“
Kill Jay-Z”, ertönt es auf dem ersten Beat. Und nicht nur der eröffnende Intro-Vers des neuen
Jay-Z-Albums “4:44” hat es in sich. Der
13. Longplayer eines der größten Rapper der Gegenwart dreht sich um all das, was
Shawn Corey Carter einmal war und heute nicht mehr sein will: Es ist die Abrechnung mit der Männer-Domäne Rap, eine Würdigung des Feminismus, ein klares Nein zu rassistischen Zuständen, die Lossprechung seiner Sünden und eine Liebeserklärung an seine Familie. Der größte Rapper macht sich klein, um auf den Punkt zu bringen, was Hip-Hop auch sein kann. Wir haben
fünf elementare Themen auf “
4:44” für euch zusammengefasst.
Fakt 1: “4:44” kritisiert Chauvinismus und entschuldigt sich für die Missachtung
Jay-Z erlebte die typische Geschichte eines Straßen-Rappers: Geboren im New Yorker Stadtteil Brooklyn, aufgewachsen in armen Verhältnissen, eine alleinerziehende Mutter und die Flucht in die Rap-Musik für das Seelenheil. Er veröffentlicht sein Debüt “Reasonable Doubt” im Jahr 1996, auf dem er seine wohl trainierten Oberarme maskulin in die Höhe streckt. Mit dem Album “4:44” wird dieses Bild elf Jahre später gebrochen: Jay-Z kritisiert heute die blasierte Attitüde von Männern im Musikbusiness und entschuldigt sich im Titelsong “4:44” außerdem selbst für seinen Seitensprung bei Ehefrau Beyoncé. Aber das ist nicht der einzige Punkt, an dem er hart mit sich selbst ins Gericht geht.
“But this ‘fuck everybody’ attitude ain’t natural”, tönt es im Track “4:44” ebenfalls – als hätte Jay-Z die Lyrics seiner früheren Songs wie “
99 Problems” nun reflektiert. “I got 99 problems, but a bitch ain’t one”, rappte er in seiner Single aus dem Jahr 2004. Nun entschuldigt er sich für diese Missachtung von Frauen. In seinem unkonventionellen
“Footnotes”-Musikvideo zum Titelsong bekommt er dabei Unterstützung von Kollegen wie
Kendrick Lamar‚ Chris Rock und
Will Smith – allesamt vor der Linse, um die Rollen von Frauen und Männern im Musikbusiness zu thematisieren.
Fakt 2: “4:44” bestärkt Frauen und erzählt ihre dramatische Geschichten
Damit aber nicht genug, dann Jay-Z gibt den Frauen auf “4:44” Raum – im maskulinen Geschäft des Rap eine eher seltene Hommage an die Weiblichkeit. Zwei Gründe dafür sind seine Töchter Rumi und Blue Ivy; ein weiterer, dass er den Frauen in seinem Leben auf seinem Album Tribut zollen möchte. Im Song “Legacy” greift er die furchtbare Geschichte seiner Tante auf, die von Jay-Zs Onkel misshandelt wurde. Im Track “Smile” ist es Jay-Zs Mutter, die im Mittelpunkt steht. Sie leiht ihm sogar ihre Stimme, indem sie plädiert: “Liebe, wen du liebst”. Dabei geht es Shawn Carter um ein Thema, das im Rap immer noch gemieden und sogar verspottet wird: Homosexuelle Beziehungen, wie seine Mutter sie führte.
Das Album “4:44” unterstreicht die geänderten Ansichten eines Gangster-Rappers, der die Frau nicht weiter als Objekt betrachtet, sondern als starkes Wesen ehrt. Um dies zu unterstreichen, ist Jay-Zs “
Magna Carta Holy Grail”-Nachfolger auch reich mit Samples von einflussreichen Musikerinnen bestückt. Da wäre der Song “
Bam” zu nennen, der den gleichnamigen Klassiker "
Bam Bam" von
Sister Nancy sampelt. Im Track “
Moonlight” hören wir die legendäre
Lauryn Hill von
The Fugees und auch die Beats aus
Nina Simones Klassiker “
Four Women” aus dem Jahr 1966 ertönen im Track “
The Story Of O.J.”.
Fakt 3: “4:44” thematisiert Reue und blickt in die Vergangenheit
Wie ihr bereits seht, thematisiert Jay-Z auf seinem Album “4:44” oft sein eigenes Verhalten – und dabei kommt er selbst nicht immer gut weg: Reue und Sünde finden sich vor allem im Intro-Track “Kill Jay Z” wieder. Es ist der Blick auf seine eigene Vergangenheit: Hier geht es um seine Drogengeschäfte in der Jugend, um Gewalttaten und um Ehrlichkeit und Loyalität gegenüber seinen Mitmenschen. Aber der Blick zurück ist nicht nur schmerzhaft, denn auch der Track “Bam” wird zu einer Zeitreise.
An der Seite von
Damien Marley begibt sich Jay-Z zu den Wurzeln: Dabei spielt nicht nur die musikalische Sozialisation durch Damiens legendärem Vater Bob Marley eine Rolle, sondern auch die Reise durch Genres und Zeiten wie Dancehall und Reggea. Musik, die Jay-Z ebenfalls beeinflusste und prägte. Deswegen ist auch das Musikvideo zum Song kein klassisches, sondern eine Reportage über die intensive Zusammenarbeit des Marley-Carter-Duos.
Fakt 4: “4:44” verurteilt Rassismus und prangert Doppelmoral an
Jay-Zs neues Werk wurde nicht nur wegen fantastischer Beats und hervorragenden Features mit Spannung erwartet: Der Rapper gilt als Macher, als Kämpfer und als einflussreicher Vordenker. Themen die er anpackt, haben Gewicht – und sein Standpunkt findet Gehör. Und so geht es auf dem Album “4:44” selbstverständlich auch um die anhaltende Existenz des Rassismus’. Jay-Z verknüpft die politische Situation in den USA mit Kritik an der Doppelmoral der Gesellschaft. Deshalb trägt der achte Albumtrack auch den Namen des Oscar-prämierten Films “Moonlight”.
Der Song spielt auf das US-amerikanische Filmdrama an, das ausschließlich mit schwarzer Besetzung gedreht wurde. Bei der Oscar-Verleihung 2017 sorgte ein Missverständnis dafür, dass die Macher den verdienten Award nicht direkt erhielten: “Auch wenn wir eigentlich gewinnen, verlieren wir am Ende”, rappt Jay-Z im Track. Zusätzlich greift Jay-Z in seinem Song “The Story Of O.J” die wahre Geschichte von O. J. Simpson auf. Dieser wurde 1995 wegen Mordverdacht öffentlich verfolgt und später auch verurteilt. Der Vorwurf des Rassismus gegenüber der Polizei von Los Angeles wurde schnell zu einem Hauptthema des Prozesses – zu Recht, denn O.J.s Freisprechung folgte ein Jahr später.
Fakt 5: “4:44” huldigt dem Miteinander und der Familie
Zusammengefasst ist es die Wichtigkeit von Nächstenliebe, die Jay-Z auf seinem Longplayer “4:44” unterstreicht. Da wundert es nicht, dass er auch Großmeister und Freund Frank Ocean ins Studio eingeladen hat. Er singt im Song “Caught Their Eyes” auf einem soften Beat für ein achtsames Miteinander. Generell scheint es, als würde Jay-Z mit dem Longplayer vor allem eines wollen: Harmonie - auch mit Ehefrau Beyoncé. Auf die Entschuldigung für den Seitensprung folgt der gemeinsame Track “Family Feud”, in dem Queen B als Featuring-Gast auftritt.
Eine versöhnende und wohlklingende Zusammenarbeit, die eigentlich nur noch von dem auf der CD-Version befindlichen Bonustrack “Blue’s Freestyle / We Family” getoppt werden kann: Hier rappt Jay-Zs und Beyonces fünfjährige Tochter Blue Ivy ganze 45 Sekunden – und das zum ersten Mal. "4:44″ ist ein Album, das weniger vom Soundgerüst brachialer Beats lebt. Es ist eine Sozialkritik in zehn Akten, eine Selbstreflektion und ein maskulines Eingeständnis. Es ist eben Jay-Z – und es ist wieder einmal ein großes Werk von Shawn Corey Carter. Also, lieber Rapper der Gegenwart, anders als dein Eingangs-Vers verlauten lässt, sagen wir: “Stay Jay-Z”.
Jay-Z Album “4:44”