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Keller Quartett

Lange Linien – Elegische Klänge des Keller Quartetts

Keller Quartett
© Andrea Felvégi / ECM Records
25.03.2015
Streichquartette sind die Königsgattung der Kammermusik. Sie erfordern von den ausführenden Streichern nicht nur außergewöhnliche Fähigkeiten auf ihrem Instrument, sondern auch Feingefühl für die Mitmusizierenden. Wer in solchen Konstellationen bestehen will, muss ein Teamplayer sein. Es reicht nicht, sein eigenes Instrument perfekt zu beherrschen, wenn man nicht versteht, was die anderen machen.

Günstiger Augenblick

Wenn vier Musiker zusammenfinden, die über diese seltenen Gaben verfügen, dann stellt dies ein Glücksfall dar. Die Geschichte hält günstige Augenblicke bereit, die solche Verbindungen erlauben, und im Jahre 1987 war es mal wieder soweit. Die Sterne für ein Streichquartett standen gut an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest, und mit András Keller ergriff ein junger Geiger die Initiative, der zu den eigenwilligsten Streicherpersönlichkeiten seiner Generation zählte. Obwohl erst 27 Jahre alt, verfügte der junge Ungar schon über einen ungewöhnlich reifen, scharfkonturierten Ton, und der Moment für die Gründung eines eigenen Ensembles hätte nicht besser sein können. Mit János Pilz (Geige), Zoltán Gál (Bratsche) und Ottó Kertész (Cello) fand Keller engagierte Mitstreiter, die das Ensemble in den Folgejahren prägen sollten und mithalfen, ihm internationales Ansehen zu verschaffen. Zoltán Gál gehört dem Quartett bis heute an. János Pilz verließ es nach 23 Jahren. Er wurde von der jungen Geigerin Zsófia Környei ersetzt, die frischen Wind in das Ensemble brachte, genau wie Cellistin Judit Szabó, die im Jahre 1998 dazustieß.      

Jahre der Ernte

Das Repertoire bestand von Anfang aus Klassikern der europäischen Tradition (Bach, Haydn, Mozart, Beethoven u.a.) und Meilensteinen der jüngeren Musikgeschichte (Ravel, Debussy, Kurtág, Schnittke u.a.). Aber nicht als wilde Mischung, sondern als kontrollierte Auslese, die das Quartett auf Basis seiner Neigungen behutsam vornahm. Dabei verband das Ensemble durch seinen unverkennbaren, feingemusterten Ton die Werke scheinbar weit auseinanderliegender Komponisten. Es rückte immer wieder unbekannte Verbindungen zwischen Tradition und Moderne ins Licht, und diese seltene Fähigkeit kommt auf seinem neuen Album deutlicher als je zuvor zur Geltung.
Mit “Cantante e tranquillo” fährt das Keller Quartett den Ertrag aus zwei Jahrzehnten ECM-Aufnahmen ein. Das Album bildet so etwas wie die Summe seines Schaffens beim Münchener Label, und wie nicht anders zu erwarten, wurde daraus keine bunte Best Of, die willkürlich musikalische Highlights aneinanderreiht, sondern eine durchdachte Sammlung, die einem ästhetischen Plan folgt. Wer sich das Album als Ganzes anhört, der gerät bald in Trance. Die langsamen, verträumten Bewegungen entführen den Hörer in ferne Welten. Er fühlt sich von Insel zu Insel getragen, und diese Klanginseln, von denen eine schöne als die andere ist, bilden eine Gruppe. Sie sind auf schwer erklärliche Weise miteinander verbunden.  

Elegischer Fluss

Es ging darum, so ECM-Produzent Manfred Eicher im Booklet, bislang noch “unentdeckte Korrespondenzen zwischen Komponisten der Vergangenheit und der Gegenwart zu entdecken”, und dieses Vorhaben, das er zusammen mit András Keller in Angriff nahm, ist glänzend gelungen. Eingerahmt vom erhaben fließenden dritten Satz aus Beethovens letztem Streichquartett in F-Dur, lässt das Keller Quartett mit Johann Sebastian Bach, György Ligeti, György Kurtág, Alfred Schnittke und Alexander Knaifel einen ureigenen Kosmos nachdenklicher Stille und versöhnlicher Wehmut erstehen.
Selbst die Sirenenklänge Ligetis aus dem zweiten Streichquartett des Komponisten fügen sich nahtlos in dieses Stimmungsgewebe ein, und mit dem ersten und letzten Kontrapunkt aus der Kunst der Fuge beweist das Keller Quartett einmal mehr die visionäre Modernität Johann Sebastian Bachs, die wiederum eindrucksvoll mit Kurtágs Ligaturen korrespondiert. Aber auch Schnittkes regentropfenartiges Moderato pastorale aus seinem Klavierquintett, das wie ein kindliches Pochen auf Naivität vor der Drohkulisse dunkler Klangwolken wirkt, passt – hier mit dem feinfühligen Alexei Lubimov am Flügel – gut in das Konzept, und das gilt in besonderem Maße für das elegische “In Air Clear and Unseen” von Alexander Knaifel, das in seiner verletzlichen Offenheit die Stimmungstiefen eines Herbstabends atemberaubend ausleuchtet.
Das Coverfoto von Gordon Jones, ein von Licht- und Schattenfeldern gemusterter Parkweg unter schütter belaubten Bäumen, trägt das Seinige zum Gelingen des Albums bei. Dasselbe gilt für den dichten, die musikalische Größe des Keller Quartetts treffend würdigenden Essay von Wolfgang Sandner. Schließlich leistet auch die übersichtliche Aufführung sämtlicher Alben, die das Ensemble bislang für ECM aufgenommen hat, gute Dienste. Wer künftig noch tiefer in die Kunst des Ensembles eindringen möchte, ist dankbar für eine solche Übersicht. 

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