Der Ansager schreit es voller Stolz heraus: “Unsere Jungs haben die Beatles von der Nummer 1 gefegt.” Gemeint war “ABC” von Jackson 5, das gerade “Let It Be” abgelöst hatte von der Spitzenposition der US-Charts. “1, 2, 3, 4, 5…!” Der Schreipegel im Publikum knallt gegen die Decke des Stadions – Jacksonmania!
Und dann legen sie los. Die Erde bebt. Was für eine rattenscharfe, super-tighte Live-Band Jackson 5 1970 schon waren, das hat man vielleicht noch nie so gut zu Gehör bekommen wie auf dem gerade erstmals veröffentlichten 2-CD-Mitschnitt zweier Konzerte von Jackson 5 im beide Male restlos ausverkauften Forum-Stadion von Los Angeles. Im Juli 1970 brachen Michael und seine Brüder dort den Zuschauer-Rekord mit rund 19.000 zahlenden Besuchern. Dass die Teenies in der ersten Reihe damals schon des 12jährigen Leadsängers wegen in Ohnmacht fielen, darf bezweifelt werden, möglicherweise ließ der damals 15jährige Jermaine die Hormone anschwellen – auf dem ersten Forum-Auftritt wohlgemerkt. Jackson 5 hatten drei Nummer−1-Hits auf dem Konto, aber sie standen noch am Anfang ihrer Karriere. Noch 10 Monate davor waren sie als Vorband von Diana Ross & The Supremes im Forum aufgetreten. Nun befanden sie sich auf ihrer ersten US-Tour als Headliner, die eine Hysterie verursachte wie davor nur 1964 die US-Tournee der Beatles. Kreischende Fans, Polizei-Eskorten, abgeriegelte Hotels und Flughäfen. Im Vorprogramm spielten Jerry Butler und Rare Earth. Bestechend: die Aufbruchsstimmung. Ihre (relative) Naivität in den Ansagen. Michael widmet einen Song seinen Großeltern, die in der ersten Reihe sitzen und sagt Diana Ross Hallo, selbstverständlich anwesend, ihre Entdeckerin und Benefaktorin bei Motown.
Mit eigenem Material konnten sie 1970 noch keinen Konzertabend bestreiten, retrospektiv macht es die Glorie des Mitschnitts. Jackson 5 rocken auf Traffics “Feelin´Alright” (am bekanntesten womöglich in der Version Joe Cockers). Sie liefern einen Grateful Dead-würdigen Headbanger-Take von Isaac Hayes´ “Walk On” ab, den sie direkt mit “Don´t Know Why I Love You” verbinden. Sie hängen Sly Stone ab auf “Thank You Falettinme Be Mice Elf”, in das sie ihr eigenes “We Thank You” (gewidmet Diana Ross) weben. Sie gehen auf Augenhöhe mit dem Godfather auf “There Was A Time”, treiben den Funk der Isley Brothers nach vorn auf “It´s Your Thing”. Der Mitschnitt, der zum 40. Jubiläum des ersten Konzerts erscheint, fängt es authentisch ein, perfekt im Sinne eines dynamischen, Bass-lastigen Live-Mixes, in dem man manchmal die Hi-Hat genauso laut hört wie Michaels Stimme (der erste Track des Sets, “Stand”, schaffte es aus technischen Gründen nicht aufs Album). Und beinahe verstörend erwachsen und passioniert geht Michael unter die Haut auf Smokey Robinsons “Who´s Lovin´You”, dem Song, den auf seiner Beerdigung der 12jährige Shaheen Jafargholi gesungen hat. Irgendwann stürmte am 20. Juni 1970 das Publikum, vornehmlich Mädchen, die Bühne, die Brüder ließen alles stehen und liegen und nahmen Reißaus. “Abgesehen von den technischen Problemen am Anfang und dem abrupten Ende hätten sie eindrucksvoller nicht sein können”, schrieb damals Robert Hilburn in der Times: “Sie sind ein musikalisches und darstellerisches Phänomen.”| Als sie 1972 zurück ins Forum kamen, waren Jackson 5 bereits etablierte Superstars. Michael und Jermaine hatten Soloalben veröffentlicht. Jackson 5 hatten diverse TV-Auftritte unterm Gürtel. Jeden Samstag lief ihre Cartoon-Show im Fernsehen. Sie spielten dauernd in großen Hallen. Von Routine jedoch keine Spur. In ihrem (nicht ganz unproblematischen) Perfektionismus (mehr dazu lesen Sie hier) blieb der Sturm und Drang. Klar im Mittelpunkt: Michael, im reifen Alter von 14. Hört man genau hin: am Kämpfen mit dem Stimmbruch, auf dem eingebauten Set aus Solohits, darunter “Got To Be There” und “Ben”. Die Version von Simon & Garfunkels “Bridge Over Troubled Water” von ihrem 1970er-Album “Third” kommt soulful auf die Bühne. Bemerkenswert auch das mühelose Medley “I Want You Back/ABC/Mama´s Pearl”.
Bonustracks auf den CDs sind eine unveröffentlichte Live-Version von “Mama´s Pearl” aus dem TV-Special “Goin Back To Indiana” von 1971 und “I Wanna Be Where You Are” aus dem Soundtrack der TV-Doku “Save The Children”. Hip-O-Select wird seinem guten Ruf erneut gerecht, hat geklotzt, bis ins letzte Detail gedacht, mit charmanten Foto-Karten der J5, die aussehen als wären sie aus einer US-Teenie-Mag-Ausgabe der 1970er. Neben einem tollen 23-seitigen Booklet mit raren Tourfotos und Linernotes vom “Soul Babies”-Autoren und Jackson 5-Fan Mark Anthony Neal. Selbst der detailversessenste Jackson 5-Fan geht hier auf die Knie.