Die Sopranistin Joan Sutherland wurde am 7. November 1926 in Point Piper bei Sydney geboren. Als junges Mädchen war sie sich gar nicht sicher, ob sie eines Tages die großen Bühnen der klassischen Welt begeistern könnte. Sie lernte Steno und Schreibmaschine, tippte während ihres Studiums unzählige Wetterberichte und hoffte auf die richtige Gelegenheit, den Absprung zu schaffen. Diese kam nach manchen guten Ansätzen in Gestalt des Dirigenten Richard Bonynge, der ihrer Karriere nicht nur den nötigen Anstoß gab, sondern auch ihr Ehemann wurde. Zunächst jedoch wurde sie unterrichtet und gefördert von John und Aida Dickens in Sydney, die Sutherland soweit brachten, dass sie bereits mit 21 Jahren in ihrer Heimatstadt mit der Titelrolle von Purcells “Dido and Aeneas” auf der Bühne stand. In den Höhen sang sie damals noch etwas scharf, insgesamt uneinheitlich im vokalen Erscheinungsbild. Aber ihre Stimme hatte etwas Besonderes, ein emotionale Ausstrahlung, die die Menschen zu faszinieren verstand. Und so machte sie weiter, gewann den “Mobil Quest 1950”, der es ihr ermöglichte, 1951 ihre Studien in London an der Royal Academy of Music bei Clive Carey fortzusetzen.
Es wundert daher wenig, dass sie, kaum in in der englischen Hauptstadt angekommen, bereits 1952 am Covent Garden als 1.Dame in der “Zauberflöte” zu hören war. Ihr Sopran faszinierte das Publikum und machte sie zur ersten Wahl für eine Starbesetzung. Als 1953 Bellinis “Norma” mit Maria Callas in der Titelrolle inszeniert wurde, bekam Sutherland die Partie der Clothilde. Erfolg setzte ein, sie bewährte sich daraufhin als Aida, Amelia (“Ein Maskenball”, Verdi), Eva (“Die Meistersinger von Nürnberg”, Wagner – “viel zu früh in meiner Entwicklung”, wie sie später meinte) und Agathe (“Der Freischütz”, von Weber). Der Durchbruch jedoch kam im Jahr 1959. Ihr späterer Ehemann Richard Bonynge, damals noch Korrepetitor am Covent Garden, überredete erst sie selbst, dann den Verwaltungschef des Hauses, Sutherland eine Rolle aus dem 19. Jahrhundert singen zu lassen. Im Verborgenen probten die beiden, bis sich die Sängerin ihrer Sache sicher war, und als ihr dann tatsächlich die Titelpartie von Donizettis “Lucia di Lammermoor” angetragen wurde, gelang die Überraschung. Aus der lyrischen Sopranistin war ein strahlender, beeindruckender Koloratursopran geworden, der das Publikum förmlich von den Sitzen riss. Seit der Callas wurde in London nicht mehr so euphorisch applaudiert wie bei Sutherlands “Lucia”.
Von da an ging es noch steiler bergauf als bisher schon. Im selben Jahr gastierte Sutherland in Wien, bald darauf in Genua, Venedig. Anno 1961 konnte sie den Erfolg der “Lucia” an der Scala in Mailand wiederholen, wenig später in New York an der Met. Nicht zuletzt Donizettis melodramatische Figur verhalf ihr dazu, über mehr als dreißig Jahre eine der bedeutendsten Sopranistinnen ihrer Generation zu bleiben, auch wenn die Bandbreite ihres Repertoires stetig zunahm. Am 17. Oktober 1963 sang sie dann erstmals die Titelrolle in Bellinis “Norma”, eine Partie, die sich zu einer ihrer Glanzrollen entwickelt. An ihrer Seite waren übrigens Marilyn Horne als Adalgisa und der junge Luciano Pavarotti als Römer Sever zu hören, zu dessen Karrierestart Sutherland maßgeblich beitrug. Immer mehr wichtige Rollen traten hinzu, die Marie in Donizettis “La Fille du Régiment” (1966), die Rosalinde in Johann Strauss “Die Fledermaus” (1973), ja sogar die Hanna Glavari in “Die lustige Witwe” von Lehár (1976). Sutherland hatte sich zu einer der prägenden Stimmen ihrer Generation entwickelt und so wurde sie 1979 schließlich wegen ihrer umfassenden Verdienste um die Musik von Königin Elizabeth II durch die Verleihung des Titels “Dame” geadelt.
Dame Soan Sutherland blieb bis in die späten achtziger Jahre auf der Bühne aktiv. 1990 spielte sie ihre letzte Bühnenrolle an der Oper von Sydney als Marguertie von Valois in Meyerbeers “Die Hugenotten”, am Ende des Jahres nahm die ihren Abschied von der Bühne mit der Silvestervorstellung der “Fledermaus” an der Londoner Covent Garden Opera, als “Gast” im 2.Akt beim Fest des Prinzen Orlofsky. 1991 wurde sie dann von der britischen Königin zum Mitglied des sehr exklusiven Order of Merit berufen, im Jahr 1998 erklärte der Bürgermeister von New York Rudolph Giuliani den 6. Mai zum “Dame Joan Sutherland Day”. Obwohl sich Joan Sutherland von den Bühne zurückgezogen hatte, blieb sie der Szene als Jurorin von Wettbewerben oder Pädagogin von Meisterkursen erhalten. Die Decca ehrte sie 2004 mit einer 6CD-Box “The Art of Joan Sutherland”, die neben berühmten und grandiosen Arien von Händel über Mozart bis Wagner, Offenbach und Meyerbeer auch eine kleine Weltpremiere mit sechs bislang unveröffentlichten Liedern (Delibes, Gounod, Massenet, Bizet, Fauré) enthielt, die 1969 in Genf gemeinsam mit Richard Bonynge am Klavier entstanden waren.
6/2005