Es kommt nur alle Jubeljahre vor, dass eine neue Sängerin auftaucht, die es schafft sich eine Vielzahl musikalischer Einflüsse einzuverleiben und dennoch bemerkenswert frisch und von der Vergangenheit unbelastet zu klingen. Die aus Nashville stammende 27-jährige Sängerin, Songschreiberin und Pianistin Kandace Springs bezeichnet zwar Stilikonen wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Nina Simone, Roberta Flack und Norah Jones als ihre Vorbilder. Doch auf “Soul Eyes”, ihrem glänzenden Debütalbum für Blue Note Records, ahmt sie keine ihrer Heldinnen nach.
Mit ihrer wohlklingenden Altstimme streift Springs durch ein Terrain, das von Soul über Jazz bis Pop reicht, und kanalisiert dabei die vorgenannten Einflüsse zu ihrem ganz eigenen Sound. “Die Künstlerinnen, die mich am meisten inspiriert haben, sangen alle vollkommen natürlich”, sagt Springs. “Das half mir dabei, zu meinem eigenen Sound zu finden.”
Es ist nicht so, dass Springs diesen eigenen Sound über Nacht entdeckt hätte. Ihre 2014 veröffentlichte und von Pop & Oak (Rihanna, Nicki Minaj, Miguel) produzierte Debüt-EP “Kandace Springs” hatte noch einen deutlich zeitgenössischen R&B/Hip-Hop-Einschlag. Die EP kam unglaublich gut an und verschaffte ihr Fernsehauftritte in David Lettermans “Late Show”, Jimmy Kimmels “Live” und Jimmy Fallons “The Tonight Show” sowie Einladungen zu den Afropunk- und Bonnaroo-Festivals.
Doch als sich Springs daran machte, an ihrem ersten Album zu arbeiten, konnte sie das Gefühl nicht loswerden, dass die Musik der EP – so sehr sie ihr auch gefiel – nicht ihr wahres musikalisches Ich widerspiegelte. Nach Gesprächen mit ihren langjährigen Produzenten Carl Sturken und Evan Rogers ging sie in sich und überdachte ihre musikalische Ausrichtung noch einmal. Am Ende kehrte Springs zu dem offenen, organischen Klang zurück, der ihre frühen Jazzeinflüsse und auch ihren Nashville-Background kanalisierte.
Zur selben Zeit zog Springs die Aufmerksamkeit von Prince auf sich, der ihre Version von Sam Smiths “Stay With Me” auf der Website von Okayplayer gehört hatte. Prince lud Kandace ein, gemeinsam mit ihm zum 30. Jahrestag der Veröffentlichung von “Purple Rain” in Paisley Park aufzutreten. “Er ermunterte mich sehr, bevor ich das Album aufnahm, insbesondere in der Zeit, als ich versuchte zu meinem eigenen Sound zu finden”, erinnert sich Springs dankbar. “Er sagte mir, dass ich einfach tun solle, was meiner Natur entspricht. Er hatte absolut recht.”
Bei den Aufnahmen für “Soul Eyes” arbeitete Springs wieder eng mit ihren eingespielten Songwriting-Partnern Rogers und Sturken zusammen. Zusätzliche Unterstützung erhielt sie von dem Produzenten und mehrfachen Grammy-Gewinner Larry Klein (Lizz Wright, Melody Gardot, Joni Mitchell, Herbie Hancock), der ihr dabei half, ihre individuellen künstlerischen Eigenschaften besser zur Geltung zu bringen. “Larry wollte, dass ich mich im Studio völlig frei fühle”, erzählt Springs. “Ich habe schon an vielen anderen Sessions teilgenommen, bei denen die Produzenten den Sound der Künstler kontrollieren wollten. Larry sagte einfach: ‘Geh rein und spiel, was du fühlst.’ Das führte letztendlich zum besten Ergebnis; er hat das für diese Platte perfekt eingefangen.”
Klein wiederum schwärmt von Springs’ “natürlichem Talent”. “In diesen Zeiten, in denen Blenderei und der Hunger nach Ruhm oft mit Talent gleichgesetzt werden, ist sie eine der wenigen Personen, die singt und spielt, weil sie das Gefühl hat, dass dies ihre Berufung ist”, sagt Klein. “Als ich Kandace das erste Mal hörte, war ich schon nach einem Song begeistert. Ihre rauchige Stimme gepaart mit einem Sinn für Phrasierung, den viele in ihrem Alter einfach nicht besitzen, und die kantige Art, wie sich selbst am Klavier begleitet, nahmen mich sofort für sie ein.”
Bei den Aufnahmen der elf Songs von “Soul Eyes” wurde Kandace Springs von einem illustren Kreis exzellenter Musiker unterstützt: darunter Trompeter Terence Blanchard, die Gitarristen Dean Parks und Jesse Harris, Schlagzeuger Vinnie Colaiuta, Organist Pete Kuzma, Bassist Dan Lutz und Perkussionist Pete Korpela. Das Repertoire enthält neben Eigenkompositionen von Kandace auch Songs von Jesse Harris (“Talk To Me” und “Neither Old Nor Young”), Shelby Lynne (“Thought It Would Be Easier” und “Leavin’”) und der britischen Sängerin Judie Tzuke (“Place To Hide”), den Funk-Klassiker “The World Is A Ghetto” von der Band War und natürlich den von dem Jazzpianisten Mal Waldron stammenden Standard “Soul Eyes”, der diesem Album auch seinen Titel gab.
“Das Album ist genau so wie es sein sollte”, sagt Springs selbstbewusst. Einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Inspiration verdankt Kandace ihrem Vater Scat Springs, der in Nashville ein hochrespektierter Session-Sänger ist. Durch ihn wuchs sie mit Musik auf, und er ermunterte sie, als sie zehn Jahre alt war, auch dazu Klavierstunden zu nehmen. Doch so richtig fand sie erst ein paar Jahre später zur Musik, als ein Freund ihres Vaters ihr Norah Jones’ Blue-Note-Debütalbum “Come Away With Me” schenkte. “Das letzte Stück des Albums ist ‘The Nearness Of You’. Und dieser Song inspirierte mich erst so richtig, Klavier spielen und singen zu lernen. Ihre Version war so seelenvoll, simpel und schnörkellos. Das berührte mich damals sehr. In diesem Augenblick wurde mir bewusst: ‘Das ist es, was ich machen möchte.’”
Für ein Musiksommerlager in Nashville fertigte Springs später ein eigenes Arrangement dieser Hoagy-Carmichael-Nummer. Das brachte ihr in der heimischen Szene erste Aufmerksamkeit ein. Ein frühes Demo-Tape gelangte über irgendwelche Kanäle in die Hände von Evan Rogers und Carl Sturken. Die beiden haben schon Hits für Shakira, Christina Aguilera und Kelly Clarkson geschrieben, sind aber vor allem als Entdecker von Rihanna bekannt. Rogers war so angetan, dass er gleich nach Nashville flog und Springs einen Vertrag von seiner Produktionsfirma SRP anbot. Da Kandace aber erst 17 Jahre alt war, beschloss sie mit ihren Eltern das Angebot auszuschlagen. Ein paar Jahre später ging sie dann New York, um sich nun so richtig aufs Komponieren zu stürzen. Eines ihrer dort aufgenommenen neuen Demo-Tapes landete auf dem Schreibtisch von Blue-Note-Präsident Don Was, der sie daraufhin zu einem Vorspiel im Capitol Records Tower in Los Angeles einlud. Mit einer atemberaubenden Performance von Bonnie Raitts “I Can’t Make You Love Me” (das Original hatte Don Was selbst produziert) eroberte sie den Produzenten im Sturm. “Dieses Lied ist so gefühlvoll”, meint Kandace. “Als ich es das erste Mal hörte, rührte es mich zu Tränen. Ein paar Jahre später schrieb ich ein eigenes Arrangement, das ich Don Was dann vorspielte.”
Mit ihrem wunderbaren Debütalbum “Soul Eyes” hat Kandace Springs auch mühelos das internationale Publikum erobert. Ihre Ansprüche formuliert sie selbst bescheidener: “Ich würde gerne als eine der jüngeren Künstlerinnen bekannt werden, die Jazz und Soul am Leben erhalten”, meint sie. “Denn ich liebe die Echtheit von Jazz und Soul.” Ihr neues ALbum folgt diesen Herbst – es dürfen also alle gespannt sein.
Stand: März 2020