das ganze Universum wiederfindet.
„Winter“ bringt das besondere Talent von LUPID auf den Punkt. Der Sound der Band besteht aus vielen Stimmungen. Es gibt Nostalgie und Aufbrüche, Trotz und Melancholie, offene und geschlossene Augen, Herbstlaub und Sonnenschein, Intimität und Gemeinschaft, Einsam- und Zweisamkeit. Der Band gelingt ist, auf wundervoll elegante Art diese Elemente zu einer Einheit zu formen. Eine überragende Leistung für ein Albumdebüt, über das im kommenden Jahr zu reden sein wird.