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Wunsch und Wirklichkeit

23.04.2004
Unterschiedlicher hätten die beiden Charaktere kaum sein können. Auf der einen Seite stand die Mutter Johanna, eine weltoffene Frau mit Hang zu bürgerlichen Repräsentationsformen, kulturbeflissen und zugleich peinlich darauf bedacht, nicht als “gebildetes Frauenzimmer” zu gelten. Auf der anderen Seite war Arthur, der misantropische Sohn, der die Salons im elterlichen Hause als lästig empfand und sich weit mehr für Wissenschaft und Philosophie interessierte als für die Karriere als Kaufmann, die ihm eigentlich zugedacht war.
Trotzdem gehörten die beiden zusammen, Johanna und Artur Schopenhauer, und Carola Stern schuf der Mutter mit “Alles, was ich in der Welt verlange” ein dokumentarisches Denkmal, dem sich Iris Berben für die Hörbuchfassung angenommen hat.
 
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Johanna Schopenhauer ein wenig liebevoller mit ihrem Sohn umgegangen wäre. Aber ihre Zuneigung äußerte sich bestenfalls in Wohlwollen und ihre Fürsorge war vor allem darum bemüht, dass die Kinder sich standesgemäß verhielten. Und so kam es bereits früh zum Bruch mit dem sensiblen Arthur, der die gesellschaftlichen Konventionen hasste. Für Johanna wiederum waren sie der Mittelpunkt des Interesses, solange sie sich mit ihren eigenen Bedürfnissen nach persönlicher Freiheit verbinden ließen. Auch das hatte seine Gründe. Johanna Henriette Trosiener, wie sie mit ihrem Mädchennamen hieß, stammte aus wohl situiertem Hause. Anno 1766 in Danzig als Tochter eines angesehenen Kaufmanns geboren, genoss sie in Kinder- und Jungendjahren eine für die damalige Zeit ungewöhnlich umfassende Ausbildung. Der Gedanke ihres Vaters dahinter war, dass eine gebildete Frau allemal eine gute Partie war und so wurde die Achtzehnjährige dem fast zwanzig Jahre älteren und vermögenden Heinrich Floris Schopenhauer an die Hand gegeben.
 
Mehr als zwei Jahrzehnte dauerte die Ehe, Johanna versuchte, ihm die bestmögliche Ehefrau zu sein. Aber sie hatte auch ihre eigenen Interessen und der Geist der Zeit unterstützte sie. 1789 erstürmten die erzürnten französischen Bürger die Bastille, frühdemokratische und despotische Herrschaftsformen wechselten sich ab. Napoleon überzog Europa mit Krieg und zugleich hielten die Ideen der Aufklärung in den Köpfen der Gebildeten Einzug. Als der inzwischen schwerhörige und wegen seiner Krankheit verbitterte Ehemann Johannas sich das Leben nahm, war sie beinahe vierzig Jahre alt. Ihre Zeit der Trauer währte kurz, denn nun sah sie die Chance, noch einmal von vorne anzufangen. Durch das Erbe vermögend, konnte sie es sich leisten, in das Zentrum der neuen Geisteshaltung umzuziehen: nach Weimar. Und ein Schicksalsschlag kam ihr zu Hilfe, um sich in der eigentlich hermetischen Gesellschaft des Bildungsstädtchens einzuführen. Kurz nach ihrem Umzug gewannen die französischen Truppen bei Jena den Krieg, das Elend zog über die Lande hinweg und Johanna Schopenhauer begegnete ihm mit Freigiebigkeit, indem sie jedem beistand, der bei ihr um Hilfe bat. So schuf sie sich einen guten Ruf als praktische Humanistin und aus diesem Grund ließen sich bei ihren bald regelmäßig einberufenen Salons auch Berühmtheiten wie Johann Wolfgang Goethe regelmäßig blicken.
 
Tatsächlich schaffte es Johanna Schopenhauer, nicht nur ihre eigene Existenz neu (und ohne Ehemann) aufzubauen, sondern sich im Anschluss daran auch noch als Autorin von Romanen, Reisebüchern und kunstgeschichtlichen Werken beim Publikum zu etablieren. Carola Stern, ihrerseits eine der erfolgreichsten Wissenschaftsautorinnen und Biographinnen ihrer Generation, die sich bereits ausführlich mit anderen großen Frauen wie Dorothea Schlegel (“Ich möchte Flügel mir wünschen”, 1990), Rahel Varnhagen (“Der Text meines Herzens”, 1994) und Helene Weigel (“Männer lieben anders. Helene Weigel und Bertold Brecht”, 2000) auseinandergesetzt hat, spürt dem Leben der Johanna Schopenhauer mit einer virtuos komponierten Mischung aus Briefen, Tagebucheintragungen, Zeitdokumenten und Kommentaren nach. “Alles, was ich in der Welt verlange” ist ein Lebensbild im eigentlichen Sinne, das versucht, sowohl der berühmten Goethe-Zeitlerin, als auch ihrer Umwelt gerecht zu werden. Durch die klare und nüchtern gehaltene Stimme der Schauspieler Iris Berben bekommt die Biographie die passende Form und macht aus der individuellen Geschichte ein Zeitpanoptikum mit direkten Bezügen zur Gegenwart. Denn noch immer leben viele Frauen in dem Widerspruch, gleichzeitig zu gefallen, zu funktionieren und frei sein zu wollen. Da hat sich seit Johanna Schopenhauer wenig geändert.
 
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