In den Anfangssekunden des Videos, das Hey Violet zu ihrem Track „Brand New Moves“ gedreht haben, sieht man die Sängerin Rena Lovelis, wie sie, eingerahmt in einem animierten Fernseher im Cartoon-Style, zum lässigen Beat des Songs singt – und dabei aussieht wie eine New-Wave-Diva aus längst vergangenen Tagen. Doch ist das erst der Auftakt: in den dreieinhalb Minuten, die darauf folgen, explodiert der Stop-Motion-Clip zu einer ultraschrillen Collage aus krassen Farbkombinationen, Blitzen, lippenstiftverschmierten Spiegeln und sich drehenden Discokugeln – was tatsächlich als perfekter Rahmen für den Sound von Hey Violet gelten darf: In ihrem einzigartigen Synthie-Pop-Sound treffen tatsächlich verspielte Retro-Elemente auf Tanzbares, wilde Soundclashs auf persönliche Anekdoten und viel, viel Gefühl.
Eine kurze Vorstellungsrunde: Neben Sängerin Rena zählt noch deren Schwester Nia am Schlagzeug zur Band, Miranda Miller singt und spielt Keyboards, Casey Moreta steuert die Leadgitarre bei und Neuzugang Iain Shipp ist inzwischen reguläres Mitglied und spielt Bass. Auf ihrer zweiten EP, die ebenfalls „Brand New Moves“ heißt, beweist die junge Band aus L.A., wie weit sie sich inzwischen vom eher klassischen Alternative Rock ihrer Teenager-Gründungstage wegbewegt haben: Weniger Rock, dafür mehr elektronische Elemente und vor allem noch mehr ungezügelte Energie lassen sie in die Tracks einfließen, wie auch Rena berichtet: „Ja, als wir damit anfingen, uns auch mit Synthesizern zu befassen, erkannten wir recht schnell, was für unglaubliche Möglichkeiten darin schlummerten – es gab einfach so viele neue Sounds, die wir plötzlich einbeziehen konnten“, so ihr Kommentar. „Als ob sich dadurch die Chemie in unseren Köpfen verändert hätte: Plötzlich konnten wir aufbrechen in diese ganz neue Richtung, und das fühlte sich einfach so unglaublich gut an.“
Für den Nachfolger zu ihrer Debüt-EP „I Can Feel It“, mit der sie schon 2015 massive Erfolge landeten, arbeiteten Hey Violet mit dem Produzenten und Songwriter Julian Bunetta zusammen und präsentieren ein tanzbares Mix aus satten Beats und eingängigen Melodien. Die Arbeit fand in Bunettas Homestudio in Malibu statt, wo sie zum Teil bis in die frühen Morgenstunden an den Tracks feilten und eine Stimmung einfingen, in der Introspektion und Ausgelassenheit gleichermaßen ihren Platz haben. „Die meisten Demos und sogar einige der finalen Versionen haben wir einfach mit einem Handmikro aufgenommen: Ich stand einfach da in diesem Raum und sang mir die Seele aus dem Leib“, erinnert sich Rena.
Kein Wunder also, dass Hey Violet im Verlauf von „Brand New Moves“ ganz unterschiedliche Stimmungen und Emotionen in ihren Songs präsentieren: „Die meisten unserer Songs sind wohl Liebeslieder, aber die Perspektive ist dabei jedes Mal eine andere. Es geht also nicht nur um die schönen Seiten der Liebe und um Liebesglück, sondern auch um die Probleme, das Verlangen, diese ganzen verschiedenen Gefühle halt, die wir alle schon mal durchlebt haben“, so Rena, deren Gesang mal schnoddrig, mal ausgelassen und fröhlich klingt, weshalb es bei Galore (USA) schon hieß, „als ob Courtney Love, Gwen Stefani und Hayley Williams ineinander gekracht wären und eine ganz neue Generation von Rockstar daraus hervorgegangen wäre.“ Mehr noch: Man hat bei Rena stets das Gefühl, dass sie einem ein Geheimnis mitteilt – was ihre Performance nur noch unwiderstehlicher macht.
Der mit Abstand ausgelassenste Track der EP, der Titelsong „Brand New Moves“, verbindet einen massiven Beat und wilde Gitarren, über denen sich ihre süßliche Soul-Stimme ausbreiten kann: „Der Song handelt davon, wie manche Dinge einfach etwas langweilig werden können, wenn man schon sehr lange mit einem anderen Menschen zusammen ist – also nimmt man eine Auszeit, sieht sich nicht so oft, kommt dann wieder zusammen und erkennt: ‘Oh, bei uns passt es ja doch perfekt.’“, erzählt die Sängerin. Im Fall von „Fuqboi“ verschmelzen Hey Violet knallharte Gitarrenriffs mit abgehackten Synthesizer-Sounds – und schicken einen Typen mit jeder neuen Textzeile noch weiter in die Wüste: „And when there’s cute things he’d say/I bet he stole them from Drake/And did I mention he wears his mom’s earrings?“
Das etwas düstere „Pure“ entpuppt sich hingegen als epische Synthie-Hymne, während es inhaltlich darum geht, „mit einem Menschen zusammen zu sein und mit ihm alle erdenklichen ersten Male erleben zu wollen“. Abschließend hält die EP noch zwei alternative Versionen des Titelstücks bereit, mit denen Hey Violet wiederum andere Facetten ihres klanglichen Spektrums aufzeigen: Einerseits geben sie sich ganz minimalistisch, wobei die Akustikgitarre im Zentrum steht, und dann gibt’s noch einen grandios atmosphärischen Remix, bei dem die experimentelleren Vorlieben dieser Band im Vordergrund stehen. Über die brandneue Single „Guys My Age“ sagt Rena schließlich: „Den Text haben wir nachts in Palm Springs geschrieben, nachdem wir ein intensives Gespräch darüber hatten, wie naiv Jungs doch manchmal in Beziehungen sein können – und dass sie oft einfach noch nicht wissen, wie man eine Frau wie eine Königin behandelt.“
Geboren in New York City, aufgewachsen jedoch im sonnigen L.A., sind die Lovelis-Schwestern mit dem Sound von Leuten wie Nine Inch Nails und Marilyn Manson groß geworden und machten bereits selbst Musik, als sie noch nicht mal Teenager waren – was beides auch daran lag, dass ihre Mutter früher selbst mal Rocksängerin war. „Ich weiß noch, wie ich zwischenzeitlich Bauchrednerin werden wollte, und danach Rennfahrerin – aber mit sieben wusste ich dann schon: ‘Ich will Gitarre spielen! Ich will Gitarre spielen!’“, erinnert sich Rena Lovelis. „Meine Eltern waren ehrlich gesagt dagegen, dass wir Musik machen: Sie erzählten uns, wie hart die Industrie ist und dass wir wahrscheinlich etliche Rückschläge erleben würden und viel einstecken müssten… aber letztlich haben sie doch nachgegeben und uns erlaubt, Unterricht zu nehmen.“
Nachdem Nia dann mehrere Jahre lang Schlagzeug und Rena Bass gelernt hatte, machten sich die Schwestern im Netz auf die Suche nach weiteren Mitstreitern und lernten so erst mal Miranda kennen, die aus Florida stammte, gelegentlich Gedichte schrieb und von ihrem Großvater gelernt hatte, wie man Klavier spielt. Noch ein paar Jahre später holte das Trio Casey ins Boot: Sie fragten den Gitarristen, der ebenfalls schon mit 7 Jahren angefangen hatte, auf der Bühne im Viper Room, ob er offizielles Mitglied der Band werden wollte: „Wir hatten gerade die erste Hälfte unseres Sets gespielt und fragten dann Casey: ‘Willst du nun offiziell mitmachen bei unserer Band?’ – und zum Glück hat er sofort ja gesagt“, erinnert sich die Sängerin. „Er war danach dermaßen aufgewühlt, dass er diverse Patzer beim letzten Song hatte und wir uns danach alle über ihn lustig gemacht haben. Aber in dem Moment hat es einfach Klick gemacht und es konnte richtig losgehen mit Hey Violet.“ Inzwischen noch erweitert um den aus L.A. stammenden Bassisten Iain Shipp, ist das Line-up der Band nun tatsächlich komplett…
Schon im Jahr 2015 konnten Hey Violet auf eine massive Fanbase zählen – denn sie hatten in den Jahren davor unzählige Live-Shows in und um Los Angeles gespielt. Im März 2015 unterzeichneten sie dann einen Vertrag mit Hi Or Hey Records, jenem Label, das die australische Band 5 Seconds Of Summer zusammen mit Capitol Records ins Leben gerufen hatte. Kurz nach der Vertragsunterzeichnung ging die Zahl ihrer Fans endgültig durch die Decke, als Hey Violet eine Reihe von spontanen Akustik-Shows in Nordamerika, Europa und UK im Vorprogramm von 5 Seconds Of Summer spielten – damit wussten sie auch schon mal, wie es sich anfühlt, in einem Stadion aufzutreten. Die im Juli 2015 veröffentlichte EP „I Can Feel It“ ging in fünf Ländern auf Platz 1 der iTunes-Charts – und obendrein in die Top−5 in zehn weiteren Ländern.
Nachdem sie kürzlich erst bei den Teen Choice Awards den Preis als „Next Big Thing“ abgeräumt haben, sind Hey Violet aufgrund ihres Nonstop-Tourprogramms inzwischen ein noch eingeschworener Haufen, wie sie selbst sagen: „Die Tourneen sind eh das Beste, das absolute Highlight“, meint Rena. „Wir halten einfach zusammen, sind eine unglaublich enge kleine Tourfamilie geworden.“ Zu den „Familienaktivitäten“, mit denen sie sich die Zeit unterwegs versüßen, gehören ihr aktuelles Lieblingsspiel Werewolf, das Kuratieren von hawaiianisch klingenden Spotify-Playlisten oder auch kleine Spritz- und Erkundungstouren, die sie vorm Soundcheck per Motorroller in der Nähe der jeweiligen Konzerthalle unternehmen – wobei es da natürlich noch eine andere Sache gibt: Sie nehmen sich immer sehr, sehr viel Zeit, um ihre Fans persönlich zu treffen oder sich mit ihnen über die sozialen Netzwerke auszutauschen. „Selbst ein Kommentar auf Instagram, der besagt, dass jemand auf einen unserer Songs steht – so etwas bedeutet wirklich etwas, es macht uns echt glücklich“, unterstreicht die Sängerin.
Indem sie ein ganz spezielles, eigenes Universum für sich und ihre wachsende Fangemeinde geschaffen haben, seien sie selbst gerade in den vergangenen Monaten zu vollkommen neuen Einsichten gelangt: „Wir verstehen uns einfach gegenseitig – und zwar so, wie das früher, als wir jünger waren, noch nicht der Fall war“, so Rena. „Wir wissen um die Stärken des anderen, um die Schwächen des anderen, und wir wissen vor allem auch, wie wir einander helfen können.“ Diese Verbindung und dieser gegenseitige Rückhalt sind denn auch die Faktoren, die ihren Sound auf „Brand New Moves“ noch mutiger, noch vielschichtiger und durchdachter und letztlich auch noch persönlicher machen. „Es ist wirklich kein einziger Song dabei, auf den ich nicht zu 100% stehen würde: Bei jedem einzelnen will ich das Radio in meinem Auto voll aufdrehen und dazu in meinem Sitz tanzen“, strahlt die Sängerin. „Ich denke mal, dass das wohl auch damit zu tun hat, dass wir alle langsam erwachsen werden: Wir sind noch mehr auf einer Wellenlänge, wissen noch genauer, was wir eigentlich wollen, und können deshalb auch endlich sagen: ‘Yes – genau so, so und nicht anders soll sich diese Band anhören.’“