HAFTBEFEHL
Mainpark Baby (Universal URBAN)
Am 2. Dezember erscheint das neue Haftbefehl-Album. Mit „Mainpark Baby“ zerfetzt der Offenbacher Rapper die auf Ignoranz, Ausgrenzung und Rassismus gründende sogenannte Ausländerpolitik der letzten Jahrzehnte mit einem lauten Krachen in der Luft. Haftbefehl weiß: Mainpark ist überall.
Um das Thema mit dem Beinahe-Zusammenbruch von Mannheim gleich mal als Erstes abzuräumen: Haftbefehl ist auf einem guten Weg. Er hat sich zurückgezogen, es ein bisschen ruhiger angehen lassen und er lässt uns in seiner Kunst an diesem Weg teilhaben. Was er zu sagen hat, steckt in seiner Musik, denn Haftbefehl geht es nicht um Außenwirkung, sondern um Wahrhaftigkeit.
Das zeigt nun spätestens sein neues, am 2. Dezember erscheinendes Album „Mainpark Baby“, das bislang homogenste Werk dieser Karriere. „Ich wollte vor allem ein richtig geiles Hip-Hop-Album machen“, sagt Aykut Anhan aka Haftbefehl. „Das weiße und das schwarze Album hatten einen roten Faden, sie gehörten untrennbar zusammen. Das weiße stand für das Licht, den Tag, die Party, das schwarze für die Düsternis und die Abgründe danach. Auf ‚Mainpark Baby‘ wollte ich die Mitte zwischen diesen beiden Extremen ausloten.“
Damals hatte Haftbefehl auf ein Meisterwerk gleich zwei weitere folgen lassen. Nach dem – Straßenrap bis heute definierenden! – Jahrzehntalbum „Russisch Roulette“ (2014) schaute er sich die Szene eine Weile lang von außen an – um dann mit „Das weisse Album“ und „Das schwarze Album“ den wohl tiefgründigsten Werkzyklus der deutschen Rapgeschichte zu veröffentlichen. Er hat auf diesen Alben leuchtende Gipfel erklommen, seine tiefsten Abgründe ausgelotet und ganz nebenbei mehr über Mental Health, Sucht, Rassismus oder Klasse gesagt als jeder Leitartikel, Podcast, Instagram-Post oder Tweet zum Thema.
Die Farben-Alben, wie wir sie nun nennen wollen, waren Haftbefehls Yin und Yang, mit „Mainpark Baby“ nimmt er die Mitte zwischen diesen Polen ins Visier. Es geht um die Kinder und Kindeskinder der ersten Einwanderergeneration in jener Offenbacher Siedlung, der das Album seinen Titel verdankt. Unerfüllte Träume spielen eine Rolle bei diesen sogenannten Mainpark-Babys, gescheiterte Lebensentwürfe allerdings eher nicht: Den meisten Leuten in diesen Songs hat das Leben keine Chance gegeben, überhaupt so etwas wie einen Entwurf zu entwickeln.
Dabei klingt das ja zunächst idyllisch: Mainpark. Man denkt an blaues Wasser, vielleicht an Trauerweiden-gesäumte Rasenflächen und in bunten Farben blühende Rabatte. Jedenfalls nicht an jene Apartmentsiedlung im Beton-Brutalismus der Siebzigerjahre, in der der Rapper aufgewachsen ist. Auf Immobilienportalen werden Wohnungen dort inzwischen mit dem Slogan „Wohnen wie Haftbefehl“ angepriesen, aber natürlich war Mainpark in seiner ursprünglichen Form vor allem eine jener westdeutschen Siedlungen, in denen sogenannte Gastbarbeiter gezielt in künftige Parallelgesellschaften überführt wurden.
Mainpark ist für Haftbefehl Heimat, auch wenn er längst nicht mehr dort wohnt: „Ich bin da groß geworden“, sagt er. „Eigentlich hatte ich eine tolle Jugend, aber es sind auch eine Menge Sachen gelaufen, die aus heutiger Sicht nicht unbedingt hätten passieren müssen. Ich bin aber immer noch oft da und habe eine Menge Freunde dort.“ Er weiß: Du kannst den Jungen aus dem Mainpark holen, aber nicht den Mainpark aus dem Jungen.
So ist der Mainpark bei Haftbefehl immer auch eine Chiffre für die Lebensrealität postmigrantischer Milieus. Mit dem neuen Album entführt er uns erneut ins Zentrum der Kampfzone, aber Heldengeschichten sucht man vergeblich. Haftbefehl zeigt den Deutschen vielmehr so radikal wie niemand sonst, dass es das in diesem Land gibt: Ghettos. Erbaut auf Ignoranz, Ausgrenzung, Rassismus. Und wie die Mehrheitsgesellschaft dann mit einem umgeht, der es herausschafft aus so einem Ghetto: auch das zeigt die Geschichte von Haftbefehl.
Im Mainpark ist Haftbefehl aufgewachsen und nach dem traumatischen Tod seines geliebten Vaters auf die schiefe Bahn geraten. Nun kommt die nächste Generation und stammt zwar ebenfalls aus einer Mainparkfamilie, wächst aber unter anderen Rahmenbedingungen auf. Auf dem Cover des Albums ist Haftbefehl mit seinem siebenjährigen Sohn Noah zu sehen, auf dem Backcover sehen wir einen verspiegelten Sarg. Vom Vater zum Sohn zur nächsten Generation: Manchmal ist nicht nur „jeder geschlossene Raum ein Sarg“, sondern ein ganzes Viertel.
Die Veröffentlichung von „Mainpark Baby“ wird von einem fünfteiligen Kurzfilm von Chehad Abdallah begleitet, der den Lebensweg eines repräsentativen Mainpark-Babys vom Fünfjährigen bis zum 45-jährigen, ausgebrannten Mann erzählt. In der ersten Episode zu dem Song „Braune Tasche“ – ein kriminalistisch aufgeladener Representer nach Haftbefehl-Art und mit der Zeile: „Für 100.000 würd‘ ich nicht mein Haus verlassen“ – packt eine namenlose kurdische Familie hektisch das Nötigste zusammen, draußen hört man Explosionen, drinnen stopfen die Eltern ihre karge Existenz in diese braune Tasche und bereiten die Flucht der Familie vor, während ihr kleiner Junge nicht versteht, was vor sich geht.
Im zweiten Clip ist der Junge nicht mehr in Kurdistan, sondern im Mainpark. Er ist jetzt 15 Jahre alt. Er verliert seine Unschuld und gerät langsam in den Teufelskreis der Straße, eher er in Folge drei dealt, selbst konsumiert, abstürzt. Hier ist unter anderem der Schauspieler Burak Yiğit zu sehen. So geht es weiter: In jeder Episode steht ein anderer Protagonist im Zentrum, sie heißen Amir, Leo, Hamza, Burak, Nazmi und teilen doch ein ähnliches Schicksal. Ähnlichkeiten mit Haftbefehls Leben sind beabsichtigt, aber die Clips erzählen explizit nicht nur seine Geschichte, sondern stehen repräsentativ für eine ganze Generation von Mainpark-Babys – und diesem Geist folgt auch das Album.
„Mainpark Baby“ beginnt mit „Geruch von Koks“. Die schiere Intensität der Stimme von Feature-Gästin Paula Hartmann schnürt einem die Luft ab. „Ich nehme keine Drogen/Ich hab nur einmal zu tief Luft geholt, der gerade Weg er ist verbogen“, singt sie. Wir hören wabernde Sounds wie aus der Tiefe des Orkus, ehe der Beat Fahrt aufnimmt und zum ersten Mal Haftbefehl zu hören ist: „Hier gehst du kaputt und die Seele ist futsch, manche Mütter beten für ihre Jungs, manche Mütter schämen sich für ihre Jungs.“ „Ich bin riesengroßer Paula-Hartmann-Fan“, sagt Haftbefehl zu diesem ersten Wirkungstreffer, „mit ihrem Song ‚Truman Show Boot‘ hat sie mich komplett abgeholt.“ Also hat er sie angerufen, kurz danach ging es ins Studio.
So läuft das generell mit den Features auf seinen Alben: Neben Hartmann sind auf “Mainpark Baby” Kool Savas, Azad, Soufian, OG Keemo, UFO361, Kalim und Nimo dabei. Einige von ihnen haben überdies kleine Rollen in der begleitenden Mini-Filmreihe, in der auch der kurdische Musiker Mikail Aslan einen Cameo-Auftritt hat. „Bei mir gibt es keine Marketing-motivierten Features“, sagt Haftbefehl. „Das sind alles Leute, die ich richtig gut finde.“
Mit diesen Gästen nimmt das Album dann kontinuierlich Fahrt auf, wir hören das arabisch angehauchte, überaus prägnante „Dann mit der Pumpgun 2.0“ (feat. Azad und Kool Savas) sowie „Kein Respekt“ mit OG Keemo – es geht natürlich um die wichtigste Währung der Straße noch vor Kokain und Geld: Respekt. In „Letzter Track“ – der Song heißt wirklich so – blickt Haftbefehl schließlich zurück auf sein bisheriges Leben: „Ich schmeiß das Mic hin und nimm für meine Kinder Zeit“, rappt er, „hier mein letzter Track“.
Seine Komfortzone zu verlassen, dahin zu gehen, wo es weh tut, die Dunkelheit durchaus auch ganz gezielt aufzusuchen: Das war bislang die Voraussetzung für das Entstehen der besten Haftbefehl-Songs. Eine überaus ergiebige Arbeitsweise für die Kunst und damit für uns alle, eine auf Dauer selbstzerstörerische für den Künstler selbst. Es ist nun also überaus erfreulich, dass Haftbefehl für „Mainpark“ zu einer Arbeitsweise gefunden hat, die weniger verschwenderisch mit seinen Ressourcen umgeht.
Produziert hat er „Mainpark Baby“ abermals mit Bazzazian und überwiegend in dessen Kölner Studio sowie in Frankfurt und Stuttgart. Das Artwork stammt erneut von Chehad Abdallah. Die symbiotische kreative Dynamik zwischen Bazzazian und Haftbefehl hat über die Jahre eine der großen musikalischen Partnerschaften des deutschen Rap begründet. Der Produzent findet für die Bilder und Geschichten auf „Mainpark Baby“ kongeniale Beats und kreiert eine Musik des Getriebenseins, der schicksalhaften Ausweglosigkeit und des Verharrens im Nirgendwo, aber auch die zarte Pflanze Hoffnung keimt immer wieder auf.
Mit „Mainpark Baby“ erweist sich Haftbefehl erneut als einer der besten Rapper und scharfsinnigsten, straßenpoetischsten Texter in diesem Land. Ein Dichter der Nacht, der uns mitnimmt in die Straßenschluchten, in die dunklen Keller, die Bars und auf den Strich. Das kommt hier alles weiterhin direkt und ungefiltert aus einem wild schlagenden Künstlerherzen.