Seit sie im Jahr 2010 ihre gleichnamige Debüt-EP vorgelegt hat, ist K.Flay nicht zuletzt für ihre eindringlichen, extrem aufrichtigen Texte bekannt, in denen Abgründiges genauso seinen Platz hat wie Anflüge von Hoffnung. Für ihr kommendes zweites Album “Every Where Is Some Where” setzt die inzwischen in L.A. lebende Künstlerin, deren Sound zwischen Alt-Pop und Hip-Hop oszilliert, nicht nur auf noch mehr Introspektion und persönliche Einblicke, sondern sie scheut erstmals auch vor politischen Themen nicht zurück. Insgesamt präsentiert sie eine extrem vielschichtige LP, die das emotionale Durcheinander und die Ängste unserer Zeit auf ganz persönliche Art umkreist und beleuchtet.
Verglichen mit der zuletzt veröffentlichten EP “Crush Me” – deren Lead-Single “Blood In The Cut” im letzten Jahr die Top−5 der US-Modern-Rock-Airplaycharts aufgemischt hatte –, klingt “Every Where Is Some Where” nicht nur noch trotziger, sondern auch bewusst grobkörniger, dabei extrem verdichtet und gewissermaßen ungeschminkt. “Nach ‘Life As A Dog’ habe ich ehrlich gesagt extrem viel Rockmusik gehört, vor allem Sachen aus den späten Neunzigern und den beginnenden Nullerjahren”, so K.Flay, die sich damit auf die klanglichen Entwicklungen seit dem Erscheinen ihres offiziellen Debütalbums im Jahr 2014 bezieht. “Ich habe mich von der Energie von Leuten wie Karen O, Shirley Manson oder auch Emily Haines sehr stark inspirieren lassen – und deshalb spielen auch Live-Gitarren, Bass-Parts und Schlagzeug-Aufnahmen so eine zentrale Rolle auf diesem neuen Album.” Unterstützt von ihren beiden Produzenten Mike Elizondo (Twenty One Pilots, Fiona Apple, Regina Spektor, Skylar Grey) und Tommy English (BØRNS, Andrew McMahon in the Wilderness, Ladyhawke), habe sie letztlich vor allem jene Energie einzufangen versucht, die ihre Live-Shows zuletzt so einzigartig (und erfolgreich) gemacht hatten – sie war u.a. mit Künstlern wie Passion Pit, Icona Pop, Awolnation und Theophilus London unterwegs.
Die Songtexte von “Every Where Is Some Where” haben dabei durchaus literarische Qualitäten – was vielleicht nicht so sehr verwundert, wenn man bedenkt, dass K.Flay u.a. auch die Autorin Marilynne Robinson zu ihren Inspirationsquellen zählt. Bereits der Albumtitel soll den Zuhörern in Erinnerung rufen, “wie biegsam Bedeutungen und Interpretationen doch sein können”, wie sie sagt, “und wie unser ganzes Leben auf unseren eigenen Narrationen basiert. Für mich als Songwriterin ist das natürlich das zentrale Anliegen: Ich betrachte, was in meinem Leben so alles passiert und versuche dann immer und immer wieder, diese Geschehnisse in Worte zu fassen”, so K.Flay. “Erfahrung ist etwas Subjektives: Wir selbst können schließlich entscheiden, was wir als verheerend empfinden – und was als schön. Und welchen Schritt wir als nächsten machen wollen. In den Büchern unserer eigenen Leben sind wir immer alles zugleich: Protagonisten und Erzähler in Personalunion. Und gerade die Erzähler haben unglaublich viel Macht.”
Mit der ersten Single “High Enough” legt die 31-Jährige einen der zuversichtlichsten und positivsten Songs aus ihrem kommenden Album vor: Ihr lässiger Flow verbindet sich mit der Singsang-Melodie, mit Beats und Gitarren zu einer regelrechten Hymne über das Klaren-Kopf-Bewahren. “Es gibt ja schließlich schon so viele Songs, die davon handeln, dass sich jemand wegschießt”, sagt die Amerikanerin, die mit vollem Namen Kristine Flaherty heißt. “Und ich glaube, dass ein Teil von mir sich einfach gefragt hat: ‘Was wäre, wenn ich vielleicht schon high genug bin? Wenn ich vielleicht gar nicht mehr brauche als das, was ich so schon habe?’ In meinem Leben gibt es immer wieder diese Momente – das kann an einer Person liegen oder an einem Ort –, in denen ich auf gar keinen Fall einen anderen Bewusstseinszustand haben, irgendwie auf Drogen oder high oder stoned oder breit sein will. Ich will dann einfach nur genau das fühlen, was ich in dem Moment gerade fühle.”
Am anderen Ende der extrem groß angelegten Palette von Stimmungen, die K.Flay im Verlauf von “Every Where Is Some Where” präsentiert, befindet sich hingegen ein Track wie “Mean It”, dessen Gedanken über die Liebe, die eigene Familie und die Vorfahren eine absolut verletzliche Seite aufzeigen. Indem sie weise Worte einstreut (z.B. “Remember what you love/So that when the world gets painful/You become your own god”), habe sich gerade das Schreiben dieses Stücks als besonders reinigend und kathartisch entpuppt. “Ja, ‘Mean It’ habe ich in Los Angeles in meinem Schlafzimmer geschrieben, und zwar mitten in der Nacht… der komplette Song sprudelte wie von selbst aus mir heraus”, erinnert sie sich. “Und ehrlich gesagt habe ich dabei sogar geweint, was mir sonst eigentlich nicht passiert.” Ein Stück wie “It’s Just A Lot” hingegen entstand, während Flaherty “darüber nachdachte, wie die Welt doch zugleich so groß und wunderschön, aber dabei auch so traurig ist” – weshalb der Uptempo-Track einen grandios süßlich-melancholischen Beigeschmack hat.
Das Wohlüberlegte in ihrer Stimme und auch die pulsierende Bassline von “The President Has A Sex Tape” bilden den perfekten Kontrast zu den bissigen Worten, mit denen sie sich hier über das politische Zeitgeschehen äußert: “Nichts ist mehr heilig in der heutigen Welt: Der höchste von uns gewählte Amtsträger ist ein Reality-TV-Star, der vollkommen inkompetent ist und seine ganze Boshaftigkeit in aller Öffentlichkeit zur Schau stellt”, so Flaherty. “Was den Song angeht, war das zuerst eine Art Klagelied, nur dann wurde daraus nach und nach eine Art musikalischer Schlachtruf. Ich hoffe, dass der Track als schräge kleine Hymne für all diejenigen fungieren kann, die sich desillusioniert oder entfremdet fühlen.” Noch mehr Hymnenpotenzial hat der Song “Black Wave”, ein wilder Track, der auf dem Gefühl basiert, das viele Menschen gleich nach der Präsidentschaftswahl hatten: “Wie an einem Strand saßen wir alle zusammen und schauten raus auf diese grausame schwarze Welle, die da in der Ferne anrollte – und wir wussten, dass sie uns komplett verschlucken würde.” Über einem Teppich aus wilden Beats, lautet die Botschaft des Titels jedoch, sich dieser “bedrohlichen Sache zu stellen – und sich dafür zu entscheiden, nicht den Kopf einzuziehen, sondern sich dagegen zu wehren und aufzustehen”, wie sie weiterhin sagt.
Man kann durchaus sagen, dass die ganze bisherige Entwicklung von K.Flay auf einer Art Trotzhaltung basiert. Aufgewachsen in Illinois, sei “sie ja überhaupt nur ganz zufällig bei der Musik gelandet”, und zwar mit 19 – und das, obwohl ihr Vater ihr schon zehn Jahre davor beigebracht hatte, wie man Gitarre spielt. “Es gab da einen Streit, und schließlich wurde ich dazu herausgefordert, einen Song zu schreiben… und erst dadurch bin ich genau genommen bei der Musik gelandet”, berichtet Flaherty, die an der Stanford University studiert hat. “Wenig später habe ich dann mit dem Produzieren angefangen und bin auf kleineren Privatpartys auf dem Campus aufgetreten, was ein wirklich guter Ausgleich zu den studentischen Inhalten war. Ich fand’s großartig, dass die Musik wie ein Fenster zur Welt funktioniert, und dass in dieser Welt auch Unvorhersehbarkeiten und Chaos eine so wichtige Rolle spielen. Insofern war sie schon ein krasser Gegenpol zu meinem extrem durchstrukturieren Alltag als Studentin.”
Nach ihrem Uniabschluss zog K.Flay zunächst nach San Francisco, wo sie 2011 schließlich ihr gefeiertes Mixtape “I Stopped Caring in ’96” veröffentlichen und wenig später bereits einen ersten Vertrag mit einem Major-Label unterzeichnen sollte. Nachdem sie 2013 die EP “What If It Is” vom Stapel gelassen hatte, auf der sie sogar einen gemeinsam mit Danny Brown aufgenommenen Track präsentierte, gründete sie ihr eigenes Label, wo sie mit “Life As A Dog” (2014) ihr erstes Album veröffentlichte. Vergangenes Jahr dann war sie die erste Künstlerin, die bei Night Street/Interscope Records unterzeichnet hat, dem neuen Label von Imagine-Dragons-Frontmann Dan Reynolds, wo sie im August mit “Crush Me” erstmals neues Material veröffentlichte. “Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass ich in das alles, was in den letzten Jahren passiert ist, mehr oder weniger bloß reingestolpert bin”, meint sie rückblickend, “als ob ich so nach und nach diese Richtung eingeschlagen hätte, und jetzt daraus mein Job geworden ist – was ziemlich der Hammer ist, wie ich finde.”
Auf ihrem zweiten Album “Every Where Is Some Where” präsentiert K.Flay Kompositionen mit noch mehr Tiefgang, die noch offener und ungeschminkter sind, was sie u.a. auch perfekt mit jenem Bewusstseinsstrom-Storytelling illustriert, das den Song “Champagne” auszeichnet. “Details sind für mich das Wichtigste”, so ihr Kommentar über die Vielschichtigkeit des Tracks. “Es gibt schließlich nur eine begrenzte Anzahl von menschlichen Emotionen, aber dazu gibt es unendlich viele Arten, wie man diese Gefühle beschreiben oder transportieren kann.” Und während sie auf der Suche nach diesen verschiedenen Ausdrucksarten war, gelangte Flaherty schließlich zu der Einsicht, dass “man sehr wohl begreifen kann, wie klein man doch ist auf der Welt, und man andererseits aber genau diese Einzigartigkeit, das eigene Wesen und den Ort, an dem man gerade steht, zelebrieren kann”. Diese Einsicht bildet letztlich den Kern ihres neuen Albums – was der LP etwas Positives und Zuversichtliches verleiht. “Jeder Song des Albums handelt davon, eine Sache umzudeuten, die eigene Sichtweise darauf zu ändern”, wie sie abschließend sagt. “Selbst die düstersten Ecken sind immer noch Ecken. Man ist also nicht im Nichts, sondern schon noch irgendwo.”