1999 brachte Kathleen Edwards die in Eigenregie produzierte EP “Building 55” heraus, und mit dieser im Handgepäck ging sie dann auf eine selbst organisierte Tournee kreuz und quer durch Kanada. 2001 zog sich ins ländliche Quebec zurück, um dort in Ruhe die Lieder für ihr Debütalbum “Failer” zu schreiben, das im Jahr 2003 erschien und ihr vom amerikanischen Rolling Stone das Urteil einbrachte, eine der meistversprechenden neuen Künstlerinnen des Jahres zu sein. Auch die New York Times war voll des Lobes über das aufregende Country-Rock-Debütalbum der damals erst 25jährigen Kanadierin. Nach der Veröffentlichung konnte Kathleen mit ihrer Band bereits im Vorprogramm von Legenden wie Bob Dylan und den Rolling Stones auftreten.
Die Entstehungsgeschichte des Albums “Voyageur” lässt man sich am besten von Kathleen Edwards selbst erzählen:
Mir war klar, dass ich das Fundament für diese Aufnahme mit den Songs legen würde. Es war das erste Mal, dass ich der Idee, mit Koautoren zu arbeiten, gegenüber aufgeschlossen war. Was bis dahin ein intensiver privater Vorgang gewesen war, wandelte sich in eine Herausforderung zu sehen, was passieren würde, wenn man sich offen auf eine andere Herangehensweise einlässt.
John Roderick von den Long Winters war einer der Auserwählten, mit denen ich arbeiten wollte. Ich verbrachte im Winter 2009/10 einige Wochen beim ihm in Seattle. Ich setzte mich in seinem Wohnzimmer ans Klavier und spielte ihm die Songs vor, die ich hatte. Wobei ich wusste, dass sie noch unfertig waren und er mir, wenn ich nicht weiterkäme, Vorschläge machen würde. Er half mir dabei, einigen Songs klarere Gestalt zu geben. Manchmal wusste er sogar vor MIR, um was es in ihnen überhaupt ging. Das zeigt, wie aufreizend smart er ist. Er verlangte mir einiges ab. Das Zusammentreffen mit John markierte einen bedeutenden Wendepunkt in meinem Leben. Ich war bereit, mich zu verändern, und er half mir, das wahrzunehmen.
Die folgenden Monate verbrachte meine Band viele Stunden damit, Ideen und Arrangements auszuprobieren. Und im September 2010 begannen wir in Toronto auch schon mit den Aufnahmen. Von den fünf Songs, die wir damals einspielten, haben es nur “Mint” und “Empty Threat” auf das Album geschafft. Es war klar, dass ich bei einigen anderen noch an der Grundstimmung herumfeilen müsste. Aber ich brauchte auch einen Produzenten. Jemanden, der mir dabei helfen würde, diese Tracks zu konstruieren, wenn ich erst einmal die richtige Stimmung für sie gefunden hatte.
Dann betrat Justin Vernon die Szene. Nach einem freundlichen “Hi, nett dich via E-Mail kennenzulernen” entwickelte sich ein Gespräch über Musik (Er: “Ich schreibe eigentlich nicht mit anderen Leuten.” Ich: “Ich tu das eigentlich auch nicht.” Er: “Ich habe zwei Katzen.” Ich: “Ich habe auch zwei Katzen…”) Kurze Zeit später machte ich eine Reise nach Wisconsin, um sein Studio zu besuchen. Mit Justin über das Musikmachen zu sprechen, bestätigte all meine Gefühle, dass bei den Songs irgendetwas fehlte. Er baute ein paar Mikrophone auf und ich spielte ihm frei von der Leber weg “Wapusk” vor. Er spielte dazu etwas auf dem Piano, fügte eine Gesangsstimme hinzu und dann überlegten wir uns, wie der Rest des Songs sich musikalisch entwickeln sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits herauskristallisiert, dass wir dieses Album zusammen produzieren würden.
Er war das Mischpult für Ideen, er bastelte an den Klängen herum, überzog die Songs mit einer neuen Musikalität und sorgte dafür, dass sie sich genau in die Richtungen entwickeln konnten, die sie unbedingt brauchten. Er leitete die anderen Musiker an und zeigte mir den Weg (in erster Linie den zur Snackbar, aber ohne seine Anleitung hätte ich zum Beispiel “Pink Champagne” wohl aufgegeben). Mit seinem kühnen Akkordspiel auf knackigen Gitarren und der sanften Eloquenz seines unverwechselbaren Falsetto-Harmoniegesangs ist er einfach unberechenbar. Die Beziehung zwischen einem Produzenten und einem Künstler hängt zu einem nicht unerheblichen Teil von der Bereitschaft ab, einander zu vertrauen. Aber eben auch davon, sich gegenseitig alles abzuverlangen. Selbst wenn es einem Angst einjagt. Ganz besonders wenn es einem Angst einjagt. Er hat mich an den Punkt geführt, an den ich gelangen musste. Und zwar in einer Art und Weise, dass ich nie das Gefühl hatte, meinen eigenen Sound oder meine musikalische Persönlichkeit zu verleugnen. Ich verdanke ihm, dass ich einen mächtigen Satz in die richtige Richtung machen konnte.
Songs wie “House Full Of Empty Rooms” und “For The Record” entstanden in einem Rutsch, aber andere bekam ich lange Zeit nicht gebändigt. “Chameleon”, “Going To Hell”, “Change The Sheets” waren Lieder, die ich mehrfach neu aufnahm. Ich kehrte mit ihnen immer wieder an den Zeichentisch zurück, weil ich für sie noch nicht die richtige Struktur, das richtige Gefühl, den richtigen Schlüssel gefunden hatte.... es war schlauchend und frustrierend, weil ich seit Monaten wusste, dass meine Ideen im Keim gut waren, aber ich brachte sie einfach nicht vernünftig zum Abschluss. Mein Drummer Lyle Molzan hat sich ein goldbeschichtetes Schlagzeugset verdient, weil er die ganze Zeit hundertprozentig bei der Sache war und uns ans Ziel führte. Jim Bryson rettete “Sidecar”, in dem er das Stück in den Synth-Pop-Gute-Laune-Song verwandelte, den ich verzweifelt gebraucht hatte. “Going To Hell” wäre um ein Haar auf dem Schlachtblock gelandet und ist gegenwärtig mein Lieblingsstück von diesem Album.
Letztendlich schrieb natürlich ich die Songs. Aber ich hatte dabei eine Menge Hilfe. Und ohne Justin am Ruder, ohne meine Band und die anderen Musiker, die mir über die Fehlstarts hinweghalfen und Teile der Songs überarbeiteten, hätte ich die Stücke nie richtig hinbekommen.