Bei dem ganzen Trubel um ihre Person und ihr Privatleben kann man allzu leicht vergessen, dass Lisa Marie Presley in erster Linie eine begnadete Musikerin aus den Südstaaten ist, eine Sängerin und Songschreiberin, deren früheste Kindheitserinnerungen unter anderem beinhalten, wie sie geradezu wie besessen eine 7“-Single nach der anderen aufgelegt hat in ihrem Kinderzimmer in Graceland – und dann mit drei Jahren von ihrem Papa dabei erwischt wurde, wie sie mit einer Haarbürste als Mikrofon vor dem Spiegel stand und einen auf Sängerin machte.
Zu genau diesen Wurzeln kehrt die in Memphis geborene Presley auf ihrem neuen Album Storm and Grace zurück – ein sich zwischen klassischen Americana-Eckpfeilern bewegendes Werk, das ihr unvergleichliches Gespür als Songschreiberin, wie auch ihre einzigartige Altstimme besser denn je zur Geltung bringt. Elegant und bewusst schlicht und minimalistisch vom 12-fachen Grammy-Gewinner T-Bone Burnett produziert und in Szene gesetzt, klingt Storm and Grace ganz anders als die Vorgängeralben To Whom It May Concern (2003, Goldstatus in den USA) und Now What (2005), die beide auf Anhieb in die Top−10 der Billboard-Top−200 eingestiegen sind. „Ich liebe diese alten Songs immer noch, aber ich glaube, ich habe mich damals doch noch ein wenig versteckt hinter den ganzen Tonspuren – es war mir einfach noch nicht ganz geheuer, mich ganz zu zeigen“, meint Presley rückblickend. „Natürlich ist es viel einfacher, sich hinter dem ganzen anderen Lärm zu verstecken, damit man bloß nicht auffällt. Das neue Album hingegen ist viel minimalistischer angelegt, alles ist ganz klar zu erkennen und gewissermaßen hüllenlos, sowohl die Musik als auch die Texte.“
Der zeitlose, warme Sound des Albums wäscht schon mit dem Eröffnungsstück über einen hinweg – es heißt auch noch „Over Me“ –, wenn die Gitarrenspur nachhallt, der Bass und der Backbeat einsetzen, während Presley im Songtext über einen Verflossenen klagt, der sich irgendwann für eine andere entschieden hat. Dagegen klingen die verhängnisvoll anmutende erste Single „You Ain’t Seen Nothin’ Yet“ und das von der Pedal-Steel-Gitarre und der Mandoline dominierte Titelstück so, als wären sie beide eher in einer spontanen Session auf der Veranda hinterm Haus entstanden.
Eine Sache bescherten die Vorgängeralben der Sängerin gleichwohl: Presley konnte sich darauf austoben, ihre rebellische Seite ausleben und jene Gefühle artikulieren, die sich angestaut hatten, als sie 2003 ihre Karriere als Singer/Songwriterin begann. „Damals war ich wütend auf alles, was da potenziell auf mich zukam – die ganzen Erwartungen zum Beispiel –, und ich habe mich gewissermaßen aufgeplustert, als Schutzmechanismus“, sagt sie heute. „Und dann war da ja noch dieses Team, mit dem ich da gearbeitet habe, und diese Leute wollten aus mir doch tatsächlich einen richtigen Popstar machen; ich sollte die ganze Zeit irgendwelche verrückten Sachen machen, auf die ich wirklich so gar keine Lust hatte.“
Nach der erfolgreichen Tour zum Now What-Album verabschiedete sich Presley erst einmal von der Musikwelt: Sie zog gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Töchtern, Zwillingen, weit raus aufs Land in England – und ließ somit all das hinter sich, was ihr die Sache mürbe gemacht hatte. „Ja, das ganze Gift aus meinem Umfeld bin ich auf diese Weise losgeworden, nur hab ich in dem Prozess auch viel von meiner Leidenschaft für die Musik und überhaupt viel Energie eingebüßt. All diese Erfahrungen hatten mich ausgesaugt und es war keine kreative Energie mehr da.“
Da sie die Musik aber nie ganz an den Haken hängen wollte – und auch ihr neuer Manager Simon Fuller viel Zeit damit verbrachte, sie vorsichtig zu überreden und wieder an die Sache heranzuführen –, war Lisa Marie Presley im Sommer 2009 schließlich wieder dazu bereit, sich mit anderen Songschreibern zu treffen und neue Ideen auszutauschen. Diese anderen Songschreiber waren unter anderem drei Briten: Sacha Skarbek (der z.B. schon mit Adele und Jason Mraz gearbeitet hatte) sowie die Singer/Songwriter Ed Harcourt und Richard Hawley, der einst Mitglied von Pulp war. „Großartig daran war, dass es zunächst einmal keine Agenda oder feste Ziele gab“, berichtet sie. „Es ging also nicht darum, einen Hit zu schreiben oder den Geschmack von irgendeinem Publikum zu treffen. Stattdessen habe ich einfach nur den kreativen Prozess genossen, zusammen mit großartigen Leuten, die Musik wirklich über alles lieben.“
Der erste Song, der in diesen Sessions konkrete Form annahm, war die einfühlsame Ballade „Weary“, die Presley gemeinsam mit Hawley komponierte. „Das war gewissermaßen der Startschuss für alles, was danach kam“, meint sie, „denn dieses Stück hat die klangliche Richtung für das gesamte Album vorgegeben.“ In den acht Monaten danach schrieb sie insgesamt 28 neue Stücke – unter anderem „Storm and Grace“ und „How Do You Fly This Plane?“ mit Hawley, „Un-Break“ und „Close To The Edge“ mit Skarbek sowie „Soften The Blows“ und „Over Me“ gemeinsam mit Harcourt.
Nimmt man diese Stücke zusammen, entsteht daraus Storm and Grace, ein durch und durch aufrichtiges und ehrliches Werk einer Songwriterin, der es, wenngleich eher bekannt für ihre härtere, direkte Art, dieses Mal gelungen ist, einen sehr viel zärtlicheren, fast schon tröstlich klingenden Unterton einzuweben, der sich durch die gesamte LP zieht. Selbst wenn „Weary“ nun also von jener Beziehung handelt, die in die Brüche gehen musste, transportiert Presley auch diese Emotionen mit außergewöhnlicher Gefühlswärme und findet sogar extrem versöhnliche Worte für die Situation: „I will always love you/you can move on, dear.“
Dieses zentrale Thema der Versöhnung geht zurück auf Presleys innigen Wunsch nach einem Neuanfang und einem Leben, das ohne Trubel und Turbulenzen auskommt; so hatte sie zuvor in einer großen Phase von Umwälzungen vieles aus ihrem Leben ausgeklammert, was nicht mehr zu ihr passte. „Es gab da ein paar Jahre, in denen alles um mich herum in die Brüche gegangen war“, erzählt sie. „Das ganze Fundament meines bisherigen Lebens hatte sich in Luft aufgelöst, und so blieb mir keine andere Option, als mich zu häuten und alles zu verändern. Ich fühlte mich schon sehr angreifbar und verletzlich danach, und auf diesem Gefühl basiert letztlich auch die Stimmung des Albums. Das bin einfach nur ich selbst in diesen Songs; sie sind entstanden zu einem Zeitpunkt, an dem ich mich selbst wieder finde, ohne Gehabe oder Posen und frei von dieser Wut.“
Der von diesen ersten Demos vollkommen faszinierte Fuller ließ die Aufnahmen dem Produzenten T-Bone Burnett zukommen, der bekannt ist für seine Arbeit mit großen Künstlern wie zum Beispiel Allison Krauss und Robert Plant, B.B. King, Willie Nelson oder Elton John und Leon Russell, um nur einige zu nennen. „Dann klingelte das Telefon und mir wurde mitgeteilt, dass T-Bone die Songs richtig gut gefielen und er sich mit mir treffen wolle“, erinnert sie sich. „Und als wir uns dann trafen, sagte er nur: ‘Ich will hier nicht lange um den heißen Brei herumreden: Ich finde deine Platte ganz groß, und ich würde sie gerne produzieren.’“
„Als die Songs von Lisa Marie bei mir auf dem Tisch landeten, war ich schon ganz schön neugierig“, gesteht die Produzentenlegende über den Beginn der Zusammenarbeit. „Ich wollte einfach wissen, was die Tochter eines Amerikaners, der die Musikwelt revolutioniert hat, mit ihrer eigenen Musik zu sagen hat. Was ich daraufhin als Antwort bekam, hörte sich extrem ehrlich, direkt und ungekünstelt an und hatte sehr viel Soul. Ich dachte mir, ihr Vater wäre stolz gewesen auf seine Tochter. Und je öfter ich mir diese Stücke anhörte, desto mehr Tiefgang entdeckte ich darin. Wenn man also das ganze Gerausche aus den Medien mal ausklammert, ist Lisa Marie Presley vor allem eines: eine erstklassige Folk-Musikerin aus den Südstaaten.“
„Es fühlt sich natürlich extrem gut an, wenn einer wie er das sagt, weil ich mir bei ihm sicher sein kann, dass er es auch so meint“, so Presley. „Seine Unterstützung und sein Enthusiasmus haben mir sehr dabei geholfen, wieder das nötige Vertrauen in die Sache zu finden. Dass er überhaupt zugesagt und seine ganzen Musiker mitgebracht hat [unter anderem Schlagzeuger Jay Bellerose, Bassist Dennis Crouch, die Gitarristen Jackson Smith und Michael Lockwood sowie die Keyboarder Keefus Green und Patrick Warren], allein das hat in mir schon ganz neue Energien freigesetzt. Sie alle waren so wahnsinnig gut.“
Weiterhin berichtet Presley sichtlich erfreut von ihrem neuen Label, Universal Republic, wo Storm and Grace am 22. Juni erscheinen wird. „Ich habe jetzt ein neues Team – und keines der Probleme mehr, die mir früher zu schaffen gemacht haben“, sagt sie und fügt hinzu, dass sie zwar durchaus etwas aufgeregt ist, was die Reaktionen auf Storm and Grace angeht, sie sich aber in jedem Fall extrem darüber freut, dass die Menschen die neue LP nun endlich zu hören bekommen.
„Ich musste diese Lieder einfach schreiben und aufnehmen, weil ich Musik liebe und davon überzeugt bin, dass die Welt immer neue Lieder gebrauchen kann. Sein ganzes Herz in eine Sache stecken, in sich gehen und etwas kreieren, und dann hoffen, dass es auf irgendeine Weise andere Menschen berühren und ihr Leben verändern kann – das ist mein Antrieb, der Grund, warum ich das hier mache. Ich freue mich schon auf die Konzerte und den direkten Kontakt mit den Menschen, die einfach nur diese Lieder hören wollen – und nichts weiter. Diese Art von Kontakt, die unmittelbare Reaktion der Fans, ist und bleibt das Größte überhaupt.“