Isolation Berlin | Biografie

Biografie 2024

ISOLATION BERLIN

“Electronic Babies” (Album)

VÖ: 11.10.24

 
 
In dem Park auf der Bank
Sitzt ein seltsamer Mann
Der singt sein Lied in den Wind
Das handelt von Sehnsucht
Und Einsamkeit
 
 
Manchmal wünsch ich mir, Poetinnen und Poeten hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, in Bands zu sein. Wie hätten die Gedanken von Else Lasker-Schüler oder Jakob van Hoddis wohl mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug geklungen?
Leider hatten viele nicht dieses Glück, denn das Konzept Rockband wurde erst in den 1950er Jahren erfunden. Aber Tobias Bamborschke hat dieses Glück. Seine Texte sind seit jeher auffallend poetisch. Gut, dass er in jungen Jahren Max Bauer kennenlernte. Aus dieser Schicksalsbegegnung ging dann schließlich im Jahr 2012 ISOLATION BERLIN hervor.
ISOLATION BERLIN sind Max Bauer (Gitarre/Orgel), David Specht (Bass), Simeon Cöster (Schlagzeug) und eben Tobias Bamborschke (Gesang und Gitarre)- Nach einer EP-Collection und drei Alben ist „ELECTRONIC BABIES“ nun ihr viertes Album. Seit die Selbstinszenierung des Einzelnen zum Ultimum erklärt wurde, sind Bands aus der Mode gekommen.
Zeitgeistige Aspekten steht die Band ISOLATION BERLIN jedoch mit Sicherheit gleichgültig gegenüber. Stattdessen kreieren sie ihr eigenes Genre und nennen es treffend Protopop. Tobias Bamborschkes Gesang ist eindringlich, melancholisch, mitunter nihilistisch. Das Spektrum der Band reicht von Pop über Rock bis zum Chanson. Und es ist gewiss kein Zufall, dass Sven Regener von Element of Crime auf dem neuen Album als Trompeter in Erscheinung tritt. Auch die Shoegazing-Anklänge des Plattencovers kommen nicht von ungefähr.
Aber viel wichtiger sind das Leid, die Wut und der Humor in der Musik von ISOLATION BERLIN. So etwas findet sich heutzutage nur noch selten.
Das Album beginnt direkt mit dem Opus Magnum „ECHT SEIN“. Bamborschke singt: „Mit hoch erhobenem Finger / Und wild entschlossenem Blick / So stand ich wütend da / Doch da wurd mir rechtzeitig klar / Ich bin ja selber so ein Arsch
Der Song endet in einem überbordenden und schwelgerischen Wunsch des Erzählers nach Selbstakzeptanz. Während der Sänger sich selbst umarmt, werden wir von der Musik umarmt. Und wir spüren, dass wir alle gemeint sind, wenn Bamborschke vom „ich“ singt.
Während man beim Song „ VERLIEBT IN DIESES LIED“ zunächst meint, in eine wohlig-nostalgische Stimmung zurückversetzt zu werden („Die Tage waren unendlich sanft / Der liebe Gott hat uns noch alle sehr geliebt / Wir guckten Nickelodeon / Und dann kam was / Und dann kam was auf MTV“). Doch dann spürt man, wie der Abgrund uns zwischen den Zeilen anstarrt. Auch weil Bamborschke die drei Buchstaben MTV auf einzigartige Weise intoniert.
Er ist ohnehin ein Meister seines ganz eigenen Ausdrucks. Zum Beispiel wenn er singt:
Mich quält so sehr das Tageslicht / Denn ich ertrag mich selber nicht / Mir ist so schlecht, ich glaub ich muss krepieren / Die Schuld vergangener Tage / Liegt mir so schwer im Magen
Das sind Zeilen aus dem Song „DER TRINKER“. Mit Hintersinn zitiert der Titel zugleich einen Roman von Hans Fallada und ein Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner.
Es gibt allerdings auch Momente, in denen ISOLATION BERLIN sich voll im Hier und Jetzt befinden und zur lauten Rockband mutieren. „RATTE“ ist der beste Rattensong seit „Wir sind die Ratten“ der Berliner Band Vorkriegsjugend; DRUGS entfaltet in Musik und Text eine gespenstische Anziehungskraft; und im Titelsong „ELECTRONIC BABIES“ singt Bamborschke den Songtitel nicht, sondern spuckt ihn regelrecht aus. Selten wurde die Stumpfheit der Digitalisierung eindringlicher beschrieben. Und selbstverständlich gibt es Nichts un-digitaleres als eine Band.
Menschen finden sich im Proberaum oder Studio zusammen um gemeinsam etwas zu erschaffen. Ich bin so froh, dass es das im Jahr 2024 noch gibt. Aufgenommen, arrangiert und produziert haben Isolation Berlin „Electronic Babies“ in ihrem eigenen Proto-Pop-Studio.
Für zwei der elf Titel hat sich die Band allerdings Moses Schneider als Co-Produzenten hinzugeholt. Das will was heißen, denn bisher haben ISOLATION BERLIN Produzenten strikt abgelehnt und stets alles komplett selbst gemacht. Dass sie dazu in der Lage sind, haben sie längst bewiesen und beweisen sie auch auf diesem Album wieder. Schließlich findet sich auf dem Album das romantischste Berlin-Liebeslied überhaupt
Wir haben uns gestritten und bekriegt / Wir haben uns unsagbar geliebt /
Wir waren traurig und dabei so glücklich / Auf unserem Planeten / Hinterm Vattenfallmond“. Zu diesen Worten spielt die Band ein wunderschönes Chanson.
Ich stelle auf Repeat. Danke ISOLATION BERLIN für Eure Musik!
 
Jan Müller (Tocotronic / Reflektor)
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